Dass ihm ein Jobwechsel bevorstand, war Air-Berlin-Vorstand Marco Ciomperlik spätestens Ende Februar klar. Damals verkündete sein neuer Chef Stefan Pichler, der überflüssigste Posten in einem Unternehmen sei der des Chief Restructuring Officer, also Ciomperliks Job. Denn der Herr des Umbaus, so Pichler, ist immer nur der Chef persönlich.
Am Freitagvormittag ließ Pichler seinen Worten Taten folgen und setzte den Manager auf eine neu geschaffene Position, hinter deren etwas vagem Namen Chief Production Officer die Verantwortung für den Service steht.
Vorstandswechsel bei Air Berlin
Der Wechsel war Teil eines großen Pakets von insgesamt sechs Personalien.
Die wichtigste: Pichler hat Julio Rodriguez weggelockt von seinem Job als Vorstand des Verwaltungs- und Finanzteils beim Nobel-Billigflieger Vueling aus Barcelona, die wie British Airways und Iberia zur IAG-Gruppe gehört.
Der gebürtige Rheinländer mit dem spanischen Pass soll sich vor um den Vertrieb, die richtige Preissetzung und das Digitalgeschäft kümmern. Sein Vorgänger wandert – wie der bisherigen Finanzvorstand – zum Air-Berlin-Hauptaktionär Etihad nach Abu Dhabi. Abgerundet wird der Umbau durch neuen Leiter des Flugbetriebs, einen neuen Netzplaner sowie bei der Wiener-Tochter Niki unter anderem einen neuen Chef.
Die Logik des Umbaus
Mit dem Umbau will Pichler mehr als Altlasten abbauen und Teilen der alten Führung den Laufpass geben. Zwar mokierte sich Pichler wiederholt im kleinen Kreis über deren - aus seiner Sicht - zu deutschen Einstellung und die ungeordnete Sanierungsarbeit. Der neue Air-Berlin-Chef setzt auf eine neue Managementkultur, die vor allem internationaler tickt.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Bisherige Vorstände stammten vor allem aus den eigenen Reihen oder kamen zuletzt vom Erzrivalen und Pichlers früherem Arbeitgeber Lufthansa. Nun kommen zwei Leute von außerhalb und noch dazu aus grundverschiedenen Lagern.
Rodriguez lernte bei Vueling die Kultur permanenter Verbesserung und der oberste Netzplaner Ole Orvér bringt von seiner Zeit bei Qatar Airways die globalisierte Kultur der Golfairlines. Deren Denke liegt irgendwo zwischen Dynamik und Hektik mit.
Das Team soll die Alltagsarbeit bei Air Berlin von Grund auf erneuern. Das beginnt bei klareren Zuständigkeiten für das Geldverdienen durch die Erfolg versprechendsten Strecken, dem Verzicht auf unnötige Preis-Schnäppchen und die richtige Verträge mit Firmenkunden. Hier hat Air Berlin aus Sicht von Pichler bislang zu viel Geld liegen gelassen, weil sie ihre Tickets meist zu billig und den falschen Leuten angeboten hat. Dabei zielt Pichler auch vermehrt auf Kunden außerhalb Deutschlands.
Am Ende ist das neue Personal auch eine Art Vertrauensbeweis für Pichler. Das rührt nicht nur daher, dass er Leute wie Rodriguez aus Barcelona an die vergleichsweise kühle Spree locken konnte. Er und die anderen scheinen das Projekt Air-Berlin-Umbau für immerhin so vielversprechend zu halten, dass sie dafür vergleichsweise sichere Jobs anderswo aufgegeben haben.