Mobilität Deutschlands schnellste Städte

Ein exklusives Ranking zeigt Deutschlands schnellste und langsamste Städte. Autohersteller, Bahnbetreiber und Technologiekonzerne wollen den Nahverkehr jetzt revolutionieren. Ihr Vorbild: Apple und Google.

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Die Mobilität ist aus Sicht von Investoren der wichtigste Standortfaktor.

Shoichiro Toyoda geht durch den Showroom des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). Der 86-jährige Sohn des legendären Toyota-Gründers lässt sich Ladestationen und Elektrofahrräder erklären – eine Dolmetscherin im weißen Businesskostüm übersetzt. Der Japaner, bis 1999 Toyota-Chef, informiert sich an diesem sonnigen Oktobertag in der Bundeshauptstadt über Deutschlands mobiles Vorzeigeprojekt. Solarmodule und Mini-Windräder erzeugen Strom, mit denen Elektroautos aufgetankt werden. Auf dem Carsharing-Parkplatz mit E-Autos setzt sich Toyoda in einen Smart und lauscht später dem simulierten Motorengeräusch des Golf Blue Motion. Dann will er wissen, ob Kunden den Toyota Prius Hybrid mögen. Und noch was: Ob Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch auch schon da gewesen sei.

Toyodas Neugier hat einen Grund: Das Geschäftsmodell der Autokonzerne verändert sich. Sie müssen künftig mehr bieten, als nur Autos zu bauen. Der Traum von neuen Formen der Mobilität wird plötzlich real. Befeuert durch die Energiewende wird sie elektrisch, sauber, grün, aber auch praktisch, intelligent, vernetzt. Schon heute steigen viele Städter auf Mietfahrräder, Carsharing-Autos, Busse und Bahnen um. Prompt wittern traditionelle Verkehrskonzerne wie Auto- und Bahnhersteller sowie Zulieferer ihre Chance. Der Wettbewerb um das beste Geschäftsmodell der Mobilitätsdienstleister ist voll entbrannt.

Dass es sich dabei um einen Milliardenmarkt handelt, beweist eine weltweite Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL), die die WirtschaftsWoche exklusiv veröffentlicht. Danach werden sich Investitionen in städtische Mobilität von heute rund 300 Milliarden Euro pro Jahr bis 2050 fast verdreifachen. Die Studie bewertet auch die heutige Leistungsfähigkeit der Mobilität in den Metropolen der Welt. Die Experten zählten unter anderem die Angebote von Carsharing und Elektrofahrrädern, bewerteten die Mobilitätsstrategien der Städte und recherchierten das Tempo des Nahverkehrs. Ergebnis: Keine Stadt ist schneller und besser vernetzt als Hongkong, gefolgt von Amsterdam und London.

Bei den 15 größten deutschen Städten zeigte der Mobilitäts-Check Nachholbedarf. Nur München brachte es mit seinem Konzept auf akzeptable Leistungen und kam weltweit unter die Top Ten. Es folgen Hamburg, Berlin, Stuttgart und Leipzig, Schlusslichter sind Köln und Düsseldorf. Nirgendwo in Deutschland ist die komplette Vernetzung aller Verkehrsträger aber annähernd gelöst.

Mobilität ist Standortfaktor

Megamarkt städtische Mobilität

Dabei eignet sich Deutschland bestens, die Weichen für intelligente Mobilitätskonzepte zu stellen, denn die weltweit führenden Verkehrstechnikunternehmen sitzen hierzulande: Autohersteller wie BMW, Daimler und Volkswagen, Hersteller von Zügen und Bahnkomponenten wie Siemens und Voith, IT- und Telematik-Konzerne wie Toll Collect und Deutsche Telekom. Die Unternehmen sind inzwischen die Treiber der mobilen Zukunft, die über die wirtschaftliche Dynamik einer Stadt entscheidet. Mobilität ist der mit Abstand wichtigste Standortfaktor für Investoren (siehe Grafik).

Ein Beispiel: Amazon eröffnete im Juli ein Kundenservice-Zentrum in Berlin mit bis zu 400 Arbeitsplätzen. Als Grund nannte der US-Internet-Konzern neben qualifizierten Mitarbeitern die „gute Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel“.

Erfolgreiche Geschäftsmodelle

BMW-Chef Norbert Reithofer erklärte das Unternehmen zum Mobilitätsanbieter. Quelle: APN

Für den Megamarkt Nahverkehr reichen die bisherigen Konzepte der Anbieter von Mobilität für Städte aber nicht mehr aus. „Die Unternehmen verändern ihr Geschäftsmodell radikal“, sagt ADL-Partner Ralf Baron. Sie streben in Geschäftsmodelle, wie sie in der Informationstechnologie erfolgreich sind: Apple, Google oder Dell haben mit ihren verschiedenen Strategien nicht nur die Regeln ihrer Branche, sondern das Geschäft weltweit verändert. Nun dienen sie als Vorbild. „Die Unternehmen eifern den Idealtypen nach“, sagt Baron.

BMW: Die Apple-Strategie

Warum bloß ein Autohersteller sein, wenn das Geschäft die Mobilität ist, fragte sich BMW-Chef Norbert Reithofer schon 2007 und schrieb einen folgenschweren Satz in die Konzernstrategie „Number One“: Bis 2020 solle BMW „der weltweit führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle Mobilität“ werden. Reithofer erklärte BMW zum Mobilitätsanbieter und definierte alles, was Menschen von A nach B bringt, als potenzielles Geschäftsfeld.

Vier Jahre später zeichnet sich ab, was Reithofer meinte. BMW will sich mit umfassenden Produkt- und Dienstleistungen einen Teil des Megamarktes sichern: mit Elektromobilen wie dem neuartigen Stadtauto i3, das 2013 auf den Markt kommen soll, aber auch mit einem Carsharing-Angebot, das der Konzern mit dem Autovermieter Sixt entwickelt, mit der Vermarktung eines eigenen Navigationssystems, dem Elektroroller E-Scooter aus der Motorradsparte oder einer Carsharing-Lösung für Firmenflotten, die seit Kurzem die BMW-Leasingtochter Alphabet anbietet.

Zudem gründete BMW 2011 einen mit 100 Millionen Euro ausgestatteten Risikokapitalgeber in New York. iVentures spürt Erfolg versprechende Geschäftsideen in der Mobilität auf und hilft ihnen mit Geld und Rat. So kamen die Münchner an das Startup My City Way, das Applikationen (Apps) für Mobiltelefone anbietet mit Infos über öffentliche Verkehrsmittel, Parkplätze und Veranstaltungen. Auch das Londoner Unternehmen ParkatmyHouse, das freie Privatparkplätze im Internet vermarktet, ist ein Zögling von iVentures.

Es scheint, als hätten sich die Münchner ein Vorbild am Elektronikriesen Apple genommen: Was mit dem Apple-Musikabspieler iPod vor über einem Jahrzehnt begann, ist heute eine hoch profitable, geschlossene Wertschöpfungskette mit Musik- und Medienvertrieb, mit Soft- und Hardwaregeschäft. Der US-Konzern hatte erkannt, dass sich nicht nur mit dem Verkauf des Players Geld machen lässt, sondern auch mit Musik und Programmen auf den Geräten. Es war dieser Schritt zum Komplettanbieter von Hardware, Software und Inhalten, der Apple zum weltvollsten Unternehmen der Welt machte.

„Das Apple-Modell lässt sich nicht eins zu eins auf unseren Markt übertragen“, sagt Tony Douglas, der bei BMW die neu entwickelten Mobilitätsdienstleistungen vermarktet. „Dennoch gilt auch für uns: Wir werden weit über den reinen Verkauf von Autos hinausgehen und unseren Kunden ein komplettes Produkt- und Dienstleistungspaket anbieten.“

Dem BMW-Manager schwebt noch ein anderes Beispiel vor: die Star Alliance, ein Bündnis von Fluglinien, zu dem auch die Lufthansa gehört. Im Gegensatz zur Star Alliance denkt BMW sogar darüber nach, verschiedene Verkehrsmittel aus einer Hand anzubieten. „Ich kann mir gut vorstellen“, so Douglas, „dass wir eine Dienstleistung haben werden, die hochwertige Mobilität über verschiedene Verkehrsträger hinweg garantiert. Premium-Mobilität eben, im Carsharing-BMW genauso wie im Flugzeug oder der Nahverkehrsbahn.“

Neue Mobilitätslösungen

50 Städte in Europa bekommen in den nächsten Jahren das Carsharing-Modell

Mehrere neue Unternehmen könnten zu dem bisherigen Dienstleistungsangebot noch hinzukommen, sagt Douglas. „2013, wenn das Elektroauto i3 auf den Markt kommt, wird feststehen, welches spezielle Dienstleistungsspektrum BMW seinen Kunden anbieten wird.“

Noch machen die neuen Dienstleistungen bei BMW nur einen winzigen Teil des Geschäftes aus. Dass die Zusatzgeschäfte eine große Bedeutung haben werden, stellt auf der Chefetage aber niemand infrage. Dafür gibt es einen ganz banalen Grund: Wenn heute bereits über 80 Prozent der weltweiten Wertschöpfung in Städten stattfindet – Tendenz steigend –, dann liegt dort auch der mit Abstand größte Markt für die Autobauer. „Die neuen Mobilitätslösungen werden dringend gebraucht“, sagt der Manager eines großen deutschen Autoherstellers. „Wenn wir es nicht machen, machen es andere. Wenn es nicht die Großen machen, besetzen die kleinen Firmen den Markt, etwa im Carsharing.“

Das hat auch die BMW-Konkurrenz erkannt: Daimler hat das in Ulm erfolgreich getestete Carsharing-Angebot „Car2go“ mit Smarts an jeder Ecke inzwischen in sieben Städten von Hamburg über Lyon bis Vancouver eingeführt. In Europa soll das Geschäft zusammen mit dem Autovermieter Europcar auf 50 weitere Städte ausgerollt werden. Volkswagen zieht im November mit seinem Carsharing-Projekt „Quicar – Share a Volkswagen“ nach.

Bahn: Die Google-Strategie

In Hongkong, der chinesischen Sonderwirtschaftszone mit sieben Millionen Einwohnern, haben die drei Buchstaben des Autoherstellers BMW inzwischen eine ganz andere Bedeutung erlangt. Für Expats und Chinesen stehen die Initialen auch für „Bike, Metro, Walk“. Das sei für die meisten die bevorzugte Variante, um von der Arbeit nach Hause zu kommen. Möglich macht das das beste Nahverkehrssystem der Welt.

Die hohe Verlässlichkeit des Hongkonger Stadtbahn-Systems gilt weltweit als führend. Darüber hinaus bietet Hongkong seinen Bürgern eine Mobilitätskarte namens Octopus an. Damit können sämtliche Fahrgelegenheiten der Stadt von Bus über Fähre bis zur U-Bahn genutzt werden. Octopus vernetzt die Teilnehmer des Verkehrssystems wie Google die Nutzer im Internet bei der Suche nach Wissen verbindet. Und wie Google sich von der reinen Suchmaschinenfunktion weiterentwickelt hat, so hat auch Octopus die Mobilitätskarte mit Zusatzfunktionen ausgebaut. Für die Deutsche Bahn hat das bei ihren Mobilitätsplänen Vorbildcharakter.

Inzwischen besitzen 95 Prozent aller Einwohner Hongkongs eine Octopus-Karte. Seit 2000 können sie mit der Karte auch in Geschäften einkaufen, in Restaurants bezahlen und an Automaten Getränke ziehen. Zudem gilt die Karte als Einlasserlaubnis für viele Gebäude. „Octopus ist das Paradebeispiel für Vernetzung der Bürger“, sagt Wilhelm Lerner, Partner bei Arthur D. Little und strategischer Kopf der Studie.

Seit einigen Jahren exportiert das Joint Venture, das die fünf Verkehrsunternehmen Hongkongs 1994 gründeten, die Octopus-Technik in andere Länder, etwa nach Holland. Die Smart-Card-Lösung namens OV-Chipkaart kann im Nahverkehr wie Bussen und Stadtbahnen, aber auch in Fernzügen eingesetzt werden. 2007 ging das System in Rotterdam, zwei Jahre später in Amsterdam an den Start. Zwei Millionen Holländer nutzen die Karte, die noch in diesem Jahr im ganzen Land gelten soll.

Kluge Ticket-Apps

15.000 Kunden testeten das papierlose Ticket Touch & Travel der Deutschen Bahn zwischen Köln und Berlin. Ab November kommt es bundesweit. Quelle: Laif/Hans-Christian Plambeck

Die Deutsche Bahn nimmt sich an dem System ein Beispiel und startet einen ähnlichen Google-Ansatz der Mobilität. Der Konzern bietet Fahrgästen über das System Touch & Travel, das Anfang November an allen Fernverkehrshalten in Deutschland eingeführt wird, eine kluge Möglichkeit an, über eine zentrale Adresse Tickets zu kaufen, ohne Tarife kennen zu müssen.

Nutzer von Smartphones wie Apples iPhone oder Handys mit Android-Betriebssystem von Google können sich im Kundenportal der Bahn dafür anmelden. Sie hinterlegen Kontodaten und Bahncard-Nummer und erwerben ihr Ticket per Knopfdruck, sobald sie in einen ICE oder Intercity steigen. Bei Ankunft melden sie sich per Knopfdruck ab. Das Bahnsystem lokalisiert den Standort per GPS, berechnet den Preis und belastet das Konto.

Das System errechnet Preise erst, wenn die Fahrt beendet ist, und lässt sich mit dem Nahverkehr kombinieren. Inzwischen können Fahrgäste im Rhein-Main-Gebiet und bei den Berliner Verkehrsbetrieben ihr Ticket über Touch & Travel kaufen. Sie brauchen sich über die richtige Fahrkarte keinen Kopf machen: Das System registriert, ob die Summe der gelösten Einzelfahrkarten höher ist als ein Tagesticket. Der Kunde zahlt dann den niedrigeren Preis.

Die Bahn könnte sich so zum Ticketbroker entwickeln, über dessen System alle Fahrkarten bundesweit zu kaufen sind. Hinzu kommen Verkehrsinfos, die das Unternehmen für Smartphone-Nutzer anbietet. Der DB Navigator gehört zu den meistgeladenen Apps. Derzeit testet der Konzern eine Navigations-App für die S-Bahn in München: Nutzer sehen in Echtzeit, wo sich die S-Bahn-Züge aktuell befinden.

Siemens: Die Dell-Strategie

Eigentlich sollte der Konzernumbau bei Siemens 2010 beendet sein. Daran, dass es sich Vorstandschef Peter Löscher vor einem Jahr doch anders überlegte, ist vor allem einer schuld: Roland Busch, damals Strategiechef des Konzerns. Die rapide wachsenden Megacitys der Welt im Blick, warb Busch für die Schaffung eines neuen Geschäftsbereichs Infrastruktur und Städte. Hier wollte Busch alles bündeln, was Städte bei Siemens einkaufen können, vom Stromnetz bis zur Gebäudetechnik. Löscher ließ sich überzeugen. Am 1. Oktober 2011 nahm die neue Sparte ihre Arbeit auf.

Neben Industrie, Energie und Gesundheit bildet sie den vierten großen Sektor im Unternehmen. Geschäftsfelder aus den anderen Sektoren mit einem Gesamtumsatz von über 16 Milliarden Euro sowie rund 81.000 Mitarbeiter wurden bei Infrastruktur und Städte neu zusammengefasst. An der Spitze steht der frisch gebackene Konzernvorstand Busch – der Erfinder des Konzepts muss es jetzt auch umsetzen.

Die zahlreichen Mobilitätstechnologien des Konzerns liegen nun größtenteils in seiner Verantwortung. An dem, was Siemens Städten an Mobilitätslösungen anzubieten hat – Bahnwaggons und Lokomotiven für den Nahverkehr, Flughafenlogistik, Ladestationen und Motoren für Elektroautos oder auch Mautsysteme und Verkehrsleittechnik –, hat sich durch die neue Konzernstruktur erst einmal nichts geändert.

Wohl aber an der Art, wie Siemens diese Technologien verkauft. „Alles aus einer Hand“ heißt die neue Losung des Spartenchefs. Mit Dutzenden Key-Account-Managern geht der Konzern auf die wichtigsten Kunden los: die Bürgermeister. Ein Kundenbetreuer ist jeweils nur für eine Stadt zuständig. So wissen Bürgermeister immer, wen sie anrufen müssen, egal, um welche Technik aus dem Siemens-Bauchladen es gerade geht. „Für unsere Produkte gibt es weltweit einen Markt von mehr als 300 Milliarden Euro“, sagt Busch. Mit der neuen Vertriebsstruktur könne Siemens sich „ein viel größeres Stück als bisher“ aus diesem Kuchen herausschneiden.

Eine hervorragende Basis

37 Prozent schneller fließt der Londoner Innenstadt-Verkehr, nachdem Siemens die Stadt mit neuen Bahnen, einem Mautsystem und Leittechniken ausgerüstet hat. Quelle: Laif/Hans-Christian Plambeck

In der Logik der Mobilitätsstudie von ADL ist Siemens ein klassischer „Dell der Mobilität“: ein Unternehmen, das – wie Tausende deutscher Mittelständler auch – für das große Ganze der städtischen Mobilität technische Komponenten liefert. Es braucht aber andere Spieler am Markt, beispielsweise Städte oder Autobauer, die diese Komponenten zu einem kompletten Mobilitätsangebot zusammenfügen.

Mit dem Dell-Status will es Busch aber nicht bewenden lassen. Der promovierte Physiker peilt für seine Sparte eine „Mischung aus Apple- und Google-Modell“ an: „Unsere Technologien sind eine hervorragende Basis, aber ebenso wichtig ist, dass Siemens die Technik mit Software und Dienstleistungen zu kompletten Mobilitätslösungen zusammenfügt. Das werden wir in Zukunft massiv ausbauen.“ Wie so etwas aussehen kann, zeigt Siemens in London: Ein Paket aus Bahnen, Mautsystem und Verkehrsleittechnik beschleunigte den Verkehrsfluss um 37 Prozent.

Städte bewegen sich

„Die deutschen Großstädte befinden sich noch in einem Dornröschenschlaf“, sagt ADL-Berater Lerner. „Doch sie werden sich nicht auf Dauer die Butter vom Brot nehmen lassen.“ Oberbürgermeister liebäugeln inzwischen mit der Google-Strategie, sprich: der intelligenten Vernetzung aller Verkehrsträger für ihre Bürger. Niedersachsens Hauptstadt etwa bietet mit der Karte „Hannovermobil“ ein Jahresabo für den Nahverkehr, eine Bahncard25, die Mitgliedschaft für das Carsharing und 20 Prozent Ermäßigung auf Taxifahrten. 4.000 Bürger nutzen die Karte.

Langsam erkennen Politiker Mobilität als Wahlkampfthema. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster lässt gerade einen Masterplan Mobilitätskarte erarbeiten. Die Idee erinnert an Octopus aus Hongkong. Die Karte gilt für Bahnen, Busse, Carsharing wie Flinkster und Stadtmobil sowie elektrisch betriebene Mietfahrräder. Hinzu kommen Rabatte bei Taxifahrten. „Wir wollen die Mobilitätskarte auch mit Zahlfunktionen ausstatten, um sie etwa in Restaurants einzusetzen“, sagt Schuster. 2013 sei der frühstmögliche Start, da Techniken verknüpft werden und tarifliche Abstimmungen erfolgen müssten.

Der Kampf ums Geld ist ein Hindernis für die Entwicklung zur mobilen Stadt. Das offenbarten auch die Vorbereitungen des Berliner Verkehrstests. Bei der für drei Monate eingeführten Mobilitätskarte für Bahn, Carsharing und Mietrad gab es anfangs Bedenken der Anbieter des Nahverkehrs. Sie befürchteten, dass Carsharing-Autos den Busverkehr ersetzen könnten. Stadtbezirke wollten keine Abstellflächen zur Verfügung stellen. „Das Sektordenken war zu Beginn noch stark ausgeprägt“, sagt Projektleiter Frank Wolter vom InnoZ. Am Ende rückte man zusammen.

Die notorische Unterfinanzierung des Nahverkehrs wird der Weiterentwicklung dauerhaft im Weg stehen. Bundesweit fehlten bis 2015 Infrastrukturmittel von 2,4 Milliarden Euro, sagt Jürgen Fenske, Chef der Kölner Verkehrs-Betriebe und Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Zugleich wolle die Bundesregierung die Mittel für kommunale Infrastrukturversorgung für Neuinvestitionen von heute 1,3 Milliarden Euro pro Jahr bis 2019 auf null abschmelzen. Der VDV fordert 1,9 Milliarden Euro pro Jahr.

Nahverkehr im Teufelskreis

Lückenlos Mobil: Richtig treffend ist der Firmenname eigentlich schon seit einiger Zeit nicht mehr. Die Deutsche Bahn macht längst große Teile ihres Geschäfts jenseits der Gleise - unter anderem mit Leihfahrrädern und Mietautos. Quelle: dpa

Die Nahverkehrsunternehmen stecken dabei in einem Teufelskreis. Die Politik erwartet von ihnen, dass sie einen Großteil ihrer Betriebskosten erwirtschaften. So decken deutsche Nahverkehrsbetriebe in der Regel fast 80 Prozent ihrer Betriebskosten. Dadurch fehlt ihnen das Geld, alte Technik zu ersetzen, um den Ansturm von Fahrgästen zu bewältigen. 3,5 Prozent mehr waren es allein in Köln im ersten Halbjahr. Europäische Metropolen lassen sich ihren Nahverkehr oft deutlich mehr kosten. So liegt der Kostendeckungsgrad in Paris bei 32 Prozent, den Rest trägt der Steuerzahler.

Angesichts der drohenden Kürzung von Bundesmitteln scheinen alte Gräben wieder aufzureißen: Auto gegen Bahn. Es sei „abenteuerlich, mit welch hohen Investitionsmitteln der Bund das Thema E-Mobilität im Individualverkehr vorantreibt“, klagt VDV-Chef Fenske. Seine Rechnung: Die Autoindustrie erhalte 3,5 Milliarden an direkten und indirekten Förderungen. „Die Branche ist finanzstark genug, das Thema E-Mobilität aus eigener Kraft zu stemmen.“

In der Tat könnten VW, BMW und Daimler angesichts ihrer Milliardenetats für Forschung und Entwicklung gut auf Staatshilfe verzichten. Dennoch legt die Autoindustrie Wert auf die Geldspritze, weil damit die koordinierende Rolle des Fiskus festgeschrieben wird. Eine staatliche Stelle soll Kommunen, Autoindustrie, Energiewirtschaft, Stadtwerke und Forscher zusammenbringen. Denn allein, das haben die Autobauer eingesehen, kommen sie bei der Mobilität in Städten nicht weiter.

Die Botschaft, dass Autokonzerne mit Städten, Energiekonzernen und Bahnen kooperieren müssen, wird auch Toyota-Veteran Toyoda mit nach Hause nehmen. Gefreut haben dürfte ihn, dass VW-Patriarch Piëch noch nicht bei InnoZ in Berlin war, um sich von der mobilen Zukunft ein Bild zu machen. Nach einer Stunde verschwand Toyodas zehnköpfige Reisegruppe im schwarzen Lexus. Das Auto ist doch seine bevorzugte Variante der Fortbewegung. Dass es auch anders ginge, daran erinnert den Japaner das Geschenk des Gastgebers: eine eingerahmte Mobilitätskarte.

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