Künstliche Intelligenz: „Die eigentliche Entwicklung in der KI startet jetzt erst“

Droht die KI-Blase zu platzen?
WirtschaftsWoche: Herr Locher, das Chaos um die Abberufung und Wiedereinstellung von Sam Altman bei OpenAI bewegte zuletzt die gesamte KI-Welt. Wie haben Sie die Entwicklung wahrgenommen?
Adrian Locher: Das waren in der Tat zwei erstaunliche Wochen mit vielen Höhen und Tiefen, die wir alle gebannt verfolgt haben. Wie die Vorgänge bei OpenAI abgelaufen sind, ist vor allem ein Zeichen einer sehr fragwürdigen Unternehmensführung und -aufsicht. Dass Microsoft als größter Anteilseigner über die Vorgänge erst aus den Medien erfahren hat, zeugt nicht unbedingt von einer sehr sauberen Arbeit des Aufsichtsrats – und dass dieser die Situation offensichtlich auch falsch eingeschätzt hat. Der Richtungsstreit zwischen der Frage nach kommerziellen Interessen versus Sicherheit ist jedenfalls sehr wichtig.
Welche Auswirkungen hat denn der Richtungsstreit für OpenAI?
Ich könnte mir vorstellen, dass es kurzfristig relativ wenig Einfluss hat, denn auf der technischen Seite der Entwicklung läuft schon sehr viel. Zugleich ist jetzt die Führungsposition von Sam Altman und denjenigen gestärkt, die bei der geschäftlichen Entwicklung Tempo machen wollen. Daher wird sich an der Ausrichtung und an der Geschwindigkeit von OpenAI wenig ändern. Gleichzeitig ist die Auseinandersetzung bei OpenAI für die gesamte KI-Branche negativ, weil das manche Skeptiker bestätigt hat, welche die kommerziellen Interessen als zu groß kritisiert haben.
Und welche Folgen hat der Richtungsstreit für die technische Weiterentwicklung zum Beispiel des Sprachmodells GPT-4?
Der Großteil der gut 700 Mitarbeiter von OpenAI hat sich in einem offenen Brief ganz klar hinter Sam Altman gestellt. Das heißt, es ist mit keinem großen Abfluss von Talenten zu rechnen. Letzteres könnte die Entwicklung verlangsamen, wenn es jetzt zum großen Bruch gekommen wäre – aber den gibt es ja zum Glück nicht.
ChatGPT ist jetzt ziemlich genau ein Jahr alt. Seitdem hat generative KI einen enormen Boom erlebt – bis hin zu Sorgen um ein Platzen der KI-Blase. Als wie groß betrachten Sie diese Gefahr?
Die Aussage vom möglichen Platzen der KI-Blase bezieht sich rein wörtlich ein bisschen auf die Dotcom-Blase von vor mehr als 20 Jahren. Diese Blase ist geplatzt, weil sich viele der damaligen Prophezeiungen nicht so schnell materialisiert haben wie gedacht. Die meisten Start-ups, die sehr große Versprechen gemacht hatten, konnten diese erst einmal nicht einhalten. Es gab sogar Leute, die behaupteten, das Internet sei nur eine Art Fata Morgana gewesen und gehe wieder weg.
Was natürlich nicht der Fall war...
Genau, damals hat das Internet eigentlich überhaupt erst angefangen, sich auf unser Leben auszuwirken. Ähnlich ist nun die Situation bei KI. Wenn es eine Blase gibt, die platzen könnte, dann vor allem auf der Finanzierungsseite. Denn viele Investments der vergangenen zwölf Monate werden meines Erachtens nicht funktionieren. Das ist auch nicht so ungewöhnlich, weil sich die KI-Technologie noch in einer sehr frühen Phase befindet. In dieser scheitern tendenziell mehr Investments, weil die Beurteilungsmöglichkeiten und Bewertungsmaßstäbe von Start-ups am Anfang deutlich schwieriger sind. Daher werden auch einige KI-Unternehmen pleitegehen, das ist eine normale Entwicklung.
Dass es einen Hype um das Thema generative KI gibt, ist unbestritten. Zugleich hat aber auch selten eine Technologie derart schnell Einzug in Unternehmensanwendungen erlebt, siehe etwa der Copilot bei Microsoft Office oder diverse selbstentwickelte Chatbots in Unternehmen wie BoschGPT. Zeigt das nicht, dass hier durchaus bereits Substanz vorhanden ist?
Ja, absolut. Ich glaube, es gibt sogar einen riesigen Unterschied zu dem vergleichbaren Zeitpunkt in der Entwicklung des Internets: Heute ist die technologische Infrastruktur schon da, so dass diese Technologie auch schon sehr gut funktioniert. Ein wichtiger Grund für die Internetblase war ja, dass damals die Technologie immer noch zu wenig ausgereift war – weswegen zu wenig vermarktbare Produkte entstehen konnten. Das ist heute anders.
Inwiefern?
Zurzeit diskutieren viele Menschen darüber, wo KI in den nächsten drei bis fünf Jahren steht. Dabei unterschätzen sie jedoch, wie stark KI in den kommenden zwölf Monaten unseren Arbeitsalltag verändern wird. Der Copilot wird jetzt gerade in den Microsoft-Produkten ausgerollt; ähnliches geschieht bei Google. Das wird die Art und Weise, wie wir Dokumente erstellen und wie wir jeden Tag mit ihnen arbeiten, grundlegend verändern.
Mit Aleph Alpha hat ein deutscher Hoffnungsträger für allgemeine generative KI kürzlich eine halbe Milliarde Euro Kapital eingefahren – die zweitgrößte Finanzierungsrunde in Europa überhaupt. Reicht das, um mit den KI-Rivalen aus den USA und China mithalten zu können?
Nein, das reicht nicht. Nach Schätzungen sind bisher ungefähr 13 Milliarden Dollar in OpenAI geflossen – dagegen ist eine halbe Milliarde immer noch sehr wenig. Andererseits ist der Entwicklungsstand von Aleph Alpha noch gering, das Unternehmen gibt es ja noch nicht so lange. Wir reden hier von einer Allzwecktechnologie. Dabei ist es sehr wichtig, sich zu entscheiden, ob man eine horizontale Technologieplattform schaffen will wie OpenAI, die praktisch die Infrastruktur mit den Sprachmodellen für Anwendungen darüber schafft. Oder ob man eher in vertikale Lösungen investiert, die spezielle, auf bestimmte Industrien optimierte Technologien anbieten.
Wieso ist diese Unterscheidung wichtig?
In der horizontalen Welt wird es mittel- bis langfristig nur wenige Anbieter geben. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, dass der Markt für große Sprachmodelle und KI-Grundlagentechnologie anders aussehen sollte als der heutige Cloud-Computing-Markt. Der ist ja ebenfalls aufgeteilt zwischen einigen sehr großen Playern wie Amazon, Microsoft und Google. Und dann gibt es wiederum sozusagen Nischenanbieter für ganz bestimmte Branchen; diese Nischen können durchaus noch Milliardenmärkte sein, aber die Anzahl der Cloud-Provider ist insgesamt sehr überschaubar. Das wird bei KI nicht anders sein.
Was folgt daraus?
Dass es enorm wichtig, bei Investitionen die richtige Richtung einzuschlagen. Neben der Infrastruktur wie sie OpenAI macht, gibt es in der Mitte die Tools, das sind quasi Schaufel und Pickel. Und obendrauf findet dann die eigentliche Anwendung statt, also die eigentliche Wertschöpfung durch KI in einer bestimmten Industrie. Das ist aus meiner Sicht das spannendste Segment – hierauf sollten wir uns auch in Deutschland und Europa fokussieren. Denn wir haben in Europa sehr viele und sehr starke Industrien, die nun mit KI-Technologien auf das nächste Level gehen können. Das scheint mir sinnvoller, als direkt mit OpenAI zu konkurrieren.
Trauen Sie sich, eine Prognose abgeben, welche KI-Start-ups oder KI-Megatrends sich in Ihren Augen am Ende durchsetzen werden?
Ich denke, viele Industrien – um nicht zu sagen alle – werden sich dadurch grundlegend verändern. Ich persönlich finde Gesundheit, Biotech und Robotics sehr spannend, in allen drei Branchen wird KI für völlig neue Formen der Wertschöpfung sorgen. Ein weiteres Thema, das mich auch persönlich sehr umtreibt, ist die Bildung. Wir wissen aus der Forschung, dass ein Tutor, also ein direkter Ansprechpartner, die beste Art ist, um Wissen zu vermitteln. Das ist in der Schule aber aus Effizienz- und Ressourcengründen gar nicht richtig umsetzbar. Ich glaube, dass KI-Technologien auch auf diesem Feld unglaubliche Chancen bieten.
Lesen Sie auch: Ein Jahr ChatGPT – diese Grafiken zeigen, wer die Gewinner des KI-Hypes sind












