Der Diesel ist tot, lang lebe der Diesel! Die Liebe der deutschen Autobauer zu ihrem Vorzeige-Antrieb ist eine komplizierte Beziehung.
Über Jahre lief alles bestens. Dank niedriger Steuern und entsprechend geringen Spritpreisen griffen die Kunden gerne zu. In Zeiten immer strengerer CO2-Ziele eroberte sich der Diesel gar das Image des Klimaretters. Netter Nebeneffekt: Dank des vergleichsweise günstigen Kraftstoffs wurden sogar große, schwere Spritfresser – allen voran die margenträchtigen SUV – für Autofahrer im Betrieb wirtschaftlich.
Und so wollen die Autobauer kurzfristig weiter mit den Dieselautos von Absatzrekord zu Absatzrekord eilen. Mittel- und langfristig werden sie wegen der neuen CO2-Regularien jedoch vermehrt zuerst teil- und dann vollelektrische Autos bauen. Wegen potenzieller Strafen für Umweltsünder und sinkender Batteriepreise wird der Kunde sich schon noch für die bislang verschmähten Plug-in-Hybride erwärmen können, hoffen die Konzerne.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Doch dann kam der September 2015 mit dem Brandbeschleuniger namens Dieselgate. Schnell wuchs sich der VW-Abgasskandal zum Branchen-Problem aus.
Bei den Autofahrern steht der Diesel weiter hoch im Kurs, in der politischen Debatte ist der Ton allerdings schärfer geworden. Bis vor Kurzem im autovernarrten Deutschland fast undenkbar: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll klären, ob die Politik bei der Kontrolle der Grenzwerte versagt oder gar bewusst weggeschaut hat.
Die Opposition, die das Gremium durchgesetzt hat, fährt zur ersten Sitzung am Donnerstag schon schwere Geschütze auf. Es gehe um „organisiertes Staatsversagen, welches Betrügen und Schummeln einer ganzen Branche erst möglich gemacht hat“, prangert Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer an. „Wir wollen wissen, warum die Bundesregierung so lange weggeschaut hat, obwohl ihr zahlreiche Hinweise vorlagen, dass Autos die Grenzwerte auf der Straße nicht einhalten.“ Der designierte Ausschuss-Vorsitzende Herbert Behrens (Linke) will geklärt sehen, ob die Branche Schlupflöcher mit aggressivem Lobbyismus durchgeboxt hat.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Der offizielle Untersuchungsauftrag klingt komplizierter. Beleuchtet werden soll erstens das „Auseinanderfallen“ der Kraftstoffverbräuche und Auspuffemissionen, die die Hersteller angeben - und jener, die ganz real auf der Straße auftreten. Zweitens soll Transparenz her bei der „Verwendung von Abschalteinrichtungen oder sonstigen technischen, elektronischen oder sonstigen Vorrichtungen zur Einflussnahme auf das Emissionsverhalten“.
Dieser Satz zielt auf die illegale Software in VW-Dieseln, welche gezielt Abgaswerte auf dem Prüfstand manipuliert. Doch auch andere Autobauer und -zulieferer werden mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert: