
Was haben die Schweden da bloß vor? Eins ist klar: alles anders machen, als die anderen. "Messen, Fußballsponsoring, Motorsport – im Grunde machen alle Autohersteller doch dasselbe", sagt Volvo Cars Vize-Chef Alain Visser, "wir sind daraus ausgebrochen." Warum? "Wir sind ein kleiner Hersteller", erklärt Visser, "aus jedem Euro, den wir ausgeben, müssen wir mehr machen als die anderen."
Volvo-Chef Hakan Samuelson und sein Vize Alain Visser krempeln den Laden um. Zur IAA kommen die Schweden gar nicht mehr. Nicht weil man die Messe nicht möge oder Messen per se für Quatsch halte, stelle Visser klar. "Auf der IAA geben wir Millionen aus und zeigen doch nur, dass die deutschen Hersteller viel größer sind als wir“, erklärt Visser. Das Geld könne man anders, ja "smarter" einsetzen, ist der Marketing- und Vertriebsvorstand überzeugt. Auch auf der AMI in Leipzig sowie den Motor-Schauen in Brüssel, Amsterdam oder Paris wird es keinen Volvo-Stand mehr geben.
"Als Nischenhersteller läuft Volvo natürlich Gefahr auf einer Messe wie der IAA übersehen zu werden", pflichtet Manfred Kirchgeorg bei. Er ist Professor am SVI- Stiftungslehrstuhl für Marketing, E-Commerce und Crossmediales Management an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Größe per se dürfe aber kein Grund sein, nicht auf eine Messe zu gehen. "Volvos Entscheidung in Zukunft nur noch auf den Genfer Autosalon zu gehen, halte ich allerdings für vernünftig." Dort gilt nämlich für Messestände eine Höhenbegrenzung und der Veranstalter behält sich eine Reduzierung beantragter Flächen vor. Die Gefahr von großen Herstellern wortwörtlich in den Schatten gestellt zu werden ist daher kleiner, die Chance von den Besucher wahrgenommen zu werden größer.
"Eine Zimtschnecke und einen XC 90 bitte"
Der "Volvo way to market", wie der Hersteller sein neues Konzept selbst nennt, beginnt mit dem mobilen Markenhaus, dem Volvo-Forum. Damit werden Schweden auf Roadshow gehen. Die Module des Forums lassen sich wie Bauklötze übereinandersetzen. Vom einstöckigen S- bis zum dreistöckigen L-Modul. "Pop-Up-Stores und Roadshows sind sehr vielversprechende Konzepte", findet Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, "wenn der Kunde nicht zu mir kommt, muss ich zu ihm gehen."
Marketing-Experte Kirchgeorg: "Wer seine Zielgruppe sehr genau kennt und weiß, wo sie sich aufhält, für den sind Roadshows ein gutes Konzept, weil sie den exklusiven und direkten Zugang zum Kunden ermöglichen." Kenne der Hersteller seine Zielgruppen aber nicht genau, müsse er mit ähnlich hohen Streuverlusten wie auf einer großen Messe rechnen. "Der Road-Show-Ansatz steht und fällt also mit dem Wissen über die Zielgruppen", erklärt Kirchgeorg.

Im Erdgeschoss des Volvo-Forums macht sich schwedische Wohnzimmeratmosphäre breit. Holzboden und Decke, weiße Kommoden, Holztische – eine Kaffeebar und die typisch schwedischen Zimtschnecken "Kanelbullar" – sollen Kunden einladen, die Marke Volvo kennenzulernen. Im Obergeschoss befindet sich der Ausstellungsraum. Der ist voll digitalisiert mit großflächigen Bildschirmen, iPads und Touchscreens sowie interaktiven Tischen, auf denen eine Volvo XC90 im Spielzeugauto-Größe die Vorzüge der Assistenzsysteme vermittelt. Oben thront der so genannte Jewel Cube – das Juwel des Mini-Autohauses, in dem das neue Flaggschiff der Schweden, der Volvo XC 90 steht.
Fakten zum Volvo-Baukasten
Von 1999 bis 2010 gehörte Volvo zum Ford-Konzern. In dieser Zeit basierten die neuen Modelle der Schweden auf Plattformen der US-Mutter, etwa dem Ford Focus oder dem hierzulande nicht verkauften Ford Taurus. Als der chinesische Konzern Geely Volvo im Jahr 2010 übernahm, konnten sie die Ford-Technik nicht weiter nutzen, weshalb ein eigenes System entwickelt wurde.
Volvo nennt seinen Baukasten „skalierbare Produkt-Architektur“, kurz SPA. Auf dieser Architektur sollen künftig alle größeren Modelle ab der 60er Baureihe basieren. Sie teilen sich sämtliche Motoren (ausschließlich Vierzylinder mit zwei Litern Hubraum) und viele Teile des Fahrwerks. So sollen die Kosten bei Entwicklung und Produktion gesenkt werden und langfristig auch die Margen steigen.
Für die Entwicklung der Architektur und die Umrüstung der Produktionsanlagen auf die neue Technik hat Volvo insgesamt rund 75 Milliarden schwedische Kronen, rund acht Milliarden Euro, ausgegeben.
Nur ein Maß – der Abstand zwischen Vorderachse und A-Säule – ist festgelegt, alle anderen Maße sind flexibel. So können teure Bauteile wie die Motoren oder die Elektro-Einheit des Hybridantriebs in unterschiedlich großen Autos verwendet werden, von der Mittelklasse-Limousine S60 bis hin zum großen SUV XC90.
Der XC90 hat den Anfang gemacht, inzwischen ist die 90er-Baureihe komplett: Volvo bietet neben dem SUV XC90 auch die Limousine S90, den Kombi V90 und den Offroad-Kombi V90 Cross Country an. Die bisherigen Modelle S80 und V70 wurden durch die 90er-Modelle ersetzt. In der Mittelklasse hat ebenfalls das SUV den Anfang gemacht, der XC60. Die Limousine S60 und Kombi V60 folgen bald.
Die Volvo-Foren sollen überall da ihr Lager aufschlagen, wo die Schweden potenzielle Kunden vermuten. Auf Kongressen, Messen, Sportveranstaltungen. Das erste Volvo-Forum konnten Urlauber im Juli auf Sylt auf Promenade von Westerland begutachten, wo Volvo den Surf Cup präsentierte. Im Laufe des Jahres folgen 14 weitere Stationen, unter anderem in Köln, Düsseldorf auf der Hanse Sail in Hamburg und den Literaturtagen in München. "Das ist der absolut richtige Weg", lobt ein Sprecher des Volvo-Händler-Verbands, "auf der Messe sind die Streuverluste exorbitant. So können wir viel zielgruppenspezifischer potenzielle Kunden ansprechen."