Künstliche Intelligenz Welche Algorithmen es schon von der Stange gibt

Ein Roboter-Bausatz, ähnlich einem Plastik-Modellbausatz vor dem Zusammenbau Quelle: imago images

KI muss nicht immer von Grund auf neu entwickelt werden. Eine exklusive Auswertung zeigt, für welche Zwecke schon Standard-Lösungen existieren – und für welche nicht.

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In einer der größten Kantinen Österreichs, beim Mobilfunkanbieter A1, soll die Schlange an der Kasse ab sofort kürzer werden. Die Kassierer haben jetzt einen digitalen Helfer: Stellt jemand sein Tablett an der Kasse ab, hat bereits eine Kamera gescannt, was darauf ist. Eine Hauptspeise, eine Limo, ein Salat – blitzschnell erkennt eine Software die Lebensmittel und erstellt automatisch eine Rechnung.

Hinter dem schlauen System steht eine Software des Wiener Jungunternehmens Moonvision. Die Österreicher haben mit Hilfe von künstlicher Intelligenz eine Plattform für Objekterkennung geschafften, die Kunden ohne großen Aufwand für ihre Zwecke anpassen können. Alles, was der Nutzer braucht, ist eine einfache Kamera und einen Computer, verspricht Gründer Florian Bauer. Um dem Programm beizubringen, bestimmte Objekte zu erkennen, etwa die Gerichte der Kantine, reiche es, ihm ein paar Exemplare davon zu zeigen. Wie bei einem Kind. „Unsere Plattform lernt rasch, zwischen Gegenständen zu unterscheiden wie ein Mensch“, sagt Bauer.

Die Software von Moonvision ist ein Beispiel dafür, wie künstliche Intelligenz zu einem Produkt von der Stange wird. War die Technik vor ein paar Jahren allenfalls in Forschungslaboren zu finden, hat sie in den vergangenen Jahren den Sprung in die Unternehmen geschafft. Mehrere tausend Start-ups wie Moonvision entwickeln KI für die verschiedensten Zwecke und Branchen, und auch Internetkonzerne wie Google und Microsoft bieten Programmierern Schnittstellen an, mit denen sie etwa Übersetzungstools ohne großen Aufwand in eigene Produkte einbauen können.

Eine exklusive Auswertung der appliedAI Initiative vom Innovationszentrum UnternehmerTUM in Garching bei München zeigt, für welche Zwecke es schon Standard-Lösungen gibt – und für welche nicht (siehe Infografik). Für viele Anwendungen sind schon Standard-Schnittstellen auf dem Markt. Oder es gibt Anbieter, bei denen man sich KI-Dienste für das eigene Unternehmen bestellen kann. „Versucht nicht alles selbst zu machen“, rät Andreas Liebl, Geschäftsführer bei UnternehmerTUM, darum deutschen Firmen. „Für viele Anwendungen ist es einfacher, sich Zulieferer zu suchen.“

Für den Bau von Chatbots, also Programmen, die sich mit Menschen unterhalten können, gibt es beispielsweise eine große Auswahl von Dienstleistern, etwa das Düsseldorfer Start-up Cognigy. Mit deren Software lassen sich Kundendialoge mit verhältnismäßig geringem Aufwand automatisieren. Auch zur Erkennung von Sprache, Gesichtern, Emotionen oder Handschriften sind zahlreiche Standardschnittstellen auf dem Markt.

Für viele andere Zwecke existieren immerhin Dienstleister, die ein passendes KI-Produkt haben und daraus ein Paket für Unternehmen schnüren können. Zum Beispiel zur vorausschauenden Wartung: Das israelische Start-up Precognize hat eine Lösung entwickelt, die die Daten ganzer Fabriken auswertet und dabei wie ein Frühwarnsystem Alarm schlägt, wenn etwa ein Ventil kaputt zu gehen droht. Solche KI-Dienste für den eigenen Zweck einzurichten, erfordert allerdings weit größeren Entwicklungsaufwand als etwa die Integration einer Übersetzungs-Schnittstelle.

Und schließlich haben die Münchner Experten, als sie den Markt gescannt haben, eine Reihe von KI-Anwendungen gefunden, für die es bisher nur Eigenentwicklungen von Unternehmen gibt. Wer etwa eine autonome Drohne oder ein Flugtaxi bauen will, findet dafür noch keine Standardsoftware. Start-ups wie Lilium aus München oder Volocopter aus Bruchsal haben dafür ihre eigenen Algorithmen entwickelt.

Unternehmen, die sich auf dem Markt mit künstlicher Intelligenz auf einzigartige Weise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen oder selbst zum Anbieter von KI-Produkten werden möchten, rät Hendrik Brakemeier, KI-Experte bei UnternehmerTUM: „Konzentrieren Sie sich auf Anwendungen, die sehr stark auf einzelne Branchen zugeschnitten sind. Hier können insbesondere deutsche Unternehmen ihren Vorsprung an Fachwissen und branchenspezifischen Daten einbringen.“ Und basierend auf Services von beispielsweise Google und Microsoft eigene Lösungen entwickeln.

Dabei sei es wichtig, zunächst den Markt von bestehenden Lösungen umfassend zu analysieren. „Häufig gibt es bereits KI-Produkte, auf denen Unternehmen bei der Umsetzung eigener Lösungen aufbauen können.“ Etwa in Kooperation mit Start-ups.

Welche Neugründungen in Deutschland an künstlicher Intelligenz arbeiten, haben die Münchner in einer Marktübersicht zusammengestellt (siehe Bild). Dabei wählten sie nur Gründungen aus, die mit Machine-Learning arbeiten, also mit den aktuellen Technologien künstlicher Intelligenz. Mehr als 400 Jungunternehmen haben die Experten evaluiert und dabei auch das Branchenwissen von Technologieanbietern, Anwenderunternehmen und Venture-Capital-Investoren einbezogen.

Die KI-Landschaft in Deutschland mag nicht so üppig sein wie im Silicon Valley. Trotzdem sind viele starke Unternehmen dabei, die inzwischen über Deutschland hinaus bekannt sind. Das Kölner Start-up DeepL übersetzt Texte so gut in verschiedene Sprachen, dass Unternehmen es sogar dem Google-Dienst Translate vorziehen.


Grafik: Die deutsche KI-Start-up-Landschaft

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