




Es gibt Ereignisse, die stoßen das Tor zu neuen fantastischen Welten und Möglichkeiten auf. Die erste Mondlandung am 21. Juli 1969 hatte eine solche Dimension – und die Entschlüsselung des menschlichen Genoms: Zehn Jahre brauchten weltweit knapp 1000 Forscher, darunter der US-Biologe Francis Collins und der US-Unternehmer Craig Venter, bis sie das letzte Schnipsel unseres Erbguts entziffert hatten. Mehr als zwei Milliarden Euro flossen in das Projekt. Dann, im Juni 2000, war es so weit. Bei einem Empfang im Weißen Haus konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton verkünden: „Die heutige Veröffentlichung des menschlichen Genoms ist ein epochaler Triumph der Wissenschaft.“
Statt wieder nur aus der Ferne zu applaudieren, soll Europa den nächsten Paukenschlag selber setzen. So plant es jedenfalls die Europäische Kommission: Unter Leitung von Vizepräsidentin Neelie Kroes sucht die EU wie bei einer Castingshow Europas Superforscher. Dafür hat die Niederländerin die Latte hoch gehängt. Die Wissenschaftler sollen europaweit kooperieren, die großen Probleme der Gesellschaft angehen, viel riskieren, und ihre Projekte sollen einen hohen wirtschaftlichen Ertrag abwerfen.
Um das große Ziel zu erreichen und Europas Forschung im Wettlauf mit den USA und Asien an die Spitze zu katapultieren, macht die Kommission einen so gigantischen Berg Forschungsgeld locker wie noch nie. Die beiden Siegerprojekte erhalten in den nächsten zehn Jahren jeweils eine Milliarde Euro Förderung. Bisher flossen im Durchschnitt 12 bis 15 Millionen Euro in solche Kooperationen. Doch mit Kleckerbeträgen, so die Überzeugung der Brüsseler Bürokraten, lassen sich wissenschaftliche Durchbrüche heute kaum mehr realisieren.
Zumal weltweit der Wettbewerb um die Spitzenposition bei Innovationen zunimmt. Das belegt die Entwicklung der Forschungsausgaben. Da hat selbst China inzwischen Deutschland überholt, das industrielle Kernland des Alten Kontinents.

Jeweils die Hälfte der Förderung für die Sieger der neuen Forschungsinitiative stammt aus dem EU-Haushalt; die andere Hälfte finanzieren die Mitgliedstaaten sowie Dutzende Unternehmen, darunter Nokia und Airbus. Die EU will die Unternehmen intensiv in das gesamte Projekt einbinden, deshalb waren auch Forscher aus der Wirtschaft in der 25-köpfigen Auswahljury dabei. Diese Zusammenarbeit soll sicherstellen, dass die Projekte Europas Industrie Zukunftsmärkte eröffnen – und gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen lassen.
Sechs Großforschungsteams sind an den Start gegangen. Die EU-Kommission sammelte für die erste Runde ihrer sogenannten Flaggschiff-Initiative vor allem Ideen, in denen Informations- und Kommunikationstechniken eine tragende Rolle spielen. Gerade dort verliert Europa seit Jahren an Boden: Ob Halbleiter, Internet oder Unterhaltungselektronik – nur wenig davon wird noch hier hergestellt oder entwickelt.
Das große EU-Forschungsvorhaben soll das Blatt nun wenden – und zugleich drängende Probleme der Menschheit lösen. Und tatsächlich hat jedes Projekt für sich das Zeug, ein neues Technikzeitalter einzuläuten. Etwa jenes Wundermaterial, aus dem Europas Forscher extrem schnelle Computerchips produzieren wollen und Smartphones, die sich zusammenrollen und hinter das Ohr stecken lassen.
Oder Roboter, die sich allein in Fabriken, Wohnungen und auf der Straße zurechtfinden und uns in fast allen Lebenslagen zur Hand gehen. Eine andere Gruppe will das menschliche Gehirn im Computer nachbauen – sogar ein Bewusstsein soll unser Maschinen-Pendant entwickeln können.
Ende Januar kürt die Jury aus Wissenschaftlern und Industrievertretern die Siegerprojekte. Auf den folgenden Seiten lesen Sie, was sich hinter den kühnen Ideen verbirgt.