Der Anruf aus dem Vorstandsturm der Deutschen Messe traf die Mitglieder des Cebit-Ausstellerbeirates am Donnerstagnachmittag vergangener Woche unvorbereitet. Das lange geplante Treffen des Gremiums am folgenden Tag „müsse leider verschoben werden“, ließ die Dame aus dem Vorstandsbüro die Branchenvertreter und Verbandsspitzen der deutschen Digitalwirtschaft wissen. Messevorstand Oliver Freese und Cebit-Geschäftsführer Marius Felzmann seien kurzfristig verhindert, man werde sich wieder melden. „Das ist nicht unbedingt üblich“, sagt einer der Ausgeladenen, „aber dass die Absage im Grunde schon das Ende der Cebit vorweggenommen hat, daran hat von uns keiner ernsthaft gedacht.“
Keine Woche später ist die deutsche Digitalszene schlauer und der Messeplatz Deutschland um ein wesentliches Event ärmer. Die runderneuerte IT-Messe Cebit, die im Juni 2018 mit neuem Konzept, in verändertem Rahmen und zu einem neuen Termin stattfand, war die letzte ihrer Art.
Die Deutsche Messe Hannover hat die Neuauflage im kommenden Jahr ersatzlos gestrichen. Messe-Vorstand Freese, das wurde parallel zur Absage bekannt, gibt seinen Job zum Jahresende auf.
Noch am Montag ahnten selbst wichtige Partner nichts
Das plötzliche Aus für die Messe, die einmal mit 800.000 Besuchern das wichtigste und größte Digitalevent der Welt war, erwischt die Verantwortlichen in deutschen und internationalen Tech-Konzernen größtenteils völlig überraschend. Noch am Montag dieser Woche hätten Branchengrößen wie SAP-Vorstandsmitglied Michael Kleinemeier oder IBM-Deutschland-Chef Matthias Hartmann bei einer Tagung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) den neuen Kurs der Digitalmesse unterstützt und die Teilnahme ihrer Unternehmen bei der kommenden Auflage bekräftigt, berichten Teilnehmer.
„Es gab zwar Gerüchte, dass es personelle Veränderungen geben werde, wenn am Mittwoch der Präsidialausschuss der Deutschen Messe tage“, erzählt ein BDI-Mitglied. „Aber nichts sprach dafür, dass es um den Kopf von Oliver Freese geht.“ Auch von BDI-Chef Dieter Kempf, immerhin Mitglied im Präsidialausschuss und als früherer Chef des IT-Dienstleisters Datev selbst lange Jahre einer der Ankerpartner der Messe, gab es keine Hinweise an die Versammelten, dass zwei Tage später das Ende der Cebit beschlossen werde. „Gut möglich, dass nicht mal er zu dem Zeitpunkt von der Tragweite der Entscheidungen wusste“, sagt ein Insider.
Tatsächlich deutete zuvor wenig darauf hin, dass die Messegesellschaft schon nach dem ersten Versuch der Cebit-Neupositionierung den Stecker zieht. Ende August noch hatte auch das Kuratorium der Messe, ein Zirkel von Branchenvertretern, Ausstellern, Charakterköpfen der Digitalwirtschaft und Vertretern der Region Hannover die neue Strategie grundsätzlich gutgeheißen und einige Neuerungen für 2019 angekündigt.
„Dass ein Jahr nach dem Neustart die Trendwende noch nicht geschafft ist, war allen Partnern klar“, sagt einer der Teilnehmer, „und genauso klar war, dass wir im nächsten Jahr weiter daran arbeiten würden, die CeBIT zukunftsfähig zu machen.“ Die nächste Kuratoriumssitzung war für Donnerstag dieser Woche terminiert. Nur wenige Minuten, bevor die Messe mit der Pressemeldung zum Cebit-Aus an die Öffentlichkeit ging, wurden die Mitglieder des Gremiums informiert, dass sich die Anreise nach Hannover erübrigen werde.
Dass der Umbau schwerer würde als gedacht, scheint den Messeverantwortlichen tatsächlich erst sehr kurzfristig klar geworden zu sein – womöglich erst im Lauf des Novembers. „Beim letzten Treffen vor zwei, drei Wochen machte Oliver Freese einen ziemlich frustrierten Eindruck“, sagt ein IT-Verantwortlicher mit jahrelanger Cebit-Erfahrung. „Offenbar lief der Verkauf der Standflächen merklich schlechter, als es sich zunächst angedeutet habe.“
Selbst große Konzerne wie Salesforce, einer der wichtigsten Cebit-Partner der vergangenen Jahre, oder der Kommunikationsriese Huawei, dessen ersten großen Auftritt die Messe in diesem Juni noch als Zeichen für die anhaltende Attraktivität der Cebit gefeiert hatte, hätten zuletzt ihre vorgemerkten Standflächen merklich reduziert.
All das, so vermuten Branchenvertreter und langjährige Aussteller, habe in der Chefetage des Hannoveraner Messeturms die Warnlampen anspringen lassen. Und wohl dafür gesorgt, dass Aufsichtsrat und Vorstand der Deutschen Messe den Not-Stopp aller Planungen beschlossen hätten. Kritiker der Entscheidung sprechen von „überhastet und orientierungslos“, bezeichnen die Absage gar als „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.
Wie kurzfristig der Beschluss gefallen sein muss zeigt sich auch daran, dass nicht einmal die Politik vorab einen Hinweis bekam – obwohl speziell das Bundeswirtschaftsministerium über Jahre einer der wichtigsten ideellen Partner war. Noch zur Eröffnung der ersten neugestalteten Cebit im vergangenen Juni hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in einer flammenden Rede und unter großem Beifall der Gäste für die Messe und dafür geworben, den großen amerikanischen Tech-Happenings wie SXSW oder Burning Man ein großes, deutsches und europäisches Digital-Event gegenüberzustellen. „Wir haben hier ein Branchentreffen und eine Trendschau ersten, internationalen Ranges, das dürfen wir nicht leichtfertig zur Disposition stellen“, forderte Altmaier.
Geholfen haben auch seine Aufrufe am Ende nichts mehr. Am Dienstagabend, nur wenige Stunden vor der entscheidenden Sitzung der Messespitzen, blinkte auch in der Chefetage des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin eine Rufnummer aus dem Hannoveraner Messeturm auf. Am Mittwoch werde es eine Ankündigung geben ...