Öffentliches Leben mit digitaler Kontrolle Was eine Corona-App leisten muss

Eine App dabei helfen, dass Deutschland das öffentliche Leben wieder aktivieren kann ohne die Ansteckungsgefahr deutlich zu erhöhen. Quelle: dpa

Mitte April will Berlin eine Tracking-App starten, die bei der Coronavirus-Eindämmung helfen und schnelle Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen unterstützen soll. Verschiedene Konzepte konkurrieren bei der Corona-App.

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Das Zieldatum ist gesetzt: Um den 16. April herum will die Bundesregierung den Startschuss für die geplante neue Smartphone-App geben, die über Standort- und Kontaktdaten Infektionswege des Coronavirus aufspüren kann. Geht es nach dem Willen der Experten, sollen sich möglichst alle Bürger die App auf ihre Handys laden, um gewarnt werden zu können, wenn man nahen und längeren Kontakt zu einer später positiv auf Covid-19 getesteten Person hatte. Die App dürfte bei der Vorbereitung von Lockerungen der Ausgangssperren in Deutschland eine zentrale Rolle spielen. Aber klar scheint auch: Wegen strenger Datenschutzvorschriften geht das nur über Freiwilligkeit.

In der Regierung wird fieberhaft an dem Plan gearbeitet, der wegen seiner Dimension und der politischen Fallstricke fast wie ein Geheimprojekt behandelt wird. Am 20. April wollen Bund und Länder über Lockerungen der Kontaktbeschränkungen entscheiden - wenn sich die Ausbreitung des Virus deutlich verlangsamt hat. Aber selbst dann wollen Regierung und das Robert-Koch-Institut die Rückkehr zu mehr öffentlichem Leben nur dann riskieren, wenn es neue Wege gibt, Ansteckungsgefahren schnell zu entdecken. „Ohne eine digitale und automatisierte Lösung lässt sich das angesichts der großen Fallzahlen gar nicht mehr leisten“, sagt der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Thorsten Frei dazu zu Reuters. Die Gesundheitsämter seien schon jetzt überfordert, bei Infizierten die Kontakte der vergangenen 14 Tage festzustellen und die Betroffenen zu warnen. „Zufallskontakte etwa in der U-Bahn lassen sich durch Befragungen ohnehin nicht ermitteln.“

Also wird wie in Singapur, Südkorea oder China der Weg über eine App gesucht, die potenziell gefährliche Kontakte automatisch analysiert. Mittlerweile ist parteiübergreifend Konsens, dass die Übermittelung eigener Gesundheitsdaten über eine solche App freiwillig sein soll. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich eine Abfuhr für seinen Vorstoß geholt, im Infektionsschutzgesetz eine verpflichtende Handy-Ortung über Funkmastenabfragen festzuschreiben. Aber auch der Vorschlag des Co-Direktors des Chinesisch-Deutschen Freundschaftskrankenhauses in Wuhan, Eckard Nagel, zumindest eine Covid-19-App verpflichtend zu machen, weil alle möglichen Ansteckungsfälle erfasst werden müssten, scheint chancenlos.

Ulrich Kelber ist Bundesbeauftragter für Datenschutz. Er spricht über den Vorwurf an seine Zunft, Innovationen zu blockieren – und erklärt, warum es in Deutschland nur freiwillig installierte Corona-Apps geben darf.
von Sven Böll

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte am Dienstag im Deutschlandfunk, dass nur ein freiwilliger Weg infrage komme. Das sieht auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, so. „Wie wollen Sie in einem demokratischen Land die Nutzung einer App erzwingen? Der Staat müsste das doch auch überprüfen. Das geht doch gar nicht mit verhältnismäßigen Maßnahmen“, sagte Kelber der WirtschafsWoche. Deshalb gebe es keine Alternative zu einer freiwilligen Nutzung. SPD-Chefin Saskia Esken sagte zu Reuters, sie würde sich eine solche App selbst installieren. Eine verpflichtende App-Lösung könne gar nicht umgesetzt oder kontrolliert werden, meint Unions-Fraktionsvize Frei. Stattdessen schlägt er ein Anreizsystem mit einer Steuergutschrift vor, wenn Bürger die App herunterladen. „Eine Steuergutschrift könnte die Bereitschaft zum Einsatz erhöhen“, so Frei.

Coronavirus: Konkurrenz der Apps

Eine Kopie des Systems in Singapur wird dabei von deutschen Politikern nicht für möglich gehalten, auch wenn die dortige Regierung sogar entsprechende Software-Hilfe angeboten hat. Das in dem Stadtstaat eingesetzte umfangreiche Sammeln von Daten passe nicht zu deutschen und europäischen Datenschutzstandards, lautet das Argument in Berlin. Also wird unter Leitung des Gesundheitsministeriums in aller Eile versucht, eine App zu entwickeln - unter Mithilfe externer IT-Firmen und den Experten des RKI. Allerdings gibt es Konkurrenz. Beispielsweise glaubt das Start-up GeoHealthApp in Hannover, sehr viel schneller und sicherer sein zu können. „Wir gehen diese Woche in die Testphase“, sagt Mitgründer Maxim Gleser zu Reuters. Und in Österreich gibt es schon eine „Stopp-Corona-App“, die allerdings Startschwierigkeiten aufweist.

Die Standorte der Nutzer und ihre Kontakte können technisch auf unterschiedlichen Wegen ermittelt werden. Während in Berlin vor allem eine Lösung über Bluetooth nachgedacht wird, setzt GeoHealthApp auf eine Ortung der Personen durch das GPS-Navigationssystem. Dies sei schneller umsetzbar und schütze die Anonymität der Nutzer besser, meint Gleser. In einem späteren Schritt könne man die Ortung immer noch durch Hinzunahme von Bluetooth verbessern. Allerdings sind sich alle einig, dass der digitale Infektionsschutz nur funktioniert, wenn am Ende alle dieselbe App nutzen. Und da dürfte sich wohl die Regierung durchsetzen, die zudem mit den Spezialisten des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik in Berlin zusammenarbeitet.

Unternehmer Mathias Reidel verspricht eine Alternative zum Shutdown: Eine App soll alle Straßen und Gebiete identifizieren, in denen es keine Ansteckungsgefahr mehr gibt. Wenn die Datenschützer mitmachen.
von Jürgen Berke

Ein alternatives Konzept startete der App-Entwickler Mathias Reidel mit dem Münchner Start-up Open as App, mehreren Entwicklern von Open-Source-Software und ehemaligen Microsoft-Kollegen eine gemeinsame Initiative mit dem ehrgeizigen Ziel, „für die gute Sache und auf freiwilliger Basis“ eine bundesweit funktionierende Corona-Erkennungs-App für alle Smartphones zu bauen. Seine neue „Covid-19 Tracking App“ soll in Echtzeit die tatsächlichen Fälle einer Straße, eines Ortes oder einer Region erfassen und feststellen. „Es geht um die kleinste Zelle, und damit auch um den Landkreis und damit auch um das Bundesland“, sagte Reidel vergangene Woche gegenüber der WirtschaftsWoche.

Können die Entwickler die hochgesteckten Ziele erreichen und Mitte April starten, blieben noch einige Tage, um Kinderkrankheiten bei der Neuentwicklung zu beseitigen. Immerhin müsste die neue App wohl den Ansturm von Millionen Bundesbürgern verkraften. Allein in Singapur spielten sich in den ersten drei Tagen 620.000 Nutzer die App auf ihre Smartphones.

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