David Cheriton Der Anti-Bezos

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Cheriton: Der gewiefte Geschäftsmann oder der erfahrene Wissenschaftler

Cheriton versteht viel von Rechenzentren. Das gibt seinen Argumenten Gewicht. Einerseits. Andererseits ist er nicht unbefangen: Sein Start-up Apstra, in dem er Hauptanteilseigner und Cheftechnologe ist, hilft Unternehmen nämlich beim Aufbau von eigenen Rechenzentren. Cheriton ist der Anti-Bezos. Und wenn er gegen Amazon wettert, weiß man nie ganz genau, ob da nun der gewiefte Geschäftsmann oder der erfahrene Wissenschaftler spricht. Vermutlich sind es beide.

Es mache ihm Angst, so sagt Cheriton, dass bei vielen Managern, die eben nicht ganz so viel von Technik verstehen, der Eindruck entstanden sei, ein Unternehmen brauche dank Cloud Computing keine eigene Infrastruktur mehr – und damit auch keine eigenen IT-Experten. „Dabei ist es das Fundament jedes Unternehmens, heute mehr denn je“, betont er. „Wenn ich meine IT aufgebe, kann ich auch gleich mein Unternehmen an den Nagel hängen.“

Wer in die Bezos-Cloud wechsle, der mache sich von „Bezos’ Launen“ abhängig, sagt Cheriton – und erinnert an den 28. Februar vergangenen Jahres: Damals verschwanden die Angebote von 150 000 Webseiten plötzlich aus dem Internet, weil die Experten von Amazon einen Fehler gemacht hatten. „Wo gibt es auf diesem Planeten ein zweites Mal die Möglichkeit, 150 000 Unternehmen mal eben so abzuschalten?“, fragt Cheriton mit einem spöttischen Lächeln.

Amazon-Chef Jeff Bezos Quelle: REUTERS

Für nicht minder gefährlich hält es der Professor, dass Unternehmen mit der eigenen IT auch alle Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber ihren Wettbewerbern aufgeben, weil alle auf die gleichen Dienste zurückgreifen. Die Zukunft der Wirtschaft liege in einer immer stärkeren Automatisierung, doziert er. Und damit noch stärker in der Hand von Informatikern.

Nur kein Futter für den Feind

Nun ist Amazon nicht der einzige Anbieter von Cloud Computing. Auch Microsoft-Chef Satya Nadella hat dieses Geschäft zur Wachstumsmaschine seines Konzerns gemacht. IBM setzt ebenso große Hoffungen darauf wie Google. Cheriton hält all diese Angebote für einen Irrweg. Für Microsofts Ansatz der „private Cloud“, bei dem die Rechenzentren in den Unternehmen bleiben und lediglich von Microsoft betreut werden, hat Cheriton nur Spott übrig: „Das ist so, als ob ich einen Hotelier damit beauftrage, mein eigenes Haus einzurichten.“

An Bezos reibt sich Cheriton besonders. Nicht nur, weil er das Geschäft mit der vermieteten Rechenleistung mit deutlichem Abstand anführt. Sondern auch wegen der damit verbundenen Macht. „Deine Marge ist meine Geschäftschance“, soll der umtriebige Amazon-Chef einmal gesagt haben. Buchhändler haben dies vor langer Zeit zu spüren bekommen. Nun zittern der Lebensmittelhandel, die Versicherer und auch Reiseanbieter. Amazons Expansion in immer neue Geschäfte wird aus AWS finanziert, einer Profitmaschine, die keiner der Attackierten kontern kann. Die Supermarktkette Walmart hat deshalb bereits angekündigt, kein Cloud Computing von Amazon mehr zu nutzen. Boeing erwägt Ähnliches, weil sich der Flugzeugfertiger von Amazon im Geschäft mit Drohnen bedroht sieht. Und dem Feind will niemand auch noch Futter geben.

Bechtolsheim, der langjährige Weggefährte von Cheriton und Verwaltungsratschef des Netzwerktechnikherstellers Arista Networks, schätzt den Professor: „Er kann hervorragend selber programmieren und kennt sich bis ins letzte Detail aus.“ Cheritons heftiger Kritik an Amazon aber mag er sich nicht anschließen: Dass Dienstleister versuchen, ihre Kunden eng zu binden, „zieht sich durch die Geschichte der Informationstechnologie. Und Cloud-Anbieter setzen das fort.“ Eines vor allem verkenne Cheriton: „Die meisten Unternehmen haben große Probleme, IT-Spezialisten zu finden. Fast alle guten Absolventen wollen doch zu Google, Facebook oder Amazon, aber nicht zu Procter & Gamble oder anderen Unternehmen aus der traditionellen Wirtschaft.“ Deshalb seien viele Firmen, sagt Bechtolsheim, eben mit Cloud Computing wesentlich besser bedient. Ein vergleichbares eigenes Angebot könnten sie selber nie aufbauen und betreiben.

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