„Einige besorgniserregende Neuigkeiten“ hatte Tesla-Chef Elon Musk für seine Mitarbeiter. So jedenfalls stand es im Betreff der E-Mail. In der Nacht zu Montag hat Musk wieder einmal an alle Angestellten geschrieben. Darin beschuldigt der Tesla-Gründer einen Mitarbeiter der „umfassenden und schädlichen Sabotage“. Dieser habe unter falschem Namen direkte Änderungen an Teslas Produktionssystem vorgenommen und vertrauliche Daten an Dritte weitergegeben, heißt es in der Mail, die der US-Sender CNBC veröffentlicht hat.
Musk fürchtet gar eine Verschwörung: Es sei nicht klar, ob der Angestellte zusammen mit außenstehenden Organisationen agiert hätte. „Wir Ihr wisst, gibt es eine lange Liste von Organisationen, die wollen, dass Tesla stirbt“, warnte Musk seine Beschäftigten mit Verweis auf die Öl- und Gasindustrie sowie auf Spekulanten an der Börse.
Der Wutausbruch lässt wenig Gutes erahnen. Für Wirtschaftspsychologe Florian Becker ist die Suche nach Saboteuren in den eigenen Reihen ein „Alarmzeichen“. Becker, 40, beschäftigt sich mit der Führung von Mitarbeitern. Er lehrt an der Hochschule Rosenheim und ist Gründungsmitglied der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft in München. Und er stellt mit Blick auf Tesla fest: „Musk scheint verzweifelt zu sein, vielleicht mit leicht paranoiden Tendenzen.“ Es wirke so, als ob er bei Tesla alles alleine regeln wolle und seinen Mitarbeitern nicht vertraue. „Da passt es ins Bild, dass er Schuldige und Verräter sucht, wie in der Endphase von politischen Systemen.“
Angriffe auf Analysten und Journalisten: Musk reagiert zusehends dünnhäutig
Der E-Auto-Pionier steht unter Druck: Tesla ist zwar rasant gewachsen, hat aber Probleme bei der Massenfertigung seines ersten günstigeren E-Autos, dem Model 3. Musk verfehlt seine Produktionsziele, hat mit der Abwanderung von Führungskräften, mit tödlichen Unfällen seiner selbstfahrenden Autos und mit hohen Verlusten zu kämpfen. Musk kündigte deshalb an, fast jede zehnte Stelle zu streichen. Probleme, die der Tesla-Chef offensichtlich nicht verarbeiten kann: Die Mail vom Wochenende ist nicht das erste Mal, dass Musk dünnhäutig reagiert. Jüngst erst beschimpfte er Analysten für ihre „langweiligen und dummköpfigen Fragen“ und warf Journalisten Heuchelei vor. Er reagierte mitunter so unsouverän, dass selbst die Aktie zeitweise deutlich fiel.
„Musk muss sich selber die Schwäche eingestehen, dass er nicht alles alleine bewältigen kann“, sagt Experte Becker. „Er sollte lernen, sein eigenes Baby etwas mehr loslassen.“ Anders gesagt: Tesla braucht in der jetzigen Phase einen neuen Chef. Zumindest aber sollte Musk eine weitere Führungskraft neben sich zulassen, rät Becker. Denn der Tesla-Chef ist vor allem ein Visionär, beobachtet der Psychologe. „Musk kann Menschen für Visionen begeistern und Milliarden für Ideen einsammeln, mit denen andere als Spinner abgestempelt würden“, sagt Becker. Um dann zu ergänzen: „Musk ist ein Ausnahmetalent“
Apple als Vorbild
Doch ein guter Chef muss mehr können. In der jetzigen Firmensituation rät der Münchner Wirtschaftspsychologe zu einem anderen Führungsstil: Tesla müsse irgendwann auch mal profitabel werden und nicht nur ausschließlich neue Ideen entwickeln. „Dafür braucht es eine Führungskraft, die auf Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Kosten achtet. Und auf gute Beziehungen zu Menschen.“ Dafür sei der Tesla-Gründer augenscheinlich nicht der Richtige: „Die große Schwäche von Musk ist es, ein Unternehmen nachhaltig zu führen.“ Er vergesse manchmal, so scheint es, dass die menschliche Leistung ihre Grenzen hat, auch seine eigene.
Es braucht also jemanden, der Investoren und Mitarbeiter von Visionen überzeugt, betriebswirtschaftlich durchgreift und die Mitarbeiter emotional stärker berücksichtigt. Das ist für Unternehmen die beste Mischung aus Träumen und Implementieren, sagt Becker. Bei Apple etwa hat das jahrelang gut funktioniert: Der frühere Chef Steve Jobs hat mit seinen Visionen eine ganze Branche revolutioniert. Der heutige Vorstandsvorsitzende und damalige Chef des operativen Geschäfts, Tim Cook, ist zwar eher zurückhaltend, hat aber die Kosten im Griff gehabt und hohe Gewinne eingefahren.
Musk also ist so etwas wie der Steve Jobs von Apple. Fehlt nur noch ein Tim Cook, der im Hintergrund dafür sorgt, dass alles reibungslos läuft. Doch Musk wirkt eifersüchtig, scheint niemanden in der Führungsriege dulden zu wollen. Und das könnte zum Problem für Tesla werden.
Zweites Problem, zweite E-Mail
Ein weiteres Problem offenbarte Musk in einer zweiten Mail. Am Montagmorgen teilte er seinen Mitarbeitern mit, dass die Produktion des Model 3 durch einen Brand gestört wurde. „Letzte Nacht hatten wir einen weiteren merkwürdigen Zwischenfall, der schwer zu erklären ist“, schrieb Musk laut CNBC. Ein Tesla-Sprecher bestätigte den Bericht, der Brand sei durch einen Schwelbrand in einem Luftfilter ausgelöst worden. Dadurch musste der Karosseriebau für einige Stunden gestoppt werden. Indirekt deutete Musk auch hier einen Sabotageakt an. Es könne zwar ein zufälliges Ereignis sein, doch: „Nur die Paranoiden überleben.“
Er rief seine Mitarbeiter zunächst dazu auf, in den kommenden Wochen „extrem wachsam zu sein“. Er appellierte an sie, auf alles zu achten, das „nicht im besten Interesse unseres Unternehmens ist“. Grundsätzlich sei das kein schlechter Gedanke, befindet Wirtschaftspsychologe Becker. Wenn Mitarbeiter sich selbst kontrollieren, sei das besser als ein hundertseitiges Regelwerk zu verteilen.
Das immerhin hat Musk nach Einschätzung des Experten richtig gemacht. Ansonsten wirkte das Verhalten des Tesla-Gründers in den vergangenen Wochen hilflos. Becker verwendet dafür dieses Bild: „Es ist so, als ob Musk mit einem Sportwagen auf einer Off-Road-Piste unterwegs ist.“ Und das funktioniert auf Dauer nicht – böse Mails sind da keine Lösung.