Es mutet paradox an: Auf der einen Seite hat BMW 2016 ein neues Rekordjahr eingefahren. Zum siebten Mal in Folge hat der Autokonzern Absatz und Gewinn gesteigert, und das soll auch im laufenden Jahr so weitergehen. Und dennoch hat BMW-Aufsichtsratschef Norbert Reithofer seinen Managern die Leviten gelesen: Sie sollten sich gar nicht erst ans Verlieren gewöhnen.
Wie passt das zusammen?
Ganz einfach: BMW hat sich gut entwickelt und sauber gewirtschaftet. Nur war eben Daimler besser. Denn nach der Absatzkrone müssen die Münchner auch bei der Rendite den Spitzenplatz an den Dauerrivalen aus Stuttgart-Untertürkheim abgeben. Wie BMW bereits vor zwei Wochen mitteilte, blieb in der Kernsparte Automobile 2016 trotz Rekordverkaufszahlen weniger hängen als im Jahr zuvor. Die Rendite vor Zinsen und Steuern (Ebit-Marge) sackte auf 8,9 Prozent ab – und lag damit unter den 9,1 Prozent, die Mercedes-Benz im vergangenen Jahr verbuchte.
Meilensteine der BMW-Geschichte
Gründung der Bayerischen Flugzeugwerke in München
Umbenennung in Bayerische Motorenwerke (BMW)
Bau des ersten Motorrads, der R32
Übernahme der Fahrzeugwerke in Eisenach und Bau des ersten BMW-Autos Dixi, mit Lizenz des englischen Autobauers Austin
BMW entwickelt den 303 – mit der seither charakteristischen Niere als Kühlergrill.
BMW baut Motoren für die Luftwaffe und beschäftigt rund 25.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Nach Kriegsende verliert das Unternehmen das Werk Eisenach.
Erstes Nachkriegsauto ist 1952 der große „Barockengel“ 501, 1955 folgt die winzige Isetta.
BMW steckt tief in den roten Zahlen, die 6500 Mitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze, Daimler will BMW übernehmen. Überraschend steigt der Batteriefabrikant Herbert Quandt als Sanierer ein.
Das Mittelklasse-Auto BMW 1500 bringt den Durchbruch.
Eberhard von Kuenheim wird Vorstandschef. In seiner 23-jährigen Amtszeit expandiert BMW weltweit.
Start der 3er-Reihe – bis heute das meistverkaufte BMW-Modell
Das US-Werk Spartanburg wird eröffnet, zudem wird der englische Autohersteller Rover (Land-Rover, MG, Mini) gekauft.
Nach Milliardenverlusten mit Rover zieht BMW die Reißleine, nur der Mini bleibt im Konzern. Joachim Milberg löst als Vorstandschef Bernd Pischetsrieder ab.
BMW startet das erste Joint Venture in China
BMW verkauft mehr Autos als der bisherige Marktführer Mercedes – auch dank des 2003 erstmals eingeführten Kompaktmodells der 1er Baureihe.
Im BMW-Werk Leipzig läuft das Elektroauto i3 vom Band – mit einer modernen Kohlefaser-Karosserie.
Während die Schwaben den Betriebsgewinn im Pkw-Geschäft steigern konnten, verbuchten die Münchener in der Autosparte einen Rückgang um 1,8 Prozent auf knapp 7,7 Milliarden Euro. Vor allem der Preiskampf sowie der Hochlauf neuer Modelle – etwa dem Business-Modell 5er – und Technologien kosteten viel Geld. Und bei den Elektroautos, wo BMW unter den Premiummarken noch führt, werden die Münchner bald auch den Spitzenplatz abgeben müssen.
Derzeit liegt in der Produktionsprognose des Analysehauses IHS Markit Automotive BMW mit dem i3 vorne, die elektrische B-Klasse von Mercedes spielt kaum eine Rolle. Kommen aber der für 2018 angekündigte Audi etron quattro und der Mercedes-Benz EQ (2019) mit jeweils über 500 Kilometern Reichweite, hat dem BMW nichts entgegenzusetzen – der „iNext“ als nächste Elektroauto-Generation ist erst für 2021 geplant. Bis dahin ist die Konkurrenz aus Ingolstadt und Stuttgart längst an München vorbeigezogen, wie die Grafik zeigt.
Das wird dem Anspruch von BMW nicht gerecht. „Wir müssen als BMW die Nummer eins sein“, zitierte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Chefaufseher Reithofer, als er dem Management die Richtung vorgab. Sprich: Reithofers Nachfolger an der Vorstandspitze, Harald Krüger, muss nun angreifen.
„Waren immer ein ehrgeiziges Unternehmen“
Mit Platz zwei will er sich trotz der Rekordzahlen nicht zufrieden geben. „Wir schalten jetzt auf Angriff“, sagte Vorstandschef Krüger am Dienstag bei der Jahrespressekonferenz. „Wir starten die größte Modelloffensive unserer Geschichte.“ 2017 und 2018 sollen mehr als 40 neue und überarbeitete Modelle der drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce auf den Markt kommen. „Wir waren immer ein ehrgeiziges Unternehmen“, sagte der BMW-Chef. „Ich verspreche Ihnen, das wird so bleiben.“ Der Absatz sei aber nur einer von mehreren Leistungsindikatoren. „Das sind neben Verkaufszahlen auch Profitabilität, Innovationskraft, Flexibilität und unsere Attraktivität als Arbeitgeber.“
Ein möglicher Grund für Reithofers Kritik: Er selbst kannte es nicht anders. Als er 2006 den Vorstandsvorsitz übernahm, war BMW gerade an den Schwaben vorbeigezogen – zuvor hatte Mercedes jahrzehntelang den Ton in der Oberklasse angegeben. 2011 wurde Mercedes auch noch von Audi überholt. Aber mit neuem Design, neuen Modellen und neuem Vertriebsnetz in China holte Daimler-Chef Dieter Zetsche die Krone jetzt zurück. „Mercedes steht an der Spitze des Premiumsegments“, sagte er stolz: „Number one.“
Zetsches Bemerkung kann auch als Seitenhieb für BMW verstanden werden – schließlich hatte Krüger seine Langfrist-Strategie „Number One: Next“ genannt. An dieser Strategie – auch wenn man nicht mehr die Nummer eins ist – will Krüger aber nicht rütteln. „Wir fokussieren uns auf die konsequente Umsetzung unserer Strategie“, sagte der Vorstandschef. Der Autobauer werde auf die Zukunftsfelder Automatisierung, Vernetzung, Elektromobilität und Sharing ausgerichtet.
Diese Technologien und neuen Geschäftsmodelle ändern nach Meinung von Experten die Spielregeln der Branche grundlegend. „Wer hat die meisten Kunden? Das ist vielleicht bald interessanter als die Zahl der verkauften Autos“, sagt Frank Biller, Auto-Analyst bei der LBBW. Der Titel des Absatzkönigs verliert an Bedeutung. „In Zukunft gewinnen wird, wer die Kunden besser versteht, wer ihnen mehr Spaß, Emotionen, Komfort bieten kann, sagt Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer. „Wer nur an Stahl und Reifen denkt, dem wird es gehen wie Nokia mit seinen Handys.“
Gerade die globale Spitzenposition von Mercedes, BMW und Audi könnte zum Nachteil werden, befürchtet Oliver Heil, Professor für Marketing an der Universität Mainz: „Wer das heutige Spiel am perfektesten und erfolgreichsten beherrscht, tut sich schwer, wenn alles anders wird“, sagt der Wirtschaftsprofessor. „IBM hat die besten Schreibmaschinen gemacht, Kodak die besten Filme, Nokia die besten Handys. Wo sind sie heute?“