Hannover Messe „Die Fabrik der Zukunft stellt unterschiedlichste Produkte her – mit einem Fingerschnipp“

Rolf Najork, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, auf einem

Zehn Jahre Industrie 4.0 – Zeit für eine Bilanz: Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork erklärt im Interview, wie 5G-Funk und künstliche Intelligenz die Produktion beschleunigt, wo die Stärken der deutschen Industrie liegen und wie die Fabrik der Zukunft aussieht.

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WirtschaftsWoche: Herr Najork, vor zehn Jahren wurde auf der Hannover Messe die vierte industrielle Revolution ausgerufen: Fabriken sollten digitaler, smarter, flexibler werden. Wie viel ist davon heute Wirklichkeit?
Rolf Najork: Bei Bosch haben wir unsere Fabriken mit Sensoren bestückt, intelligente Software und autonome Transportfahrzeuge installiert. Maschinen erfassen Taktzeiten, Störungen oder Ausschuss automatisch. Weltweit sind in Bosch-Werken Hunderttausende Maschinen, Roboter und Kameras digital vernetzt und unterstützen unsere Teams so bei der Arbeit. Industrie 4.0 ist bei uns Alltag.

Hat sich der Aufwand gelohnt?
Ohne Frage: Unsere Fabriken arbeiten heute bis zu 25 Prozent produktiver als vor zehn Jahren. Und wir investieren weiter, beispielsweise 400 Millionen Euro in den Aufbau einer Fertigungsplattform für unsere rund 240 Werke. Wir erwarten, dass wir dadurch in den nächsten fünf Jahren eine knappe Milliarde Euro einsparen. Bosch wendet aber nicht nur Industrie 4.0 in den eigenen Werken an, wir bieten auch Lösungen für den Markt. In den letzten zehn Jahren haben wir so mehr als vier Milliarden Euro Umsatz mit Industrie 4.0 erwirtschaftet. Neben Effizienz geht es bei Digitalisierung und Vernetzung vor allem aber um die Individualisierung der Produktion.

Was meinen Sie damit?
Wir wollen Einzelstücke so hochwertig und preiswert produzieren wie in einer Serienfertigung. In unserem Werk in Homburg etwa sind wir da schon sehr weit: Wir fertigen dort 200 Typen von Ventilen auf einer Produktionslinie. Früher brauchten wir sieben Linien, um diese Vielfalt abzudecken. Die Fabrik der Zukunft kann die unterschiedlichsten Produkte herstellen – mit einem Fingerschnipp.

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Wie wollen Sie das erreichen?
In unseren Werken werden Aufträge und Bestellungen digital erfasst. Gelieferte Teile werden gescannt und von einer Produktionssoftware erkannt. Welches Teil Mitarbeiter in welchem Moment benötigen, wie sie es montieren – das alles zeigen oft Bildschirme im entsprechenden Moment an. Benötigt das Ventilmodell, das als nächstes zusammengebaut werden soll, eine spezielle Schraube, ändert der Schraubenschlüssel sein Drehmoment von selbst. Zudem setzen wir vermehrt auf schlaue Kameras, die Mitarbeiter unterstützen: Ist das richtige Teil aus der Box gegriffen worden? Wird hier das richtige zusammengebaut?

Die Fabrik denkt künftig mit?
So könnte man dies ausdrücken. Wir können heute mit künstlicher Intelligenz sehr große Datenmengen, wie sie in der Produktion anfallen, durchforsten, verborgene Trends erkennen und etwa Defizite in der Produktion aufspüren. So senken wir Wartungskosten und vermeiden, dass Maschinen länger ausfallen. Wir steuern per KI auch Roboter, die selbstständig verpackte Teile aus einer vollen Kiste greifen. Der Roboter erkennt per Kamera, welches das richtige Produkt ist, auch wenn die Kiste schräg steht, halb verrückt oder schlecht beleuchtet ist. Wichtig sind aber auch andere Technologien – etwa die Stromübertragung per Induktion aus dem Fußboden.

Wofür das?
Maschinen brauchen dann keine Kabel mehr und lassen sich verschieben oder fahren von selbst auf die gewünschte Zielposition. Wir zeigen das gerade in einer Modellfabrik auf der virtuellen Hannover Messe: Produktionsmodule lassen sich rasch austauschen. Maschinen kommunizieren drahtlos per 5G-Mobilfunk. In der Fabrik ist bis auf Boden, Decke und Wände bald alles flexibel.

Der neue 5G-Mobilfunk ist zwar viel im Gespräch, aber noch wenig in Gebrauch. Wie groß ist der Nutzen für die Industrie?
Mit 5G werden Anwendungen möglich, die Sie mit WLAN nicht flächendeckend und zuverlässig realisieren können. Denken Sie etwa an kollaborative Roboter, die zunehmend beweglich auf autonome Transportfahrzeuge montiert sind. Die Fahrzeuge erhalten ständig neue Informationen: „Fahr nicht in Halle 3, sondern Halle 5.“ „Mache als nächstes diesen oder jenen Montageschritt.“ Dafür brauchen Sie eine enorm robuste Datenübertragung mit hoher Bandbreite und in Echtzeit. 5G macht das möglich.

Auch schon in der Praxis?
In unserem Werk in Stuttgart-Feuerbach haben wir Ende 2020 das erste 5G-Campusnetz in Betrieb genommen. Und wir testen zurzeit weltweit in zehn Werken einzelne 5G-Anwendungen.

Bei allen Fortschritten, die Sie genannt haben – gibt es auch Technologien, die wir in zehn Jahren Industrie-4.0-Euphorie überschätzt haben?
Beim 3D-Druck gibt es eine gewisse Ernüchterung. In Nischen hat er sicher seine Berechtigung, aber in der Massenproduktion, etwa der Automobilherstellung, rechnet sich diese Technik bis heute nicht.

Kürzlich haben wir erlebt, wie abhängig die deutsche Industrie von ausländischer Technologie ist: Lieferengpässe für Halbleiter haben etwa der Autoindustrie sehr zugesetzt. Braucht Deutschland dringend eine größere heimische Chipindustrie?
Auch wenn in puncto Versorgungssicherheit Europa derzeit massiv dazulernt, kann die Lösung nicht darin bestehen, dass wir einfach mehr Halbleiterfabriken aufbauen. Wenn wir Chipfabriken hochziehen, sollten wir das mit einem ganz gezielten Wettbewerbsvorteil tun.

Es geht ja nicht nur um die Chipfertigung. Cloud-Lösungen kommen aus den USA, 5G-Netztechnik aus China. Ist Deutschland beim Thema Industrie 4.0 also gar nicht so weit an der Spitze, wie oft behauptet wird?
Sie müssen differenzieren zwischen den einzelnen Komponenten und dem Systemansatz. Bei letzterem, also der Vernetzung der Möglichkeiten, sind wir in Deutschland sehr stark. In der Industriesteuerung sind wir sogar weltweit führend, auch in der Sensortechnik, Mechatronik, bei Kameratechnologien. Natürlich können wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen: Im Maschinenbau holen asiatische Nationen schnell auf, auf der Softwareseite sind die USA stark…

im Gegensatz zu Deutschland, das eher für die Hardware bekannt ist, für Motoren und Maschinen.
So pauschal kann man das nicht sagen. Bosch hat über Jahrzehnte Erfahrung in der Entwicklung von sicherheitskritischer Software. In unserem Unternehmen gibt es sehr viele Produkte, die digital gesteuert werden. Seien es Motoren oder Systeme, die im Auto Schleuder-Unfälle verhindern. Das ist eine Kompetenz, die andere so nicht haben. Bei Bosch arbeiten inzwischen mehr als 30.000 Software-Entwickler. Und wenn es um künstliche Intelligenz für Industrieanwendungen geht, rangiert Bosch in den weltweiten Patent-Rankings immer weit vorne.

Ein Android für Fabriken, also ein führendes Betriebssystem für die Industrie, von dem häufig die Rede war, hat die deutsche Industrie aber noch nicht hinbekommen. Woran hakt es?
Es gibt enorm viel Konkurrenz von kleinen und großen Anbietern. Viele davon funktionieren nur in Verbindung mit bestimmter Hardware und sind eben kein Industriestandard. Dem wirkt beispielsweise das Konsortium OPC entgegen, indem es einen Kommunikationsstandard für Maschinen und Steuerungen entwickelt hat. Unsere eigene Software ist heute schon offen für andere Hersteller. Wir setzen darauf, Ökosysteme zu bilden und weltweit gemeinsame Standards zu etablieren.

Gerade diesen Ansatz verfolgen Länder wie China auch – und zwar mit immer mehr Engagement. Was braucht Deutschlands Industrie, um an der Weltspitze zu bleiben?
Wir sollten uns nicht verstecken, sondern unsere Stärken weiterentwickeln. Dazu gehört auch, junge Menschen für Technik zu begeistern. Unser gesellschaftlicher Wohlstand basiert auf unserer Fähigkeit, gute Produkte zu bauen. Technologie zu verstehen und zu entwickeln, ist ein großes Potential. Das dürfen wir nicht zerreden.

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