Albert Speer "Die Ökobilanz unserer Gebäude ist verheerend"

In Deutschland wird viel zu viel neu gebaut, sagt Albert Speer. Der Stadtplaner über Mao Zedong, Fußball in Katar und warum die Stadt der Zukunft ausgerechnet im Ruhrgebiet liegen könnte.

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Wo Sie Energie sparen können
1. Natürlich kühlenDer Apartmentkomplex „The Interlace“ des deutschen Stararchitekten Ole Scheeren in Singapur ist gerade mit dem Urban Habitat Award als weltbestes Hochhausprojekt ausgezeichnet worden. Statt über eine Energie fressende Klimaanlage kühlt der Baumeister die 1040 Wohnungen weitgehend durch natürliche Belüftung. Dazu wird der Wind geschickt durch die Gebäudeteile geleitet; Parks, Teiche und Bambusgärten verstärken den Effekt. Genauso überzeugte die Juroren  der soziale Ansatz des Entwurfs. Scheeren hat die Gebäude zu einer Art Dorf mitten in der Stadt verwoben und nicht – wie ursprünglich geplant – neun einzelne Hochhäuser gebaut. In den beschatteten Innenhöfen finden die Bewohner alles, was sie zum Leben brauchen: Geschäfte, Kino, Theater, Restaurants, Schwimmbad und Spielplätze. Drei Dimensionen habe er zusammenbringen wollen, sagt Scheeren: „Natur, Gemeinschaft, Raum.“ Und das ökologisch anspruchsvoll. Quelle: dpa
2. Werden Sie Energiespar-WeltmeisterNach einer jüngsten Übersicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands muss ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt dieses Jahr für Strom und Heizung 3.035 Euro hinblättern – gut 800 Euro mehr als noch vor sieben Jahren. Mit geschickten Maßnahmen lässt sich die Energierechnung merklich senken. Besonders wirkungsvoll ist die Dämmung der Häuserwende. Sie drückt den Heizbedarf laut Deutscher Energie Agentur um rund 30 Prozent. Das Dach bringt immerhin elf Prozent. Aber auch wer Strom und Wärme selbst erzeugt, kann sich von der Preispolitik der Versorger abkoppeln. Fünf Wege führen in die Energieunabhängigkeit...
...fünf Wege führen in die Energieunabhängigkeit.
3. Wer hilft mir beim Heizungswechsel?Seit kurzem erleichtert es die Online-Plattform Thermondo bundesweit Hauseigentümern, in wenigen Schritten nach passenden Angeboten zu suchen und dabei die Systeme führender  Hersteller zu vergleichen. Ein paar Angaben zum Haus und der vorhandenen Heizung genügen. Die Suche ist kostenlos. Allerdings kann man in die Suchmaske nicht alle Möglichkeiten eingeben, sein Haus zu beheizen. Wärmepumpen zum Beispiel stehen nicht zur Auswahl. Quelle: Presse
4. Intelligentes Thermostat spart 30 ProzentZum Beispiel das des Münchner Startups Tado. Die Box von der Größe einer kleinen Pralinenschachtel verfolgt ihre Besitzer via Internet auf Schritt und Tritt. Registriert die Tado-Box mittels einer Smartphone-App, dass sich ihr Besitzer seinem Heim nähert, dreht das Thermostat die Heizung hoch. Umgekehrt erkennt die schlaue Steuerung, wann der Letzte die Wohnung verlässt - und schaltet die Temperatur herunter. Sogar Sonnenschein registriert Tado mithilfe von online verfügbaren Wetterdaten und regelt entsprechend die Heizleistung. Mit diesen Tricks soll das Gerät die Heizkostenabrechnung im Schnitt um fast 30 Prozent drücken können. Auch Klimageräte lassen sich jetzt damit sparsam steuern. Wer die App mietet, zahlt monatlich 8,25 Euro; wer sie kauft einmalig 299 Euro. Quelle: Presse
5. Wärme von der WandDas Unternehmen Energiefreiheit aus Riedlingen, an der Donau unweit von Ulm gelegen, ergänzt sein sogenanntes aktives Energiehaus um eine ungewöhnliche Wärmequelle im Haus: eine  Infrarotheizung. Sie strahlt ihre Wärme wie ein Kachelofen ab und verbraucht laut Anbieter gegenüber konventionellen Heizungssystemen bis zu 50 Prozent weniger Energie. Die extrem flachen Heizkörper hängen wie Bilder an der Wand und lassen sich mit Motiven verzieren. Ein solares Dachkraftwerk kann in Verbindung mit einer Batterie bis zu 80 Prozent des Eigenbedarfs decken, versprechen die Riedlinger – bei einer Anfangsinvestition von 9.000 bis 11.000 Euro.

WirtschaftsWoche: Herr Speer, mitten in der Wüste von Abu Dhabi wird seit 2008 an einer Ökostadt gebaut. Das Ziel von Masdar-City heißt: kein Kohlendioxid, kein Abfall, keine Autos. Sieht so die Zukunft unserer Städte aus?

Albert Speer: Nein, bestimmt nicht. Das große Problem an Projekten wie Masdar oder anderen Null-Emissions-Städten ist, dass sich eine nachhaltige, auf alternative Energien setzende Stadt in diesen Regionen überhaupt nicht rechnet. Und zwar nicht annähernd.

Also Spinnerei statt Vorbild?

Nein, das ist keine Spinnerei. Diese Städte sind hervorragend geplant. Aber Masdar kommt nicht auf die Beine, weil die fossilen Energiepreise staatlich so runtersubventioniert werden,  dass sich der Betrieb finanziell nicht auszahlt. Wer an den Spritpreisen dreht, riskiert in diesen Ländern einen Volksaufstand. Die Planung ist eine Sache, aber Sie müssen so eine Stadt ja auch 50 und mehr Jahre zu akzeptablen Bedingungen am Laufen halten können. Und da ist es völlig egal, ob Sie sich in kommunistischen oder demokratischen Systemen bewegen.

Zur Person

Warum?

Weil Sie ganz einfach keinen Investor dazu kriegen, Geld rauszurücken, wenn er damit kein weiteres Geld verdienen kann. Nichts wäre einfacher, als etwa in Ägypten die Kraft der Sonne zu nutzen und Solarkraftwerke zu bauen. Aber da kriegen Sie auch keine Weltbank dazu, etwas zu finanzieren, das sich nicht rechnet.

Schon heute verbrauchen unsere Städte 75 Prozent der weltweit eingesetzten Energie und verursachen 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. Allein in China sind 240 neue Städte für zig-Millionen Menschen geplant.

Die Chinesen sind die Einzigen, die allmählich beginnen, gegenzusteuern. Die drehen an der Energieschraube. Aber eben nur ganz langsam.

Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel hat Mao Zedong gesagt: „Wasser ist ein Nahrungsmittel und  deswegen kostet es nix. Das hat dazu geführt, dass der Wasserverbrauch in Shanghai bedeutend höher ist als der Wasserverbrauch pro Kopf in Frankfurt. Jetzt drehen die Chinesen an der Preisschraube und reduzieren den Wasserverbrauch.

Sehen sie die Lage in Deutschland auch so düster?

Wir leben hier auf einer Insel der Seligen. Die Probleme, mit denen wir uns herumschlagen, liegen weit in der Komfortzone, wenn man das mit China, Ägypten oder Saudi Arabien vergleicht. Unsere Städte sind nicht so schlecht.

Trotzdem muss sich auch hier etwas ändern. Wo sehen Sie konkret Handlungsbedarf?

Wir müssen uns viel mehr um den Gebäude-Bestand kümmern. Das passiert in Deutschland nur in einem ganz geringen Umfang. Immobilien fressen hierzulande rund 40 Prozent der Energiekosten. Die Ökobilanz unserer Gebäude ist verheerend. Und trotzdem wird nur etwa ein Prozent des Wohngebäudebestandes pro Jahr energetisch aufgewertet.

Bei dem Tempo würde es hundert Jahre dauern bis alle Gebäude saniert sind.

Richtig. Aber diese hundert Jahre haben wir nicht. Deswegen zeigen wir etwa in Bottrop, wie die Wende gelingen könnte.

Albert Speer plädiert dafür, bestehende Gebäude verstärkt energetisch zu sanieren. Quelle: Ute Schmidt / Bildfolio

Bis 2020 sollen in Bottrop die CO2-Emissionen in einem Pilotgebiet, das 70.000 Einwohner umfasst, halbiert werden. Sie haben dafür den Masterplan entwickelt. Ist das überhaupt realistisch?

Ja, das glaube ich schon. Bottrop ist deswegen so ein schönes Beispiel, weil etwas im Gebäudebestand einer ganz normalen Stadtstruktur passiert, wie sie viele mittelgroße Städte in Deutschland haben. Im Kern geht es darum, die Gebäude-Eigentümer und all jene, die im Einzugsgebiet wohnen, zu animieren. Sie müssen von selbst Sanierungen vorantreiben und damit die Betriebskosten sowie die Kohlendioxid-Emissionen senken. Schon jetzt haben wir in den zwei Jahren seit Start die Sanierungsquote verdoppelt. Die persönliche Ansprache der Bürger ist notwendig und sehr erfolgreich.

Wie wirtschaftlich das Ganze ist, muss allerdings bezweifelt werden. Das Projekt wird stark subventioniert. Bis zu 25 Prozent der Sanierungskosten trägt das Land Nordrhein-Westfalen.

Wenn das einmal richtig anspringt, ist das garantiert wirtschaftlich. Und wir haben dazu keine Alternative. Weiterhin Energiesparhäuser oder Energieplushäuser auf die grüne Wiese zu setzen, ist keine Lösung. Das ist genau das Falsche. Denn diese sind teils noch viel höher subventioniert.

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