Ökomom Jean Tirole über Monopole "Google und Facebook müssen angreifbar sein"

Der französische Wirtschafts-Nobelpreisträger Jean Tirole warnt davor, die Marktmacht von Digitalunternehmen wie Google zu verteufeln.

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Der Ökonom Jean Tirole erforscht die Marktmacht von Digital-Konzernen. Quelle: Illustration: Nate Kitch; Foto: LAIF

Herr Tirole, Unternehmen wie Microsoft, Google und Facebook stehen wegen ihrer Marktmacht in der Kritik. Ist die Digitalwirtschaft besonders anfällig für die Bildung von Monopolen?
In der Digitalwirtschaft geht es häufig darum, Menschen miteinander zu vernetzen und Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei entstehen ökonomische Netzwerkeffekte. Nehmen Sie zum Beispiel Facebook. Für den Einzelnen ist der Nutzen, auf Facebook zu sein, umso größer, je mehr Menschen er dort erreicht. Ein weiteres Beispiel sind Navigations-Apps oder Internetsuchmaschinen. Deren Ergebnisse fallen umso besser aus, je mehr Menschen diese Dienste nutzen – und sie dabei selbst mit Daten füttern. Zudem sind die Größenvorteile in der Digitalwirtschaft besonders ausgeprägt: Man kann ohne große Mehrkosten viele zusätzliche Nutzer gewinnen. Netzwerkeffekte und Größenvorteile fördern die Bildung von Monopolen...

...die dann ihre Marktmacht missbrauchen.
Ich kann die Sorgen verstehen. Mehr Wettbewerb bedeutet niedrigere Preise und bessere Qualität. Nur muss man auch sehen, dass die Netzwerkeffekte, die die Monopolbildung fördern, effizient im Sinne der Kunden sind. Die Menschen wollen nicht auf zehn verschiedenen sozialen Netzwerken ihre Freunde suchen. Man muss den Wettbewerb daher unter dynamischen Aspekten betrachten. Entscheidend ist, dass ein Monopol angreifbar ist, dass neue Anbieter mit niedrigeren Kosten oder besseren Produkten in den Markt eindringen und den Monopolisten angreifen können. Ich sehe die Rolle der Wettbewerbsbehörden vor allem darin, den Marktzutritt für Newcomer zu gewährleisten.

Sie sind also dagegen, übermächtige Unternehmen der Digitalwirtschaft zu zerschlagen, wie manche Politiker fordern?
In der Digitalwirtschaft ist es viel schwieriger, Unternehmen zu zerschlagen als in der analogen Wirtschaft. Denken Sie an die US-Telefongesellschaft AT&T. Die zerschlug man im Jahr 1984, indem man das Geschäft mit den Ortsgesprächen von dem für Ferngespräche trennte. Das war möglich, weil beide Bereiche auf derselben Technologie beruhten und so leicht voneinander abgrenzbar waren. In der Digitalwirtschaft ändern sich Produkte und Technologien jedoch in Windeseile. Das erschwert es, Geschäftsfelder und relevante Märkte voneinander abzugrenzen und die Unternehmen aufzuspalten. So drängt Google, das mit seiner Internetsuchmaschine groß geworden ist und diesen Sektor dominiert, in den Markt für Software für selbstfahrende Autos, wo intensiver Wettbewerb herrscht.

Zur Person

Superstar-Unternehmen wie Google sollen also weitermachen können wie bisher?
Nur, solange gewährleistet ist, dass sie von Newcomern herausgefordert werden können.

Ist es nicht naiv zu glauben, jemand könne Google herausfordern?
Ein vielversprechendes Start-up zum Beispiel steht irgendwann vor der Frage: Börsengang oder Verkauf an Investoren? Im Falle eines Verkaufs müssen die Wettbewerbsbehörden aufpassen, dass das Start-up nicht an die Falschen gerät. Sie müssen darauf achten, dass Unternehmen wie Microsoft, Apple, Google, Facebook und Co. nicht die Start-ups kaufen, die ihnen Konkurrenz machen könnten. Das Problem dabei ist, dass die Wettbewerbsbehörden sehr schnell entscheiden müssen, ob sie eine Übernahme genehmigen oder nicht. Denn die technologische Entwicklung in der Digitalwirtschaft schreitet schnell voran, ein jahrelanges Fusionsverfahren gefährdete die Existenz der Unternehmen.

Die Wettbewerbsbehörden im Dilemma

Sind die Wettbewerbsbehörden mit dem Tempo der Digitalwirtschaft überfordert?
Die Wettbewerbsbehörden verfügen über große Erfahrungen. Sie besitzen bewährte Methoden, mit denen sie die Gefahren für den Wettbewerb in der analogen Wirtschaft abschätzen können. Diese Verfahren können aber nicht eins zu eins auf die Digitalwirtschaft übertragen werden. Deren technologische Spezifika erfordern andere Herangehensweisen.

Welche?
Ich sehe an dieser Stelle vor allem uns Ökonomen in der Pflicht. Wir müssen Instrumente entwickeln, mit denen die Wettbewerbsbehörden Situationen in der digitalen Wirtschaft bewerten und Entscheidungen treffen können. Bisher aber hinken wir Ökonomen der technologischen Entwicklung hinterher. Statt nur zu reagieren, sollten wir versuchen zu antizipieren, in welche Richtung sich die Technologie entwickelt. Ein Beispiel sind Buchungsportale wie Booking.com. Da haben wir auch zu spät reagiert.

Inwiefern?
Buchungsportale versprechen den Anbietern von Hotels und Ferienunterkünften, ihnen ein neues Kundensegment zu erschließen. Hotels, die die Portale nutzen, müssen dafür eine hohe Gebühr bezahlen. Zudem müssen sie garantieren, dass sie ihre Unterkunft nirgendwo anders billiger anbieten. Diese Bestpreisgarantie erschwert Wettbewerbern den Zugang zum Markt: Sie hindert Konkurrenten daran, die Platzhirsche preislich zu unterbieten.

Wen die EU-Kartellwächter zur Kasse gebeten haben
Ideal Standard – 326 Millionen EuroTeure Toiletten: Weil Anbieter von Badezimmer-Ausstattungen ihre Preise für Wasserhähne, Duschwände und Toiletten zwölf Jahre lang abgesprochen haben, verhängte die EU-Kommission im Jahr 2010 Geldstrafen von insgesamt 622 Millionen Euro. Die höchste Strafe kassierte mit 326 Millionen Euro der US-Hersteller Ideal Standard – und das, obwohl die Geldbuße wegen des kooperativen Verhaltens bereits um 30 Prozent gemindert wurde. 17 Sanitärunternehmen, darunter auch sechs deutsche Firmen, hatten sich zwischen 1992 und 2004 etwa 250 mal zu Absprachen getroffen. Quelle: dpa
Pilkington Group – 370 Millionen EuroWegen rechtswidriger Marktaufteilung und des Austausch sensibler Informationen über ihre Umsätze im Europäischen Wirtschaftsraum wurden gegen die Autoglashersteller Asahi, Saint-Gobain, Soliver und Pilkington im Jahr 2008 Rekordgeldbußen in Höhe von 1,38 Milliarden Euro verhängt. Die vier international führenden Konzerne hätten „die Autoindustrie und die Autokäufer fünf Jahre lang hintergangen“, so die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Besonders ins Gewicht fiel, dass es für drei der vier beteiligten Unternehmen das zweite EU-Urteil binnen eines Jahres war. Auch der britische Glashersteller und -verarbeiter Pilkington musste nach den 140 Millionen Euro Strafe aus dem Jahr 2007 erneut tief in die Tasche greifen. Dieses Mal belief sich die Strafe auf 370 Millionen Euro. Quelle: Presse
Siemens – 396,6 Millionen EuroIm Jahr 2007 verhängte die EU-Kommission gegen insgesamt elf Unternehmen Geldbußen in Höhe von 750 Millionen Euro. Zwischen 1988 und 2004 sollen die Gruppen an Angebotsabsprachen bei Ausschreibungen, Preisabsprachen, Projekt- und Marktaufteilung sowie dem Austausch geschäftlich wertvoller und vertraulicher Informationen beteiligt gewesen sein. Besonders der Siemens AG kommen die Absprachen teuer zu stehen: Wegen der Schlüsselrolle im Kartell, wurde die Strafe für Siemens um 50 Prozent heraufgesetzt. Die EU-Kommission bestrafte damit ein Kartell, „das die öffentlichen Versorgungsunternehmen und die Verbraucher mehr als 16 Jahre lang betrogen hat“, wie Kommissionsmitglied Neelie Kroes betonte. Zwar klagte Siemens gegen das Bußgeld, doch im Jahr 2011 bestätigten EU-Richter die knapp 400 Millionen Euro Strafe. Quelle: dpa
Hoffmann-La Roche – 462 Millionen EuroWegen Beteiligung an acht geheimen Marktaufteilungs- und Preisfestsetzungsabsprachen für diverse Vitaminprodukte verhängte die EU-Kommission Geldbußen in Höhe von 855 Millionen Euro an acht Vitaminhersteller. Zwar war die Zusammensetzung und Dauer der Kartelle unterschiedlich, Hoffmann-La Roche galt aber bei allen Kartellen im Zeitraum von September 1989 bis Februar 1999 als Anstifter und Mitglied. Dafür kassierte der Chemiekonzern aus der Schweiz mit 462 Millionen Euro die höchste der acht Einzelstrafen. Quelle: REUTERS
Thyssen-Krupp – 480 Millionen Euro2007 hatte die EU-Kommission gegen den Konzern wegen Preisabsprachen im Geschäft mit Aufzügen und Rolltreppen das Bußgeld verhängt. 2011 wurde die Strafe allerdings auf 319 Millionen reduziert. Quelle: dpa
Iveco - knapp 495 Millionen EuroDie EU-Kommission verhängte 2016 gegen vier Lastwagen-Bauer wegen Preisabsprachen eine Rekordstrafe von insgesamt 2,93 Milliarden Euro. Der italienische Iveco-Konzern wurde mit einer Strafe von knapp 495 Millionen Euro bedacht. Die Lkw-Hersteller hätten über 14 Jahre hinweg Verkaufspreise für Lastkraftwagen abgesprochen, erklärte die Kommission. Zudem hätten sie „die mit der Einhaltung der strengeren Emissionsvorschriften verbundenen Kosten in abgestimmter Form“ an die Kunden weitergegeben. Quelle: REUTERS
Microsoft – 561 Millionen EuroIm Jahr 2013 verhängte die EU-Kommission eine Strafe in Höhe von 561 Millionen Euro gegen Microsoft. Verhängt wurde sie, da der US-amerikanische Soft- und Hardwarehersteller Nutzern die problemlose Wahl ihres bevorzugten Webbrowsers über einen Auswahlbildschirm nicht ermöglicht hatte. Die EU-Kommission hatte dies im Jahr 2009 aber zu einer Auflage gemacht. Der damalige EU-Kommissionsvize Joaquín Almunia sagte: „Verpflichtungszusagen in Kartellrechtsentscheidungen sind sehr wichtig, da sie eine schnelle Lösung von Wettbewerbslösungen ermöglichen. Diese Entscheidungen müssen selbstverständlich streng befolgt werden.“ Quelle: dpa

Was können die Wettbewerbshüter tun?
Die Wettbewerbsbehörden befinden sich in einem Dilemma. Verbieten sie die Bestpreisgarantie, besteht für die Kunden ein Anreiz, sich auf den Buchungsplattformen nur zu informieren und dann billiger direkt bei den Hotels zu buchen. Das zerstörte das Geschäftsmodell der Buchungsplattformen. Gefragt sind also intelligente Regeln, die die Geschäftsmodelle der Portale erhalten, ohne den Wettbewerb auszubremsen.

Häufig ist zu hören, es gäbe nicht genügend Gründer. Dabei haben es Gründer in der digitalen Welt doch einfach. Sie brauchen keine teuren Maschinen, ein Computer reicht.
Einem Internet-Start-up dürfte es in der Tat leichter als einem Industrie-Start-up fallen, den für das Geschäft nötigen Kapitalstock zu erwerben. Auf der anderen Seite haben Start-ups in der Digitalwirtschaft nur eine Chance, wenn sie Zugang zu den Plattformen erhalten, auf denen sie Kunden erreichen. Wenn ein Start-up beispielsweise mit einer neuen Navigations-App für den Straßenverkehr erfolgreich sein will, muss es Zugang zum Smartphone-Betriebssystem von Google oder Apple haben. Wenn Google und Apple jedoch eigene Navigations-Apps – womöglich kostenlos – auf allen Smartphones installieren, die mit ihren Betriebssystemen laufen, ist es für Newcomer schwer, in dem Markt Fuß zu fassen. Selbst wenn jemand eine Navigations-App hat, die besser ist als die von Google, und sie auf dem Android-System anbietet, ist es schwer, Kunden zu gewinnen – ganz einfach, weil die schon die Google-App nutzen und von den Netzwerkeffekten profitieren.

"Wir müssen Gründer in Europa halten"

Kritiker argumentieren, die Tendenz zur Monopolisierung in der Digitalwirtschaft gehe zulasten der Innovationsfreude.
In den vergangenen Jahren hat es viele Innovationen in der Digitalwirtschaft gegeben. Aber klar ist auch: Wir wissen nicht, ob wir nicht noch mehr Innovationen gehabt hätten, wenn es die Monopolisierungstendenzen nicht gäbe. Entscheidend ist, noch einmal: dass die marktbeherrschenden Unternehmen damit rechnen müssen, von Newcomern angegriffen zu werden. Schon allein das Wissen um diese Gefahr treibt die marktbeherrschenden Firmen dazu, ihre Produkte und Dienste ständig zu verbessern und Innovationen auf den Markt zu bringen. Insofern ist die Bedrohung durch Wettbewerb noch wichtiger als der Wettbewerb selbst. Fehlt das Bedrohungsgefühl, werden die Monopolisten selbstgefällig. Deshalb ist es wichtig, den Zugang zum Markt für Newcomer offen zu halten...

...was den USA besser gelingt.
Die USA haben einen riesigen Vorteil bei der Finanzierung und Betreuung von Start-ups durch Risikokapitalgeber. In Deutschland und Frankreich gibt es jede Menge gute Ingenieure und Informatiker mit unternehmerischen Talenten. Aber was fehlt, ist Risikokapital – sind Geldgeber, die die Gründer unternehmerisch begleiten und auch fordern. In Frankreich beispielsweise stecken wir viel Geld in Gründer. Aber es sind der Staat und staatliche Agenturen, die entscheiden, wer wie viel Geld bekommt. Dadurch fehlt den Gründern die unternehmerische Begleitung.

Der Staat kann dieser Begleiter nicht sein?
Gerade in der Wachstumsphase ist eine laufende Kontrolle und Bewertung der Geschäftsentwicklung nötig, damit die Gründer in der Erfolgsspur bleiben. Der Staat kann das gar nicht bieten, er hat keine unternehmerischen Kenntnisse. Dazu kommt: Sind die Gründer hier in Europa einigermaßen erfolgreich, wandern viele von ihnen über den Atlantik nach Amerika aus. Wenn wir zu den USA aufschließen wollen, müssen wir Wege finden, Gründer in Europa zu halten.

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