
Beim Umsatz leicht zugelegt, das operative Geschäft liegt wie der Absatz auf Vorjahresniveau, unterm Strich bleibt ein stattlicher Milliardenbetrag als Überschuss. So hätten sich die Zahlen zum dritten Geschäftsquartal des Volkswagen-Konzerns gelesen. Konzernboss Martin Winterkorn hätte dann festgestellt, dass man mit dem Produktmix gut aufgestellt sei und die konjunkturbedingt schwierigen Märkte in China, Russland und Südamerika genau beobachte.
Doch so ist es nicht gekommen. Das Dieselgate hat VW-Chef Winterkorn sämtliche Posten im Konzern gekostet, zahlreiche Manager wurden beurlaubt. Der Skandal um massenhaft manipulierte Abgaswerte hat Europas größten Autobauer innerhalb weniger Wochen in eine tiefe Krise gestürzt. Doch auch ohne den Skandal wäre 2015 kein gutes Jahr für VW geworden – der Machtkampf Winterkorn- Piëch aus dem Frühjahr lässt grüßen. Jetzt wird es nicht einmal ein wirtschaftlich erfolgreiches.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
An Winterkorns Stelle musste sein Nachfolger Matthias Müller die Quartalszahlen erklären. Statt des satten Überschusses müssen Müller und sein neuer Finanzchef Frank Witter schon zu großen Rechenspielen greifen, um die Vorstellung ihrer ersten VW-Zahlen halbwegs positiv zu gestalten: Statt den Zahlen für das dritte Geschäftsquartal hat VW Neun-Monats-Zahlen präsentiert. Denn die waren dank der hohen Gewinne aus dem ersten Halbjahr positiv. Das liest sich schon ganz anders als der erste Quartalsverlust seit 15 Jahren – und dann auch noch in Milliardenhöhe.
Erster Quartalsverlust seit 15 Jahren
Wegen Rückstellungen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro für die Folgen des Abgasskandals sind die Wolfsburger tief in die roten Zahlen gerutscht. Zum Stichtag Ende September weist VW vor Zinsen und Steuern ein Minus von 3,5 Milliarden Euro aus. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Analysten hatten mit einem ähnlichen Fehlbetrag gerechnet.
Was den neuen Vorstandschef und seinen obersten Finanzer aber dennoch optimistisch stimmen dürfte: Der Quartalsumsatz entwickelte sich mit 51,5 Milliarden Euro solide, auch das bereinigte EBIT – also das operative Ergebnis, aus dem einmalige Sonderbelastungen wie die Milliarden-Rückstellung herausgerechnet wurden – ging mit rund 3,2 Milliarden Euro nur leicht zurück.
Müller muss trotz des großen Verlusts im dritten Quartal im Gesamtjahr nicht mit roten Zahlen rechnen – die von Reuters befragten Analysten gehen im Schnitt von einem Überschuss von knapp fünf Milliarden Euro aus. Ausruhen kann er sich auf derartigen Prognosen allerdings nicht. Denn ob die bislang zurückgestellte Summe ausreicht, wird von Experten bezweifelt.
„Nach heutigem Stand der Dinge gehen wir von Gesamtkosten, also inklusive Strafzahlungen, Rückrufaktionen, Entschädigungen für Wertverlust und möglicher Schadenersatzforderungen, in Höhe von mindestens 30 Milliarden Euro aus“, sagt Frank Schwope, Auto-Analyst bei der NordLB. „Hinzu kommt ein immenser Reputationsschaden, der sich letztlich in zukünftig nicht verkauften Fahrzeugen beziehungsweise nicht erzielten Gewinnen ausdrückt, sich allerdings nur schwer bemessen lässt.“
Ein Betrag von 20 bis 30 Milliarden Euro ist stemmbar, glaubt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM). „Dank der aktuell noch hohen Finanzkraft wäre diese Kostenbelastung für den Volkswagen-Konzern noch verkraftbar“, so der Professor von der Hochschule Bergisch-Gladbach.
Diese hohe Finanzkraft hat sich der Konzern in den vergangenen Jahren unter Winterkorn hart erarbeitet – aber aus Sicht von Bratzel auch teuer bezahlt. „Die unbestrittenen unternehmerischen Erfolge von Volkswagen haben viele der seit Jahren bekannten Strukturprobleme und Defizite des Konzerns in den Hintergrund gedrängt“, sagt Bratzel. „Gelingt der Wandel, könnte Volkswagen sogar deutlich gestärkt aus der Krise hervorgehen.“
Um das zu erreichen, muss der neue Chef Müller die Baustellen jetzt angehen, während sich der neue Aufsichtsratsboss Hans Dieter Pötsch um die Aufarbeitung der Abgasaffäre kümmern soll. Welche Probleme das sind und welche Lösungen sich andeuten, zeigt WirtschaftsWoche Online in der Übersicht.