Verkehrte (Finanz)welt

Drei Szenarien: So könnte die Geldpolitik unter Lagarde aussehen

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Der Notenbank die Unabhängigkeit entziehen

Option 3: Staatlich gelenkte Notenbanken

Vorrangig in den USA wird zuletzt häufiger die Modern Monetary Theory (MMT) diskutiert. Diese sieht vor, der Notenbank ihre Unabhängigkeit zu entziehen und die Geldpolitik unter die Direktive der Regierungen zu stellen. Dem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass die Inflation heutzutage keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Entsprechend könnte sich die Regierung ohne preissteigerungsbedingte negative Effekte jederzeit und in unbegrenztem Ausmaß der Notenpresse bedienen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Und sollten doch einmal inflationäre Tendenzen entstehen, würde der Staat durch die Ausgabe von Anleihen oder durch Steuererhöhungen entgegenwirken. In Teilen der demokratischen Partei in den USA wird das Konzept ernsthaft diskutiert. Eine tatsächliche Umsetzung scheint allerdings derzeit kaum vorstellbar.

Die beiden letzten Varianten würden, selbst wenn sie nicht unmittelbar das Leitzinsniveau weiter absenken, einen geldpolitischen Stimulus erzeugen und damit grundsätzlich ähnlich einer Zinssenkung wirken. Allerdings wären sie nicht davon abhängig, dass Banken die geldpolitischen Impulse weitergeben – was zuletzt nur unzureichend funktioniert hat. Zudem dürften im Vergleich zu nochmaligen Zinssenkungen weit weniger gesellschaftliche und politische Spannungen und somit weniger Widerstand gegen eine Umsetzung entstehen.

Christine Lagarde könnte für die Implementierung neuer geldpolitischer Methoden genau die richtige Frau zur rechten Zeit sein. Oftmals wurde als Nachteil ihrer Nominierung genannt, dass sie selbst keine ausreichende geldpolitische Expertise mitbringe. Diese ist jedoch im Kreise ihrer künftigen Berater und im gesamten Apparat der Zentralbank zweifellos zur Genüge vorhanden. Gefragt sind vielmehr ein hohes Verantwortungsbewusstsein, Tatendrang, politisches Verhandlungsgeschick und ein gewandtes Kommunikationsverhalten um die absehbare engere Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik in die Tat umzusetzen. Dadurch könnte auch das allgemeine Ansehen der EZB und der gesamten Eurozone in der Bevölkerung wieder gestärkt werden.

Möglicherweise ist dies sogar der einzige Weg aus der aktuellen Einbahnstraße der EZB-Geldpolitik und zur Verhinderung eines „Weiter so“ mit unkalkulierbaren Folgen.

Quellen:

„Enabling Deep Negative Rates to Fight Recessions: A Guide“, IMF-Working-Paper 19/84, April 2019
“Unconventional Policy and the effective lower bound“, BIS Working Papers, No. 804, August 2019
„Dealing with the Next Downturn – Unprecedented Policy Coordination“ in BlackRock Macro- and Market Perspectives, August 2019

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