
Als der koreanische Elektronikriese Samsung in seiner Zentrale in Seoul Besuch vom US-Computerbauer Apple erhält, brütet die asiatische Metropole schon seit Tagen in einer Hitzewelle. Es ist der 4. August 2010. Zwar sind Delegationen aus Kalifornien bei Samsung nicht ungewöhnlich. Schließlich bauen die Koreaner mit dem Prozessor das Herz von iPhone und iPad. Apple ist inzwischen gar der größte Einzelkunde des Elektronikkonzerns.
Doch dieser Besuch ist anders. Apple-Chef Steve Jobs persönlich hat ihn eingefädelt. Und anstelle von Ingenieuren reisen diesmal Juristen nach Asien. Samsung macht in jenen Tagen Apple zunehmend Konkurrenz mit eigenen Smartphones und Tablet-Rechnern. Und die sehen nach Meinung von Jobs den Produkten seines Konzerns viel zu ähnlich. Den taiwanischen Hersteller HTC hatte er wegen solcher Handys schon im März 2010 verklagen lassen und dessen Management als Diebe bezeichnet.
Im heißen Seoul halten die Apple-Juristen eine Präsentation: „Wie Samsung Apple-Patente in Smartphones nutzt.“ Und sie informieren die Koreaner, dass deren Produkte auch Rechte am preisgekrönten Apple-Design verletzten. Insgesamt treffen sich die Juristen der Konzerne in den Folgemonaten vier Mal. Einig werden sie sich nicht.
Am 15. April 2011 passiert es dann. Apple reicht in Kalifornien eine Klage gegen Samsung ein: Samsungs Galaxy-Baureihe kopiere sklavisch Designs und Funktionen von iPhone und iPad, heißt es darin. Dutzende gleich lautende Klagen folgen rund um den Globus, unter anderem in Japan, Korea – und Deutschland.
Vorwürfe der Smartphone-Hersteller
- Die 3G-Fähigkeit
- MP3-Musikstücke wiedergeben
- Per Handy Fotos machen und senden
- Die letzte Position in einer Bildergalerie wieder aufrufen
- E-Mails in Echtzeit aufs Handy gepusht bekommen
- Eine im Handykörper verbaute Antenne
- Drahtloses System zum Übertragen von Nachrichten
- Steuerung per Finger, etwa Zwei-Finger-Zoom-Funktion
- Abfedern, wenn das Ende einer Web-Site erreicht ist
- Telefonnummern und E-Mail-Adressen in Texten automatisch in antippbare Links verwandeln
- Design von iPhone und iPad
- Grafische Benutzeroberfläche
- Bildschirm mit einem Fingerwisch entsperren
- Autokorrektur bei Schrifteingabe
- Eine Technologie, mit der App-Entwickler eine fingergesteuerte Scroll-Funktion in ihre Apps einbauen können
- Senden und Empfangen von SMS-Nachrichten länger als 160 Zeichen
- Erstellen, Senden und Empfangen von Kalender-Terminen
- Von Microsoft entwickeltes Dateiordnungssystem
- Daten über das WLAN-Netzwerk übertragen
- Nutzen des H.264-Videokompressionsverfahren
Anderthalb Jahre danach liegt in der Technologiebranche praktisch jeder mit jedem im Streit. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendwo ein IT-Riese einen anderen verklagt. Mal knöpft sich Google Apple vor, dann geht es gegen Samsung, ein anderes Mal steht Microsoft vor dem Kadi. Just in diesen Tagen treffen in einem US-Gericht Apple und Samsung zum bisher größten Showdown aufeinander.
Patente als Waffe
Dabei wird die historische Idee des Patents – dass Erfinder ihre Kreation in Einkommen verwandeln können, weil andere sie nicht abkupfern dürfen – völlig neu interpretiert: Sie dienen weniger dem Schutz großer Ideen, sondern werden zur Waffe, um Konkurrenten zu blockieren. Damit schlägt die Branche gefährliche Wege ein, kann ihre Innovationsfähigkeit auf Jahre behindern. Früher konzentrierten sich Handyhersteller darauf, die coolsten Telefone, die beste Technik und die schnellste Software zu entwickeln. Heute gewinnt derjenige, der die schlagkräftigsten Anwälte hat.
Streitpunkte gibt es zuhauf. Denn in einem typischen Smartphone stecken 20.000 bis 100.000 Patente: der virtuelle Schieberegler, mit dem Nutzer den Handybildschirm entsperren; die Art, wie sich Programme öffnen; selbst die Möglichkeit, Kurznachrichten zu schicken, die länger sind als 160 Zeichen, sind patentiert. Allein die Funktion, auf dem Smartphone ein PDF-Dokument zu öffnen, ist mit mehr als 100 Patenten unterschiedlicher Unternehmen geschützt.