Iceye: Dieses finnische Unternehmen gibt Rheinmetall Satelliten-Nachhilfe

Als im Frühjahr 2021 Russlands Armee beginnt, massiv Truppen an die Grenze zur Ukraine zu verlegen, bleibt das nicht lange unbemerkt. Kommerzielle Satellitenbetreiber machen Aufnahmen von Zeltcamps, Jets auf Flugfeldern, Panzerkolonnen. Internationale Beobachter fragen sich: Was tun die Truppen genau – und was hat Russland vor?
Beim finnischen Raumfahrtunternehmen Iceye wird dem Team klar, wie wichtig seine Satellitentechnologie werden kann, um diese Fragen zu beantworten. Denn bisherige optische Satelliten sind blind, wenn Wolken über die Ukraine ziehen, sie liefern tagelang keine Bilder. „Die ganze Welt, uns eingeschlossen, realisierte, dass man eine regelmäßige Überwachung brauchte, unabhängig von Tageszeit und Wetter“, erzählt Rafal Modrzewski, CEO von Iceye. „Und das kann man nur mit Radar-Satelliten erreichen.“
Satelliten also, wie sie Iceeye baut und betreibt. Sie liefern hochaufgelöste Aufnahmen von jedem Punkt der Erde, und zwar in weniger als sechs Stunden nach Bestellung. Sie können ganze Landstriche fotografieren oder Details wie Gebäude oder Fahrzeuge. Und vor allem: Sie erzeugen sogar Bilder bei Nacht oder wenn Wolken über den Himmel ziehen.
In Neuss entsteht ein Satellitenwerk
Die Aufnahmen enthalten wichtige Informationen, die die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland nutzt: „Iceye hat vom ersten Tag an eng mit dem Verteidigungsministerium der Ukraine zusammengearbeitet“, sagt Modrzewski. Die Satelliten der Finnen spüren Militärlager und Fahrzeuge auf, überwachen Russlands Logistik und Truppenbewegungen.
Inzwischen sind die Dienste des finnischen Satellitenbetreibers weltweit gefragter denn je. Gerade erst hat die polnische Armee drei Satelliten bei Iceye bestellt, Auftragswert: rund 200 Millionen Euro. Und in Neuss bei Düsseldorf baut Iceye zusammen mit dem Rüstungs- und Technologiekonzern Rheinmetall nun eine Satellitenfertigung auf. Man reagiere damit auf den bei Streit- und Sicherheitskräften weltweit gestiegenen Bedarf an weltraumgestützter Aufklärungsfähigkeit, heißt es bei Rheinmetall.
Laut den Marktbeobachtern von Mordor Intelligence sorgt das Geschäft mit spezieller Radar-Technologie, im Jargon Synthetic Aperture Radar (SAR) genannt, im Jahr 2025 für weltweit 5,8 Milliarden Dollar Umsatz; im Jahr 2030 sollen es 9,8 Milliarden Dollar sein. Vor allem das Militär, aber auch Versicherungen oder Katastrophenschutzbehörden sind stark Radarsatelliten interessiert. Neben Iceye drängen etwa auch Capella Space und Umbra Space aus den USA in den Markt; Umbra hat im April auch eine Partnerschaft mit dem deutschen Satellitenhersteller Reflex Aerospace bekannt gegeben.
Entwickelt wurden die Grundlagen der SAR-Technologie schon in den Fünfzigerjahren. Wo herkömmliche Kameras reflektiertes Sonnenlicht einfangen, senden SAR-Geräte aktiv Radarwellen aus, tausende Pulse pro Sekunde, und messen die reflektierten Wellen. Aus dem Echo können sie dann ein Bild erzeugen – ähnlich wie Fledermäuse sich im Raum orientieren.
Der Vorteil: „Radar-Bilder sind unabhängig von der Lichtsituation“, sagt Iceye-CEO Modrzewski. Wo herkömmliche Satelliten mit zu viel Sonnenlicht kämpfen (etwa in der vereisten Arktis) oder mit zu wenig (bei Schatten), liefern die Radarsatelliten klare Bilder. „Und wir können sogar bei Nacht Bilder aufnehmen“, sagt Modrzewski. Und durch Wolken dringen Radarwellen hindurch, als wären sie unsichtbar.
Das macht die Technik vor allem für zeitkritische Aufklärungszwecke interessant. „Wenn ich jetzt sofort ein Bild brauche, benutze ich Radar“, sagt Modrzewski. Militärstrategen sehen, wenn feindliche Fahrzeuge sich bewegt haben – und spüren sie in den Radarbildern sogar unter lichten Baumkronen auf. Denn die SAR-Technik erkennt nicht nur Oberflächen von Gegenständen, sondern mehr, sagt Modrzewski: „Aus welchem Material besteht ein Zielobjekt? Ist es rau oder glatt? Nass oder trocken?“ Das alles werde in den Aufnahmen sichtbar.
SAR-Sensoren seien eine extrem leistungsfähige Technologie, sagt Keith Masback, der lange Jahre leitender Angestellter der National Geospatial-Intelligence Agency in den USA war, einer Behörde für die militärische kartografische Analyse und Bildaufklärung. Heute berät er Unternehmen, darunter auch Iceye. „Als aktiver Sensor bietet er außerdem die Möglichkeit, genaue Messungen vorzunehmen, beispielsweise der Höhe eines Gebäudes.“
Lange konnten sich nur staatliche Behörden die damals teure Technik leisten. 1978 schickt die Nasa den ersten Satelliten mit SAR-Sensoren ins All. In den Neunzigerjahren verbreitete sich die Technik weltweit im militärischen Einsatz. Ab 2014 stellte die Europäische Weltraumorganisation mit ihren Sentinel-Satelliten gratis Radarsatellitendaten bereit – mit geringerer Auflösung als heute Iceye.
20 neue Satelliten pro Jahr
Im selben Jahr schloss sich ein Team der finnischen Aalto-Universität zusammen und gründete Iceye. Es war die Zeit, in der Raketenstarts preiswerter und Satelliten dank neuer Technik immer kompakter, leichter und erschwinglicher wurden. Das schuf die Voraussetzungen, den kommerziellen Einsatz der SAR-Technologien zu etablieren. „Start-ups wie Iceye spielen eine entscheidende Rolle und bewegen sich schneller, als die meisten Regierungen in der Lage sind“, sagt Experte Masback, „um fortschrittliche Fähigkeiten für Entscheidungsträger in verschiedenen Regierungspositionen bereitzustellen.“
Ein Satellit von Iceye ist nun nur noch rund 20 Millionen Euro teuer – im Vergleich zu dreistelligen Millionensummen, die zuvor pro Satellit fällig wurden. So preiswert, dass sich die Ukraine im Herbst 2022 mit einer Crowdfunding-Kampagne exklusiven Zugang zu einem Iceye-Satelliten sichern konnte. Dessen Einsatz habe „unglaubliche Ergebnisse“ gebracht, lobte der ukrainische Militärgeheimdienst (HUR) in einem Bericht auf seiner Webseite. So hätten die Daten geholfen, russische Militärziele im Milliardenwert zu vernichten.
Aber auch bei Überflutungen oder Bränden kann Iceye Informationen liefern und etwa durch den Rauch hindurchschauen. Bei den verheerenden Bränden in Los Angeles im Januar verfolgten die Iceye-Satelliten Tag für Tag, welche Häuser zerstört wurden und wie sich das Feuer ausbreitete. Katastrophenschützer können solche Daten nutzen, um ihre Hilfe zu koordinieren.
Insgesamt 48 Satelliten hat Iceye inzwischen in den Weltraum verfrachtet, die das Unternehmen teilweise selbst betreibt, teilweise seinen Kunden bereitgestellt hat. Dieses und nächstes Jahr sollen jeweils weitere 20 dazu kommen. Einige werden ab nächstem Jahr am Rhein in Neuss gefertigt.
Mit neuen Technologien will Iceye noch mehr Informationen aus den Satellitendaten herausholen, etwa menschengemachte Objekte farblich hervorheben. „Die Fernerkundung ist dann am besten, wenn mehrere Sensor- und Plattformtypen in integrierter Weise miteinander eingesetzt werden“, beschreibt Experte Masback den Trend. Radarbilder, Wärmekameras, multispektrale Kameras sollen künftig immer stärker zusammenarbeiten. Das Lagebild von Planet Erde – in den nächsten Jahren wird es immer aktueller und genauer.
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