Corocierge-Gründer „Wir haben das erste Corona-Reisebüro der Welt ins Leben gerufen“

Timo Kohlenberg ist zusammen mit seiner Schwester Julia Kurz Geschäftsführer von „Corocierge“. Quelle: PR

Skifahren in den Alpen oder Neujahr am Sandstrand wirken in diesem Winter wie ein Wunschtraum. Corocierge, ein frisch gegründeter Reiseanbieter aus Hannover, will das ändern. Wie das Corona-Reisebüro funktioniert und ob das Konzept zur Rettung der gebeutelten Reisebranche taugt, verrät Gründer Timo Kohlenberg im Interview.

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Timo Kohlenberg ist zusammen mit seiner Schwester Julia Kurz Geschäftsführer von „Corocierge“. Gegründet haben die Geschwister das weltweit erste Corona-Reisebüro am 20.Oktober 2020 in Hannover. Seither fungiert es als eine Marke des Reiseveranstalters „America Unlimited“, dessen Leitung Kohlenberg 2007 von seinem Vater übernommen hat. In der Coronakrise wurde er stark politisch aktiv und gilt seither als Frontmann der kleinen und mittelständischen Reiseunternehmen im Kampf um Unterstützungsgelder.

WirtschaftsWoche: Herr Kohlenberg, wann waren Sie das letzte Mal auf Urlaub?
Timo Kohlenberg: Ich war vor etwa eineinhalb Monaten in Seefeld in Tirol im Klosterbräu Hotel. Damals gab es noch keine Reisewarnung für diese Region. Somit hatte ich eine schöne Auszeit, denn das Jahr 2020 war für mich alles andere als entspannt.

Nach Entspannung und Urlaub sehnen sich aktuell viele Menschen in Deutschland. Wie soll Ihr neu gegründetes Reiseunternehmen Corocierge dabei helfen?
Mit Corocierge habe ich zusammen mit meiner Schwester vor knapp einer Woche das erste Corona-Reisebüro der Welt ins Leben gerufen. Der Kunde sagt uns, welche Art von Urlaub er möchte und wir schauen, wo das aktuell überhaupt möglich ist. Dabei suchen wir gezielt nach Destinationen, für die es im Moment keine Reisewarnung gibt oder die keine komplizierten Auflagen für die Einreise haben. Wenn es eine Hürde gibt, dann eine, die leicht zu handhaben ist, wie beispielsweise ein negatives Testergebnis. Außerdem bereiten wir den Kunden ganz genau darauf vor, mit welchen Einschränkungen er vor Ort rechnen muss, und liefern Updates zum Infektionsgeschehen vor Ort.

Welche Reiseziele bieten Sie aktuell an?
Buchen kann man immer nur solche Länder, für die es keine Reiswarnungen oder Einreiseverbote für Urlauber aus Deutschland gibt. Aktuell sind das zum Beispiel exotische Destinationen wie die Seychellen, Barbados und die Malediven, aber auch europäische Ziele wie Zypern, Madeira oder Griechenland. Bisher war Griechenland auch das Top-Ziel. Aktuell verlagern sich die Buchungen aber stark auf die Fernstrecken, gerade heute haben wir eine Buchung für Barbados bekommen.

Das klingt sehr nach Sommerurlaub – wohin schicken Sie Ihre skibegeisterten Kunden?
Beim Winterurlaub ist die Lage etwas schwieriger. Hier müssen wir die Ziele aktuell sehr sorgfältig aussuchen und unsere Angebote immer wieder überprüfen. Im Moment ist Skifahren in Deutschland möglich sowie in einigen Regionen in Italien und in der Schweiz. Die österreichischen Alpen gelten leider inzwischen komplett als Risikogebiet.

Fast täglich gibt es neue Corona-Reiseregeln. Wie durchblicken Sie den Dschungel der sich stetig ändernden Reisewarnungen?
Wir haben unser Team speziell auf Reisewarnungen und Einreisevorgaben geschult. Wir scannen laufend die neusten behördlichen Meldungen rund um den Globus und aktualisieren die Website dementsprechend. Gibt es eine neue Reisewarnung, wird die Destination rot markiert und aus dem Angebot genommen. Umgekehrt kommen andere Länder teilweise innerhalb weniger Minuten dazu, sobald die Einreise wieder möglich ist.

von Jörn Petring, Thomas Stölzel, Rüdiger Kiani-Kreß

Können Kunden deswegen nur Last-Minute bei Ihnen buchen?
So ungefähr. Wir verkaufen unsere Reisen maximal ein bis zwei Wochen vor Reisebeginn, um der dynamischen Situation Rechnung zu tragen. Auch in dieser Zeit können sich die behördlichen Auflagen natürlich ändern, aber dagegen ist der Kunde voll abgesichert. Bei einer Reisewarnung kann er kostenlos umbuchen oder stornieren. Dazu gibt es eine Reiserücktrittsversicherung, die auch eine Corona-Infektion vor der Reise absichert. Auch das wäre also kein Risiko, das einer Urlaubsbuchung im Weg steht.

Corocierge ist eine Marke Ihres Reiseveranstalters America Unlimited, mit dem Sie sich auf Urlaub in den USA und Kanada spezialisiert haben. Anders als die Konkurrenz konnten Sie über den Sommer also nicht vom Boom innerdeutscher Reisen profitieren – ist das Corona-Reisebüro ein Hilfeschrei?
Als Nordamerika-Spezialist hat uns die Coronakrise natürlich besonders hart getroffen. Ab März konnten wir keine einzige Reise mehr durchführen. Etwa die Hälfte der Kunden hat auf 2021 umgebucht, den Rest mussten wir erstatten. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir mit der America Unlimited einen Umsatzeinbruch von rund 95 Prozent erlitten. Die Pandemie hat uns zehn Millionen Euro an Reiseumsatz gekostet. Corocierge ist eine Marke, die uns ein wenig den Spaß am Reisen erhalten soll. Die Kapazitäten sind da und ich konnte nicht einfach nur abwarten und nichts tun.

Wurden Sie deswegen Ende März auch erstmals politisch aktiv?
Vor der Coronakrise habe ich die Politik tatsächlich eher gemieden. Im Frühjahr habe ich dann aber den Schritt gewagt und mich in einem Video, stellvertretend für alle kleinen und mittelständischer Reiseveranstalter, direkt an die Bundesregierung gewandt und mehr Unterstützung gefordert.


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Wurde Ihr Aufruf ignoriert, sodass Sie ein halbes Jahr später ein Corona-Reisebüro als Rettungsanker gründen mussten?
Der Start war etwas zäh, aber mittlerweile wurde hier doch einiges für die gebeutelte Branche getan. Reiseveranstalter können innerhalb der Überbrückungshilfen ihre Margen bis zu einem Gesamtwert von 50.000 Euro pro Monat geltend machen. Das habe tatsächlich ich persönlich für die Branche erreicht. Der Einsatz hat sich also gelohnt, was mich sehr freut. Mittlerweile stehe ich im regelmäßigen Austausch mit Abgeordneten, viele Politiker holen sich seither auch proaktiv meine Meinung ein und wissen die Meinung von kleineren und mittelständischen Unternehmen besser zu schätzen. Ich hoffe, das bleibt auch 2021 so.

Mit einem ähnlichen Prinzip wie Sie will auch der Trivago-Chef seine Reise-Suchmaschine corona-fit machen. Zeichnet sich hier ein neuer Trend in der Reisebranche ab?
Mit Sicherheit wird sich die Reisebranche auf kurzfristigere Buchungen einstellen müssen und den Kunden genauer informieren müssen. Reiseveranstalter sind hier der klare Gewinner, weil sie den Kunden innerhalb der Pauschalreise komplett absichern. Trivago wird es da schwieriger haben. Der Trend in Richtung Last-Minute-Buchungen und der „umgekehrten Logik“ bei der Reisesuche wird zwar noch eine Zeit anhalten; aber ich bin mir sicher, dass sich der Markt wieder normalisieren wird und wir zu langfristig gebuchten Reisen zurückkehren werden. Schließlich ist es doch auch viel schöner, sich sechs Monate auf eine Reise zu freuen, als nur eine Woche lang.

Was passiert mit Corocierge, wenn die Pandemie besiegt ist?
Ehrlich gesagt kann ich es kaum abwarten, dass die Marke überflüssig wird. Wir möchten kein Multi-Millionen-Unternehmen schaffen – dafür hoffen wir zu stark darauf, dass wir bald auf unsere bisherigen Zielgebiete zurückgreifen können. Bis dahin wäre ich froh, wenn wir mit dem Corona-Reisebüro zehn Prozent unseres Verlusts auffangen können.

Mehr zum Thema: Axel Hefer führt die Hotelsuchmaschine Trivago. Im Podcast erzählt er, warum ihm Google mitten in der Coronakrise noch mehr zusetzt als sonst: Der Gigant drängt mit Macht in sein Geschäft. Doch Hefer wehrt sich.

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