Angriff auf russisches Aufklärungsflugzeug Satellitenbilder zeigen, wie es um Russlands Aufklärungsflugzeuge steht

Eine Berijew A-50, wie sie angeblich in Weißrussland von Partisanen zerstört wurde. Hier im Juli 2022 am Luftwaffenstützpunkt Iwanowo, wo sämtliche dieser russischen Aufklärungsmaschinen beheimatet sind.

In Belarus sollen Partisanen ein russisches Aufklärungsflugzeug außer Gefecht gesetzt haben. Satellitendaten belegen: Viel mehr als eine Handvoll Ersatzflieger stehen Russland nicht zur Verfügung. Was das für den Krieg in der Ukraine bedeutet.

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Am Sonntagmorgen wird es plötzlich laut auf dem Flughafen Machulischtschi in Belarus: Zwei Explosionen erschüttern den Luftwaffenstützpunkt – Sprengkörper, angeblich per Drohne abgeworfen, beschädigen ein russisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Berijew A-50 schwer.

So jedenfalls schildert es die belarussische Widerstandsorganisation Bypol, die den Sabotageakt durchgeführt haben will, den Russland bisher nicht offiziell bestätigt. Das Radar und der vordere Teil der Flugzeugkabine seien beschädigt worden – die Maschine werde „definitiv nirgendwo hinfliegen“, konstatierten die Bypol-Aktivisten. Auch in einem Telegram-Chatkanal sollen Anwohner über Explosionen an dem Stützpunkt südlich von Minsk berichtet haben.

Nachdem die russische Armee die Maschine in den Tagen darauf nicht mehr einsetzt, hob sie am Donnerstag offenbar in Richtung Taganrog ab – wo der Hersteller der Radarflieger sitzt. Vermutlich soll das Flugzeug dort repariert werden. „Der Verlust einer A-50 MAINSTAY wäre von großer Bedeutung“, kommentiert das britische Verteidigungsministerium am Dienstag in seinem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg auf Twitter. Das Flugzeug sei für die russischen Luftoperationen entscheidend, um ein Bild des Luftkampfgebiets zu erhalten.

Aufklärungsflugzeuge wie die Berijew A-50 sind fliegende Radarstationen, die dem Militär einen großflächigen Überblick über das Gefechtsfeld verschaffen. Im Jargon „Airborne Early Warning and Control System“ genannt, kurz Awacs, helfen sie vor allem, gegnerische Flugzeuge und Helikopter früh zu erkennen. 

In der Ukraine verschaffen sie dem russischen Militär einen tiefen Blick in das Kampfgebiet und entdecken auch ukrainische Jets, die nah am Boden fliegen und von bodengestützten Radarsystemen nicht erfasst werden können, weil etwa Hügel die Sicht blockieren.

Einschnitt in Russlands Luftaufklärung

Etwa 500 bis 600 Kilometer weit soll das fliegende Radar blicken und Flugzeuge in größeren Höhen erkennen. Niedrig fliegende Fluggeräte sieht das Auge aus der Luft in mehr als 300 Kilometern Entfernung. Angesichts der rund 1300 Kilometer langen Front in der Ukraine bräuchte Russland also mehrere A-50 in der Luft, um das gesamte Gefechtsgebiet zu überwachen. 

Die Beschädigung der Maschine in Belarus dürfte also schmerzen. Insgesamt wurden seit Ende der 1970er-Jahre zwar etwa 40 der Flugzeuge gebaut, doch davon ist nur noch ein Bruchteil im Einsatz. Satellitenbilder zeigen, dass die Maschinen auf einem Militärflughafen nördlich der russischen Stadt Iwanovo stationiert sind.


Einer Analyse dieser Aufnahmen durch die WirtschaftsWoche verrät, dass neun hier abgestellte Flugzeuge in den vergangenen acht Jahren praktisch nicht bewegt wurden und unverändert am nördlichen Rand des Flugfeldes stehen. Ein starkes Indiz, dass diese Berijew A-50 heute nicht einsatzfähig sind. 

Anders ist das bei jenen Flugzeugen, die immer mal wieder am südlichen Ende des Flughafens stehen. Sie werden regelmäßig bewegt. Im Oktober 2021, wenige Monate vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, standen hier vier Maschinen – drei weißgrau lackierte, eine graue. 


Eine Aufnahme vom Mai 2021 zeigt sogar fünf weißgraue Maschinen. Nach Beschädigung des Fliegers in Weißrussland dürfte nun also höchstens eine Handvoll einsatzfähig sein. Eine weitere Maschine stand im Februar 2022 beim Hersteller Berijew in der Stadt Taganrog am schwarzen Meer, wo sie offenbar überholt wurde. Im September 2021 waren es hier sogar zwei solche Flugzeuge.


Insgesamt dürften also etwas mehr als fünf dieser Flugzeuge noch aktiv sein. Das deckt sich ungefähr mit den Annahmen des britischen Verteidigungsministeriums. Dem zufolge seien nun wahrscheinlich nur noch sechs russische A-50-Flugzeuge in Betrieb, erklärt es am Dienstagmorgen. Andere Beobachter gehen von bis zu zehn Maschinen aus. Zum Vergleich: Das Nato-Bündnis betreibt allein 14 gemeinsame Awacs-Maschinen, hinzu kommen noch mehrere Dutzend weitere Flugzeuge der US-Armee, Großbritanniens und Frankreichs.

Nato-Flieger patrouillieren in Osteuropa

Die Nato-Aufklärungsflugzeuge sind üblicherweise im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen stationiert. Seit Februar 2022 fliegen sie laut Nato-Angaben regelmäßig Patrouille in Osteuropa und über der Ostsee, um russische Militärflugzeuge nahe der Nato-Grenzen zu entdecken. 

Mitte Januar verlegte das Militärbündnis zudem zwei Awacs-Flugzeuge auf den Luftwaffenstützpunkt Otopeni in Rumänien, um von dort aus russische Militärbewegungen in der Region zu überwachen.

Eine AWACS-Maschine der Nato Quelle: AP

Mit einer Reichweite von 9250 Kilometern können die Flieger weite Strecken zurücklegen. Ein Awacs-Flugzeug kann ein Gebiet von der Größe Polens überwachen, drei Maschinen würden reichen, ganz Mitteleuropa zu beobachten. Ein Team von Radaranalysten, Systemtechnikern und Waffenexperten sammelt und analysiert an Bildschirmarbeitsplätzen an Bord die eingehenden Daten der neun Meter breiten Radarantenne.

Bis zum Jahr 2035 will die Nato ihre Awacs-Flotte erneuern. Auch Russland arbeitet an einer neuen Version ihres Aufklärungsflugzeugs. Die Berijew A-100 soll laut dem russischen staatlichen Propagandamedium Sputnik Ende 2024 den Dienst aufnehmen. Dann soll es angeblich 300 Ziele in der Luft, an Land und auf See gleichzeitig verfolgen können.

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Doch fraglich ist, ob sich die Pläne angesichts westlicher Sanktionen etwa auf Computerchips halten lassen. Schon in der zivilen russischen Luftfahrt fehlt den Ingenieuren an wichtigen Bauteilen – sie schlachten alte Maschinen als Ersatzteillager aus.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand die Vermutung, dass das Flugzeug von den Partisanen zerstört wurde. Inzwischen ist klar, dass dies nicht der Fall ist, es wohl nur beschädigt ist. 

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