Microsoft gegen Google: „KI in der Suche ist für Microsoft lukrativer als es scheint“

Im Februar 2023 kündigte Microsoft an, seine Bing-Suche um die KI von ChatGPT zu erweitern.
WirtschaftsWoche: Herr Lewandowski, vor einem Jahr kündigte Microsoft an, die KI von ChatGPT in seine Suchmaschine Bing zu integrieren, um die Suche zu verbessern. Wie sieht’s bei Ihnen aus: „Googeln“ Sie noch, oder „bingen“ Sie schon?
Lewandowski: Beruflich bin ich natürlich ohnehin auf allen Plattformen unterwegs. Aber als privater Nutzer sehe ich trotz Microsofts KI-Vorstoß auch heute noch keinen zwingenden Grund, warum jemand von Google zu Bing wechseln müsste.
Das heißt, die Verbindung mit ChatGPT hat Bing nicht entscheidend besser werden lassen als Google?
Das will ich gar nicht bewerten. Das Kriterium, warum Menschen heute eine Suchmaschine wechseln oder auch nicht, ist nicht in erster Linie die Qualität der Ergebnisse.
Was dann?
Qualitativ sind die Ergebnisse von Bing mit denen von Google für die meisten Suchanfragen vergleichbar. Es ist lange her, dass sich Google mit einem signifikant besseren Suchalgorithmus von damaligen Konkurrenten wie Yahoo, Lycos, Altavista oder anderen abgesetzt und seine Rolle als Technologieführer errungen hat. Heute liegt es an der Integration der Suche in Googles digitales Ökosystem vielfältigster Dienste und seine Omnipräsenz, dass der Großteil der Menschen die Suche im Netz einfach mit „googeln“ gleichsetzt.

Dirk Lewandowski
Man muss sich fast anstrengen, um im Netz an der Google-Suche vorbeizukommen.
In der Tat. Damit die Menschen an möglichst vielen Stellen auf Google stoßen, gibt der Konzern immense Summen aus, um auf fremden Plattformen voreingestellt zu sein. 2021 allein zahlte Google 26,3 Milliarden Dollar, um in den Browsern Apple Safari und Mozilla Firefox sowie auf Samsung-Telefonen als präferierte Suchmaschine zu erscheinen.
Und das erklärt, warum sich die globalen Marktanteile im Suchmaschinengeschäft in den vergangenen zwölf Monaten kaum verschoben haben, Bing weiterhin nur wenig über drei Prozent pendelt?
Studien zeigen: Die Menschen sind konservativ. Die Wenigsten sind auf der Suche nach einer besseren Suche. Solange Googles Ergebnisse gut genug sind, ist der Veränderungsdruck für die Masse gering. Da zählt dann nicht, ob ein Konkurrent wie Microsoft vielleicht ein graduell besseres Sucherlebnis bietet.
Hätten Sie nicht erwartet, dass der Komfortgewinn, bei Bing Fragen in Form ganzer Sätze stellen und diese von Microsofts Copilot ebenso ausformuliert beantwortet zu bekommen, mehr Menschen zum Wechsel bewegt?
Das hängt stark von der Komplexität der Suchen ab. Bei den meisten Suchanfragen handelt es sich um einfache Suchen, etwa nach einem Produkt, einer Adresse oder einem bestimmten Onlineangebot. Dafür braucht es keine ausformulierten Fragen und Antworten. Und dann gibt es die Leute, für die – meist bei komplexeren Themen – die natürlichsprachige Recherche ein Gewinn ist. Aber von denen verwenden eben viele direkt ChatGPT, das zeigen etwa Analysen von Similarweb: Danach liegen die monatlichen Aufrufe von ChatGPT heute bei rund 34,4 Millionen Visits in Deutschland, Bing kommt mit rund 43,3 Millionen nur auf rund ein Drittel mehr, obwohl es sich ja um ein seit Jahren etabliertes Angebot handelt.
Dass ChatGPT keine Quellen für seine Antworten liefert, Bing hingegen schon, ist für die Suchenden kein Auswahlkriterium?
Für Leute wie Sie und mich – Medienmenschen, Forschende, und ähnlich faktenfokussierte Berufe – sind Quellen äußerst wichtig. Für die Durchschnittssuchenden im Netz dagegen viel weniger. Da stellen wir immer wieder ein bemerkenswertes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Suchergebnisse fest. Die Erfahrung bei einfachen Recherchen, dass die Ergebnisse meist ziemlich zutreffend sind, bestätigt die Leute darin, sich auf die Suchplattformen zu verlassen, ohne noch die Güte und Vertrauenswürdigkeit der Anbieter hinter den Fundstellen prüfen zu müssen. Diese Bequemlichkeit und das recht blinde Vertrauen vieler Onliner hat allerdings eine riskante Kehrseite…
Wo liegt das Problem?
Dass sich beispielsweise Falschinformationen, Verschwörungstheorien und auch gezielte Propaganda im Netz so leicht verbreiten lassen. Wer aus Gewohnheit kritiklos den bestplatzierten Suchergebnissen folgt, hinterfragt auch bei der Suche nach politischen und gesellschaftlichen Themen eher nicht, wer eigentlich hinter welchen Fundstellen im Netz steckt und mit seinen Botschaften dort welche Interessen verfolgt. Das machen sich auch Populisten und andere Verbreiter vermeintlich einfacher Botschaften eifrig zu Nutze.
Wären da ausformulierte Antworten, wie sie der Microsoft Copilot bei Bing im Gegensatz zu Google bietet, nicht geeignet, um auch den Hintergrund von Fundstellen im Netz einzuordnen?
Es gäbe viele Möglichkeiten, Suchergebnisse anders und informativer aufzubereiten. Zum Beispiel ließen sich Antworten und Fundstellen zu Produktfragen, aber auch zu gesellschaftlichen Themen um eine Einordnung ergänzen, wie sich der Inhalt des Links etwa im Verhältnis zur Mehrheitsmeinung im Netz positioniert. Solche Daten könnten die Suchmaschinenbetreiber erfassen und auswerten. Bisher scheint es ihnen aber keinen Vorteil bei der Gewinnung und Bindung von Nutzern zu versprechen.
Dass wir uns im Alltag in ganzen Sätzen und natürlicher Sprache mit Computern unterhalten, Suchanfragen stellen oder andere Aufträge erteilen, bleibt also Science-Fiction?
Ganz sicher nicht. Auf Smartphones, Tablets, in Autos oder vernetzten Lautsprechern ist Sprache ja längst für die Kommunikation mit der Maschine etabliert, auch bei Google. Ich bin überzeugt, dass die multimodale Suche zum Standard wird. Dazu gehören auch ausformulierte, gesprochene Suchanfragen und -antworten. Die Technologie dafür ist längst etabliert und mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Sprachmodelle werden die Antworten noch flüssiger.
Sehen Sie Bing mit ChatGPT da nicht im Vorteil gegenüber Google? Immerhin sprach Google Chef Sundar Pichai von „Alarmstufe Rot“ für sein Unternehmen, als Microsofts Kooperation mit dem ChatGPT-Entwickler OpenAI bekannt wurde.
Ich glaube, dass Google weniger von der Integration der KI überrascht war als von der Geschwindigkeit, mit der Microsoft plötzlich vorangeprescht ist. Ich denke, es ging Pichai vor allem um das Tempo, mit dem die Entwicklungen vorangetrieben werden sollten. Dass auch Google intensiv an KI arbeitet, war ja keine Neuigkeit.
Und dass Bings Reichweite noch bei einstelligen Werten verharrt, belegt, dass die Panik bei Google unbegründet war?
Die Sorge, dass der Konkurrent bei der Internetsuche enteilt, war meines Erachtens ohnehin unbegründet. Dazu ist Googles Rolle viel zu dominant. Ich bezweifele auch, dass Microsoft-Chef Satya Nadella ernsthaft mit massiven Verschiebungen gerechnet hat. Ich glaube, die KI in der Suche ist primär eine strategische Entscheidung, mit der Microsoft die Kompetenz demonstrieren und zugleich seine KI-Systeme trainieren will. Viel wichtiger ist, ob und wie die Integration des Copiloten in die gesamte Windows- und Office-Welt Umsatz und Gewinn von Microsoft beeinflusst.
Kann Microsofts KI-Plan dort aufgehen, wenn er schon in der Suche nicht funktioniert hat?
Das bleibt abzuwarten. Es ist ja erkennbar, dass der Konzern unter anderem mit den verschiedenen Abo-Modellen für die KI-Integration neue Erlösquellen erschließen will. Da jetzt schon von Fehlschlag zu sprechen, wäre deutlich verfrüht. Und übrigens, wenn man genauer hinschaut, hat sich auch das Suchgeschäft für Microsoft seit der Integration der KI viel besser entwickelt, als es der Blick auf die globalen Marktanteile vermuten lässt.
Inwiefern?
In den USA ist der Marktanteil bei der Suche in den vergangenen zwölf Monaten um rund einen Prozentpunkt von etwa sechs auf ungefähr sieben Prozent gestiegen. Das klingt wenig, aber die KI in der Suche ist für Microsoft lukrativer als es scheint: Man muss nämlich bedenken, dass schon im Jahr 2021 in den USA gut 150 Milliarden mit Suchmaschinenwerbung verdient wurden. Wenn man auch nur einen kleinen Anteil mehr an diesem riesigen Kuchen hinzugewinnt, bedeutet das hohe Umsätze. Damit ergeben dann auch Milliardeninvestitionen wie die in OpenAI Sinn.
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