1. Startseite
  2. Technologie
  3. Mobilität
  4. Lilium: Kein Investor in Sicht – Flugtaxi-Hersteller am Boden

Flugtaxi-HerstellerLilium am Boden

Massenentlassungen und bisher kein neuer Investor: Für das Flugtaxi-Start-up Lilium sieht es düster aus. Ist damit auch der Traum von Flugtaxis geplatzt?Andreas Menn 23.12.2024 - 19:26 Uhr

Das deutsche Flugtaxi-Start-up Lilium war mit großen Hoffnungen gestartet.

Foto: REUTERS

Im Jobnetzwerk LinkedIn bahnen sich die schlechten Nachrichten aus der deutschen Luftfahrtbranche schon seit Tagen an. Dort häufen sich die Beiträge von Luftfahrtingenieuren, ihr neuer Status: „Offen für neue Jobangebote“.

Es sind Mitarbeiter von Lilium, dem Start-up aus München, das im Jahr 2015 mit großen Plänen gestartet ist – und nun offenbar eine Bruchlandung hinlegen muss. „Nach zehn Jahren und zehn Monaten ist es eine traurige Realität, dass Lilium den Betrieb eingestellt hat“, schrieb Mitgründer Patrick Nathen am Samstag auf LinkedIn. Laut einem Bericht der „Welt“ hat das Start-up am Freitag seinen mehr als 1000 Mitarbeitern die Kündigung mitgeteilt.

Im Oktober hatte Lilium die Insolvenz angemeldet, seitdem wird über Übernahmepläne für das Unternehmen spekuliert. Nun verbreiten sich die Meldungen, dass die Rettung gescheitert sei – doch offiziell ist das nicht. Anfang Dezember hatte Lilium zunächst von 200 Kündigungen gesprochen.

Ein Aus für Lilium, das wäre das Ende eines schillernden Start-ups, das für die einen als ein Vorzeigeunternehmen für die deutsche Innovationskraft galt – und für die anderen als ein Beispiel für zu große Versprechen und Selbstüberschätzung der Techbranche. Rund 1,5 Milliarden Euro haben Investoren in Lilium investiert, Top-Manager der Luftfahrtbranche hat das Start-up gewonnen und Partnerschaften mit etablierten Luftfahrtunternehmen geschlossen. Trotzdem nun die Insolvenz. Was ist schief gelaufen – und ist damit auch die Idee des Flugtaxis geplatzt?

Traum vom Senkrechtstarter in der City

Falsche Technologie, zu hohe Kosten oder zu wenig staatliche Unterstützung? Gründe für den Absturz des Start-ups aus Weßling bei München werden in diesen Tagen viele genannt.

Klar ist: Die Vision von Lilium war von Anfang an sehr kühn. „Ab 2025 wollen wir in zwei bis drei Städten oder Regionen auf der Welt einen Flugtaxi-Service betreiben“, erklärte Lilium-Gründer Daniel Wiegand im Jahr 2019 der WirtschaftsWoche. 300 Kilometer Reichweite werde der Lilium-Jet haben und 300 Kilometer pro Stunde fliegen – genug, um etwa mitten in Hamburg zu starten und eine Stunde später mitten in Köln zu landen. Zu Beginn werde ein Flug ungefähr so viel kosten wie eine Taxifahrt.

Pleite des Flugtaxi-Entwicklers

Wer Lilium durch die Insolvenz bringen soll

Der Flugtaxi-Entwickler Lilium hat für zwei Kerngesellschaften Insolvenz angemeldet – und ein eingespieltes Duo für den Rettungsflug ins Cockpit geholt.

von Henryk Hielscher

Mit der Idee waren die Gründer nicht allein – weit über hundert Start-ups, auch zahlreiche etablierte Luftfahrtunternehmen und sogar Autohersteller haben Pläne und Programme für Flugtaxis gestartet. Und haben dabei die Herausforderungen, eine völlig neue Art der Luftfahrt zu schaffen, wohl häufig unterschätzt. Pläne des Taxivermittlers Uber etwa, schon ab dem Jahr 2023 Flugtaxis über die Städte zischen zu lassen, lösten sich in Luft auf.

Auch die Entwicklung des Lilium-Jets entpuppte sich offenbar als technologisch komplizierter und teurer als gedacht. Den Marktstart des Fliegers, ursprünglich für das Jahr 2024 geplant, musste Lilium auf das Jahr 2026 verschieben. Die operative Reichweite des Jets sank auf 175 Kilometer, das Tempo auf 250 Kilometer die Stunde. Mehr gab die Batterietechnologie offenbar nicht her.

Luftfahrtexperten äußerten zudem Kritik am Antriebssystem des Münchener Start-ups, das auf eine eigene Jettechnologie baut und nicht auf Propeller wie die meisten anderen Senkrechtstarter, die weltweit in Entwicklung sind. Das Design verschlinge vor allem beim Steigflug zu viel Energie, so ein Vorwurf.

Lilium-Gründer Wiegand hat seine Technologie immer wieder verteidigt, etwa im Sommer 2022 gegenüber der WirtschaftsWoche: „Das Flugzeug ist extrem effizient im Reiseflug, hat eine sehr niedrige Lärmsignatur und kann mehr Passagiere mitnehmen“, sagt Wiegand bei einem Treffen auf dem Lilium-Testgelände in Südspanien, bei dem erstmals mehrere Medien, darunter die WirtschaftsWoche, bei einem Testflug des Lilium-Jets in Spanien zuschauten.



Nur jedes zehnte Start-up könnte überleben

Erfolge gab es: Obwohl der Jet noch in Entwicklung war, hatte Lilium erste Käufer gefunden. Mehr als 100 Festbestellungen für den Jet hatte das Start-up zuletzt gemeldet, außerdem Absichtserklärungen für nahezu 600. Unter anderem in Saudi-Arabien war das Interesse am Lilium-Flieger besonders groß.

Doch das Umfeld wurde in den vergangenen Jahren schwieriger. Nach dem Hype um Flugtaxis kehrte mehr Realismus ein. Völlig neue Flugzeugtechnologie, Zulassungsverfahren, Luftfahrtmanagement und Infrastruktur zu schaffen, das braucht Zeit.

Für Beobachter war es vorprogrammiert, dass es zu Pleiten in der Flugtaxiszene kommen würde. Schon im Jahr 2020 hatte die Unternehmensberatung Roland Berger prognostiziert, dass von rund 100 Flugtaxi-Entwicklern nur zehn bis 15 überleben würden. Die Entwicklung der neuen Fluggeräte sei langwierig und Start-ups müssten immer wieder neues Geld beschaffen.

Lesen Sie auch: Warum der Staat Lilium nicht retten sollte

„Es gibt eindeutig nicht genug Kapital, um alle Flugtaxi-Konzepte zu finanzieren“, urteilten auch die Experten der Luftfahrt-Beratung Alton Aviation Consultancy im August. „Selbst unter den 31 Herstellern, die mehr als zehn Millionen Dollar Finanzierung gesichert haben, ist es unwahrscheinlich, dass alles ihre Markteintrittsziele erreichen.“ Bisher seien mehr als 14 Milliarden Dollar Wagniskapital in die Entwicklung von Senkrechtstartern geflossen, so die Berater.

Technologie-Start-ups in den USA haben es tendenziell leichter, genügend Geld für das Wachstum und den Eintritt in den Markt zu bekommen, als Unternehmen in Deutschland. Die Bereitschaft, riskante Wetten einzugehen, ist größer. Obendrein konnten Flugtaxi-Start-ups in den USA von staatlichen Aufträgen profitieren, Joby Aviation etwa arbeitet mit dem Militär zusammen. Vorteile, die Lilium nicht genießen konnte.

Mit 1,5 Milliarden Euro Wagniskapital gehört Lilium immerhin zu den bestfinanzierten Unternehmen, die Senkrechtstarter entwickeln. Doch auch das Geld reichte nicht, die Entwicklung des Flugzeugs verschlang gewaltige Summen. Im Jahr 2023 machte Lilium 389 Millionen Euro Verlust und keinen Umsatz. 

Flugzeugbauer Lilium

Senkrechter Blindflug

von Gerhard Hegmann

Ist Lilium zu schnell gewachsen? Hätte das Start-up Wege finden können, mit seinen Entwicklungen und Mitteln erste Umsätze zu generieren, um sein Wachstum besser finanzieren zu können? Fragen, die in sozialen Netzwerken nun eifrig diskutiert werden. 

Klar ist: Zuletzt wollten Investoren offenbar kein Geld mehr nachschießen. Nachdem dann im Oktober der Versuch scheiterte, finanzielle Hilfe vom Staat zu erhalten, meldete Lilium Insolvenz an.

Toyota setzt auf US-Start-up

Nicht nur für Lilium, für die gesamte Branche ist es härter geworden, neues Geld zu beschaffen. Im Jahr 2021 floss laut Alton Aviation die Rekordsumme von sechs Milliarden Dollar in die Branche, im Jahr 2023 fiel der Wert aber auf 1,9 Milliarden Dollar. Dabei seien noch beträchtliche weitere Investitionen nötig, bis Flugtaxis kommerziell abheben könnten.

Das Feld der erfolgreichen Flugtaxifirmen werde eher dem heutigen Markt der Helikopterhersteller ähneln, mit weniger als zehn Firmen, die mehr als hundert Helikopter verkauft haben. „Das Timing ist entscheidend“, warnen die Berater von Alton Aviation, „und wenn das Flugzeug nicht in der ‚ersten Welle‘ in den Jahren 2025 bis 2026 den Betrieb aufnimmt, ist eine überzeugende Strategie für das später startende Flugzeug nötig.“

Als aussichtsreichste Kandidaten, in der ersten Welle der Flugtaxi-Kommerzialisierung dabei zu sein, werden häufig Archer Aviation und Joby aus den USA genannt, außerdem Eve aus Brasilien und Vertical Aerospace aus Großbritannien. Es sind Start-ups, die viel Geld einsammeln konnten, starke Partner aus der Luftfahrt- und Autoindustrie haben und schon zahlreiche Vorbestellungen sammeln konnten.

Joby Aviation etwa konnte sich Anfang Oktober 500 Millionen Dollar vom Autohersteller Toyota sichern. Archer wiederum erhält bis zu 400 Millionen Dollar vom Fahrzeughersteller Stellantis, der dem Start-up helfen will, jährlich 650 Flugzeuge zu bauen.

Erfunden in Schwaben, genutzt in den USA

Ob Lilium seinen Flieger rechtzeitig fertig bekommen könnte, um zu den Pionieren der Branche zu gehören, darüber lässt sich nur spekulieren. Allerdings musste das Start-up seine Zeitpläne öfter nach hinten verschieben. Während andere Flugtaxi-Start-ups etwa schon mit Piloten an Bord abheben, musste Lilium seinen ersten bemannte Flug auf 2025 verschieben.

In dem herausfordernden finanziellen Umfeld sei es für die Hersteller wichtiger denn je, technologische Fortschritte nachweisen zu können, empfehlen die Luftfahrtexperten von Alton Aviation – und klare Vorteile gegenüber den Konzepten anderer Anbieter herausstellen zu können. Lilium wollte das mit seinem Jetantrieb zwar leisten. Doch die häufig genannte überragende Reichweite des Fliegers fiel, nimmt man Unternehmensangaben als Grundlage, gegenüber der Konkurrenz zurück.

So meldete im Juli Joby einen Rekordflug über rund 842 Kilometer – sehr viel weiter also als die angestrebte operative Reichweite von 175 Kilometern bei Lilium. Möglich machte es ein neuartiger Wasserstoffantrieb, entwickelt vom Luftfahrtspezialisten H2Fly, den Joby im Jahr 2021 übernommen hatte.

H2Fly kommt übrigens aus Stuttgart. Kommerziell abheben wird die Innovation aus dem Ländle aber wohl eher in den USA.

Lesen Sie auch: Die bedeutendsten Insolvenzen des Jahres 2024

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
Stellenmarkt
Die besten Jobs auf Handelsblatt.com
Anzeige
Homeday
Homeday ermittelt Ihren Immobilienwert
Anzeige
IT BOLTWISE
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Remind.me
Jedes Jahr mehrere hundert Euro Stromkosten sparen – so geht’s
Anzeige
Presseportal
Lesen Sie die News führender Unternehmen!
Anzeige
Bellevue Ferienhaus
Exklusive Urlaubsdomizile zu Top-Preisen
Anzeige
Übersicht
Ratgeber, Rechner, Empfehlungen, Angebotsvergleiche
Anzeige
Finanzvergleich
Die besten Produkte im Überblick
Anzeige
Gutscheine
Mit unseren Gutscheincodes bares Geld sparen
Anzeige
Weiterbildung
Jetzt informieren! Alles rund um das Thema Bildung auf einen Blick