Virtual Solution Investor verkauft Cybersecurityfirma der Bundesregierung

Koalition am Handy: Virtual Solution sorgt dafür, dass die Kommunikation der Minister sicher ist. Die Bundesregierung und mehrere Ressorts nutzen SecurePIM. Quelle: Imago

Virtual Solution verfügt über die höchsten Sicherheitsstandards und schützt deshalb die Kommunikation von Ministerien und Geheimdiensten. In den vergangenen Monaten hatte Die Linke viele Fragen zu der Firma. Jetzt verkauft der Eigentümer sie.

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Das Bundeskriminalamt vertraut ihr, das Auswärtige Amt auch und das Innenministerium schon seit acht Jahren: Die Produkte der IT-Sicherheitsfirma Virtual Solution (VS) nutzen viele deutsche Minister und Beamte auf ihren Mobilgeräten. Die Technik schützt ihre Kommunikation vor ungebetenem Zugriff. Gerade erlebt VS den Zugriff aufs eigene Knowhow: Die Münchener Aktiengesellschaft hat einen neuen Eigentümer. Der Investor und bisherige Hauptanteilseigner Nicolaus von Rintelen hat VS für einen nicht genannten Preis an den Dortmunder IT-Spezialisten Materna verkauft, wie der Käufer an diesem Montag mitteilt.

„Virtual Solution hat mit SecurePIM eine tolle Lösung“, sagt Materna-Chef Martin Wibbe der WirtschaftsWoche. Diese erlaubt mobiles Arbeiten mit vertraulichen Dokumenten, unabhängig vom Smartphone-Typ und der Kommunikationsplattform. Produkte wie diese machten den Unterschied, sagt Wibbe. „Deswegen haben wir uns sehr gefreut, als sich die Möglichkeit ergab einzusteigen.“ Rintelens etwa 97 Prozent und die verbleibenden drei Prozent der Anteile im Streubesitz sind bereits an Materna übergegangen.

Für den Mittelständler mit 3000 Mitarbeitern und etwa 355 Millionen Euro Jahresumsatz ist es nicht die erste Akquisition. Ein knappes Dutzend Tochtergesellschaften gehören bereits zum Portfolio. Gleichwohl ist der jüngste Zukauf nicht ohne Brisanz. Politiker der Partei Die Linke stellten in den vergangenen Monaten immer wieder Fragen zu Treffen zwischen Rintelen, VS und Regierungsvertretern sowie angeblichen Verbindungen zum ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek. Ein angebliches Näheverhältnis zwischen Rintelen und dem flüchtigen Ex-Manager, also eine direkte Geschäftsbeziehung, die über sporadische Treffen hinausgeht und von der „Der Spiegel“ und andere Medien berichteten, ist jedoch nicht belegt.

Rintelen hat zwei Geschäftstreffen mit Marsalek im Jahr 2018 eingeräumt, aber stets bestritten, mit ihm ein solches Näheverhältnis gepflegt zu haben. VS beauftragte eigens einen Wirtschaftsprüfer mit einer Untersuchung, die zu dem Ergebnis kam, dass die Vorwürfe „jeder Grundlage entbehren“. Ob die Anfragen an die Bundesregierung und die Berichte über ihn den Verkauf an Materna beeinflusst haben, wollte Rintelen nicht beantworten.

Wibbe sagt, sie hätten „keine Rolle gespielt. Wir haben das zur Kenntnis genommen, es hat uns aber nicht von unserer Entscheidung abgehalten.“ Schließlich sei es ihnen um die Firma gegangen, „und mit deren Management haben wir kommuniziert.“ Der Bundesverband IT-Sicherheit, in dem VS Mitglied ist, will sich nicht zum Unternehmen äußern. Aus deutschen IT-Sicherheitskreisen heißt es, Unregelmäßigkeiten seien nicht bekannt. Die Firma habe schlicht ein Problem gelöst, für das es kein Produkt gegeben habe.

Eine Lösung, die Rintelen nach eigenen Angaben unbedingt in Deutschland halten wollte. Es sei immer sein Ziel gewesen, „das Unternehmen aufzubauen und an einen guten deutschen Investor zu verkaufen. Wir Deutschen sind in der Lage, für unsere IT-Sicherheit selbst zu sorgen“, sagt der Wahl-Schweizer Rintelen.

VS wurde 1996 gegründet, Rintelen übernahm 2014 rund 97 Prozent. Seitdem ist die Mitarbeiterzahl von 40 auf 90 gestiegen. Das Bundesamt für Informationssicherheit (BSI) zertifiziert das Unternehmen mit den höchsten Sicherheitsstufen wie „Nato restricted“ und „VS-NfD“ (Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch). Geführt wird die Firma von Sascha Wellershoff. Im gemeinsamen Videointerview mit Wibbe berichtet er von einem ersten Kontakt zu Materna im Jahr 2020. Seither habe es immer wieder mal gemeinsame Überlegungen gegeben, etwa über eine Vertriebskooperation.

Im September 2020 beauftragte Rintelen nach eigenen Angaben eine Bank, Ausschau nach potenziellen Käufern zu halten. Im Sommer 2021 sei es dann ernst geworden: Ein „normaler M&A-Prozess mit verschiedenen Wendungen und Wandlungen“, wie Wibbe das nennt, folgte. Es gehe „natürlich auch immer darum zu eruieren, was eine Firma wert ist“. Da herrsche „auch mal Funkstille, aber die hat sich wieder gelegt.“ Am 15. Februar war alles erledigt.

Maternas Ziel für 2025: 5000 Mitarbeiter, 700 Millionen Euro Umsatz

Für die 90 Mitarbeiter am VS-Firmensitz in München ändert sich laut Materna nichts. Vorstandschef ist und bleibt Wellershoff. Er geht davon aus, dass VS durch den neuen Eigentümer „die Entwicklung und den Vertrieb unserer Produkte deutlich“ stärke. VS wird in eine große Mannschaft integriert. „Wie viele Entwickler habt ihr?“, fragt Wibbe Wellershoff im Gespräch, „40? Wir haben 850. Damit können wir deutlich schneller sein.“

An weltweit mehr als 30 Standorten helfen Materna und ein knappes Dutzend Tochterfirmen in IT-Fragen und bei der Digitalisierung. Im vergangenen Jahr verkündete Firmenchef Wibbe ein ehrgeiziges Ziel: bis 2025 700 Millionen Euro Umsatz und 5000 Mitarbeiter. Stand jetzt sind es jeweils gut die Hälfte. „Wir haben in der Behördenlandschaft bereits ein Drittel Marktanteil und sind 2021 bei Geschäften mit der öffentlichen Hand um 30 Prozent gewachsen“, sagt Wibbe. „Die Cybersecurity ist ein brutal großer Markt.“

Laut Wellershoff ist Materna „Profi im öffentlichen Sektor mit einem vertrauensvollen Beziehungsnetzwerk“. Ein solches Netzwerk und Vertrauen sind in dem sensiblen Bereich wichtig, schließlich geht es oftmals um streng vertrauliche Daten, die Hackern nicht in die Hände fallen dürfen. Zwar rüstet VS neun Bundesministerien aus, wie aus einer Antwort der Bundesregierung von diesem Januar hervorgeht. Seit Beginn der Geschäftsbeziehung 2014 zahlten die Ministerien demnach insgesamt gut 15 Millionen Euro für die Leistungen aus München. Ob etwa auch der Bundesnachrichtendienst und der Bundesverfassungsschutz SecurePIM benutzen, beantwortet die Bundesregierung mit Verweis auf Staatswohlinteressen nicht.

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Wibbe glaubt, mit seinem Adressbuch noch mehr Aufträge an Land ziehen und diese mit Maternas Entwicklern dann auch bewältigen zu können. „Die Herausforderung ist immer: Wie kriege ich schnell neue Features und Updates? Je mehr Kunden man hat, desto mehr Verbesserungswünsche bekommt man, auch vom BSI.“ Das Bundesamt setzt, schon mangels Alternativen, auch selbst auf VS.

Mitarbeit: Thomas Kuhn

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