Wirtschaft von oben #227 – Mexiko und die Deutsche Bahn Zu den Maya-Stätten: Das umstrittene Zugprojekt der Deutschen Bahn

Der neue Bahnhof von Cancún in Mexiko: Die Party- und Urlaubshochburg wird per Zug besser angebunden. Quelle: LiveEO/Planet Labs PBC SkySat

Mexiko will mit 1500 Kilometern Eisenbahnstrecke durch den Urwald Wirtschaft und Tourismus anheizen. Neueste Satellitenbilder zeigen, wie die Regierung das Projekt gegen alle Widerstände durchzieht – mit Hilfe der Deutschen Bahn.

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Wie ein alter Popstar winkt Andrés Manuel López Obrador durchs Zugfenster. Am Streckenrand und auf Brücken stehen ein paar Menschen und grüßen zurück. AMLO, so die Abkürzung für den mexikanischen Präsidenten, ist nicht auf Wahlkampftour. Er selbst darf bei den Wahlen im kommenden Jahr nicht erneut antreten. Die präsidialen Kameras fangen trotzdem jeden Moment ein. Die Videos seiner Inspektionsreise sollen zeigen: Hier ist Großes entstanden, der Tren Maya.

Der Trip vor einer Woche war der erste, offenbar einwandfreie Test mit dem 69-jährigen Präsidenten an Bord des Maya-Zuges, eine Eisenbahnverbindung über 1500 Kilometer, die künftig Badeorte wie Cancún und Playa del Carmen mit den ikonischen Stätten der Maya im Landesinnern der Halbinsel Yucatán verbinden soll. Jetzt ist AMLO kurz vor dem Ziel, wie neuste Satellitenbilder von LiveEO belegen.

Die sieben Streckenabschnitte sind fast vollendet, die Schienen und Gleisüberdachungen des größten Bahnhofs direkt am Flughafen von Cancún von oben gut erkennbar.


Ende des Jahres soll das Prestigeprojekt von AMLOs Amtszeit abgeschlossen sein und seiner linksgerichteten Partei sowie seiner potenziellen Nachfolgerin nebenbei ein paar Punkte verschaffen. Sein Vermächtnis dürfte wirtschaftlich positiv ausfallen, Mexiko ist im Kommen: Das Land hat vor kurzem die Zahl von 22 Millionen Arbeitsplätzen überstiegen und ist der große Gewinner der Spannungen zwischen den USA und China.

Immer mehr Unternehmen, die den US-Markt beliefern, verlegen Fabriken nach Mexiko oder bauen ihre bestehenden Kapazitäten dort aus. Mexiko hat China in diesem Jahr als wichtigsten Handelspartner der USA abgelöst. Die Inflation schwächte sich von 8,7 Prozent im September 2022 auf zuletzt 4,8 Prozent ab – ohne dass die Konjunktur ausgebremst wurde.

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Der Maya-Zug soll ab 2024 pro Jahr rund drei Millionen Touristen transportieren. Das wäre etwa ein Zehntel aller internationalen Besucher, die jährlich nach Mexiko kommen. Aber das Vorhaben ist mehr als eine Attraktion für den Fremdenverkehr. Eine bessere Infrastruktur im wirtschaftlich nicht ganz so starken, vom Tourismus abhängigen Süden hilft dabei, auch dort Güter schneller zu transportieren. Die Bahnlinie soll Unternehmen anlocken.

AMLO verkauft den Tren Maya als große Chance für die Menschen vor Ort, doch das Projekt ist hoch umstritten. Mussten dafür doch Millionen Regenwaldbäume weichen. Fast drei Viertel der mehr als 6600 Hektar bis Juni 2023 abgeholzten Fläche wurden laut dem mexikanischen Zentrum für Umweltrecht ohne Genehmigung gerodet. Gerichte verhängten in den vergangenen Monaten zeitweise Baustopps, Routen mussten umgeplant werden. Die bis zu 100 Meter breiten Schneisen für die Gleise, Brücken, Übergänge und Bahnhöfe durchschneiden die natürliche Umgebung von Tieren wie dem Jaguar.


Zu besichtigen ist dies etwa in der Nähe von Izamal. Vor zwei Jahren erstreckt sich noch die Weite des Regenwaldes über die Aufnahme. Dann bilden sich nach und nach zwei gerodete Flächen: die eine für die Zufahrt zur Haltestation, die andere für die Züge. Umweltschützer warnen vor einer Zerstörung der Natur und einem Eingriff in den Lebensraum der indigenen Bevölkerung. Die soll eigentlich von ansteigendem Tourismus profitieren, doch Kritiker fürchten, dass die Bewohner letztlich eher niedrigschwellige Jobs bekommen und kaum von dem potenziellen Wirtschaftswachstum profitieren.

Nordwestlich von Playa del Carmen verläuft die Zugstrecke nun mitten durch ein Wohngebiet umgeben von Wald. Auf dem aktuellen Satellitenbild sind das Gebäude des kleinen Bahnhofs und die Gleise gut erkennbar.


Der Protest am Maya-Zug reicht sogar bis nach Deutschland. Im Juli beschmierten und beschädigten Linksautonome zum wiederholten Mal Gebäude und Fahrzeuge einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, die Mexiko bei dem Megaprojekt berät. 2020 hatte Fonatur, die federführende Organisation des mexikanischen Tourismusministeriums, einen Auftrag in Höhe von knapp neun Millionen Euro an die DB Engineering & Consulting vergeben. Deren 5900 Mitarbeiter beraten Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt.

Laut einer Bahnsprecherin umfassen die Leistungen für den Tren Maya etwa „die Revision vorhandener Planungsunterlagen, eine Unterstützung bei der Durchführung von Ausschreibungen und bei der Inbetriebnahme“. Zwar befasse sich die Tochtergesellschaft auch mit technischen Fragen und dem Betrieb des Tren Maya, die Infrastrukturplanung für das Vorhaben habe aber nicht zu den Aufgaben gehört, betont die Sprecherin. Will sagen: Mit dem Eingriff in die Umwelt für die Trassen habe man nichts zu tun.

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Dabei wäre die DB Engineering & Consulting nach eigenen Angaben durchaus in der Lage dazu gewesen. Umwelt- und Geoservices gehören zu den sechs Kernthemen im Produktportfolio des Unternehmens. „Wir gehen den Dingen auf den Grund“, heißt es auf der Internetseite. Und das wäre in Yucatán womöglich eingehender erforderlich gewesen. Die Böden bestehen in weiten Teilen aus brüchigem, weichem Kalkstein, die unter dem Druck von Stahlträgern und befahrenen Gleisen nachgeben könnte, befürchten Experten.

„Zuverlässige Informationen über den Untergrund sind die Voraussetzung für eine sichere und effiziente Umsetzung von Bauprojekten“, schreibt die Bahn-Tochter grundsätzlich. Sie ermittele und beurteile Untergrundverhältnisse und spreche „Empfehlungen für die Planung und Ausführung der Gründungsarbeiten aus“. Für diese Arbeit habe Fonatur sie aber explizit nicht beauftragt, sagt die Bahnsprecherin. Der Vertrag läuft Ende des Jahres eigentlich aus. Aufgrund von Verzögerungen dürfte die Zusammenarbeit aber weitergehen. Wie lange, wollte die Sprecherin nicht sagen.


Die Deutsche Bahn ist nicht der einzige europäische Konzern, der am Tren Maya beteiligt ist. Alstom aus Frankreich gewann den Auftrag für den Bau der Züge. Auftragsvolumen: 1,8 Milliarden US-Dollar.

Im Juli dieses Jahres lieferte Alstom den ersten Zug an die Regierung. Die vier Waggons fuhren knapp 2000 Kilometer zum Depot in Cancún. Dort betreibt der Konzern direkt neben dem neuen Bahnhof eine Wartungsanlage, wie Satellitenfotos zeigen.


Ein Wagen hat eine Kapazität von 300 Fahrgästen. Mit bis zu 160 Stundenkilometern fahren die Züge durch die Landschaft. Der Startpunkt des Tren Maya ist Palenque im Bundesstaat Chiapas. Auf den Bildern ist zu sehen, wie seit Ende 2021 die Zufahrt zum späteren Bahnhof und die nach Norden führende Strecke nach und nach entsteht. Die Ruinen in der archäologischen Zone von Palenque gehören zum Unesco-Weltkulturerbe.

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Geht es nach Andrés Manuel López Obrador, legen die Touristen sich dann nicht mehr nur in Playa del Carmen in den Sand oder feiern Spring Break in Cancún, sondern reisen weiter und besichtigen die Ursprünge des Landes. Doch dafür nimmt er wohl gleichzeitig in Kauf, dass Stücke davon leiden oder verloren gehen.


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