Neuer Trend Travel-Bubble Die Zweiklassengesellschaft des Reisens

 Reise-Blasen mit China und anderen asiatischen Ländern sollen die Urlauber trotz Corona nach Thailand zurück bringen. Quelle: REUTERS

Während Europa erneut innere Grenzen schließt, handeln quasi corona-freie Staaten bilaterale Reiseabkommen aus. Wer einmal drin ist, soll sich zwischen ihnen fast wie vor der Pandemie frei bewegen können.

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Es ist eine ganze Weile her, dass sich Michael Li, der Chef des Hongkonger Hotelverbandes, optimistisch gab. Seit Mitte Oktober aber hat sich die Stimmung des Verbandschefs deutlich gebessert. Zumindest sprach Li von einem „großen Schritt“, als die Hongkonger Regierung vor zwei Wochen verkündete, an einer sogenannte Reise-Blase mit Singapur zu arbeiten. Geschäftsreisende und Urlauber könnten dann zwischen beiden Städten ohne Quarantäne hin und her fliegen, fast wie in alten Zeiten.

Tatsächlich gibt es zurzeit in jenen Ländern und Territorien, die das Coronavirus anders als Europa und die USA im Griff haben, immer mehr Bestrebungen, solche Reise-Blasen einzurichten. Australiens Premier Scott Morrison verkündete vor wenigen Tagen, mit Südkorea, Japan und einigen Pazifikinseln solche Travel-Bubbles zu erwägen. Thailand versucht zurzeit mit China ein Abkommen auszuhandeln. Und der US-Bundesstaat Hawaii will eine Blase mit Australien und Japan formen. Bereits im September hatte Japan mit Laos, Malaysia, Myanmar und Taiwan eine ähnliche Regelung eingeführt, die allerdings vorerst nur für Einwohner dieser Länder gilt, nicht für Touristen aus aller Welt.

Auch wenn Europa selbst nicht Teil der bilateralen Reiseabkommen sein kann, gibt der Trend doch einigen Reiseveranstaltern und Airlines wieder Hoffnung. „Die Kunden sind bereit, ein paar Tage Quarantäne auf sich zu nehmen, wenn sie danach etwa in den Regionen Asiens, wo die Infektionsraten gering sind, wieder für längere Zeit ungehindert hin und her reisen können“, sagt Julian Weselek, Gründer und Chef des Individualreise-Anbieters Tourlane. Mangels Alternativen könne das Buchungsaufkommen in solche Bubble-Regionen dann sogar höher sein als vor Corona.

Schnelltest bei Abflug und Ankunft

Sowohl Singapur als auch Hongkong hatten ihre Grenzen seit dem ersten Corona-Ausbruch im Frühjahr weitestgehend dicht gemacht. Das konsequente Vorgehen half zwar dabei, das Virus unter Kontrolle zu bringen. Die täglichen Infektionen mit dem Coronavirus in Hongkong sind nach einer zweiten Welle seit August größtenteils in den einstelligen Bereich zurückgegangen. Auch in Singapur sind die täglichen Fälle auf unter zehn gesunken.

Umsatzentwicklung im 1. Quartal 2020 gegenüber Vorjahr

Die scharfen Vorsichtsmaßnahmen haben jedoch der Reise- und Tourismus-Branche sowohl in dem südostasiatischen Stadtstaat als auch in der chinesischen Sonderverwaltungsregion ein Schlag versetzt. So verzeichnete etwa die Hongkonger Fluglinie Cathay Pacific ein im Vergleich zum Vorjahr bis zu 99 Prozent geringeres Passagieraufkommen. Im Rest Asiens sieht es nicht besser aus: Der Reiseverkehr ist während der Pandemie wegen der Grenzschließungen zusammengebrochen, die Passagierzahlen sind im August um 97 Prozent zurückgegangen, so die Association of Asia Pacific Airlines.

Die Drehkreuze Singapur und Hongkong sind besonders betroffen. Der Plan, Länder, die das Virus unter Kontrolle gebracht haben, mit Reise-Blasen zu verbinden, soll nun neuen Schwung bringen. Singapur hat schon Abkommen für wichtige Geschäfts- und Dienstreisen aus China, Indonesien, Japan, Malaysia und Südkorea geschlossen oder diese angekündigt. Einseitig hat es zudem die Grenzen für Besucher aus Brunei, Neuseeland, Vietnam und dem größten Teil Australiens geöffnet.

Für Hongkong, das seit März ein Einreiseverbot für Nichtansässige erlassen hat, wäre das Abkommen mit Singapur die erste Wiederaufnahme von normalen Reiseverbindungen mit einer anderen Stadt. Details, wann genau die Blase starten und welche Regeln gelten sollen, sind zwar noch nicht bekannt. Als sicher gilt aber, dass Corona-Schnelltests an beiden Flughäfen vor Abflug und nach Ankunft durchgeführt werden. Eine Quarantäne wird dann nicht mehr notwendig sein.

Für Hongkong ist diese erste Reise-Blase zwar eine gute Nachricht. Noch wichtiger für die lokale Wirtschaft wäre aber, dass Reisen auf das und vom chinesischen Festland wieder erleichtert werden. Reisende, die aus Hongkong nach China wollen, müssen immer noch 14 Tage in Quarantäne verbringen. Wie es in Hongkonger Medienberichten heißt, arbeite die Regierung zwar an einem Abkommen mit der chinesischen Nachbarprovinz Guangdong. Doch dort hat man es offenbar nicht eilig, die Grenzen zu öffnen. In den meisten chinesischen Provinzen gibt es seit Monaten laut offiziellen Zahlen überhaupt keine lokalen Infektionen mehr.

Quarantänefreie Reise-Blasen kann es nach Überzeugung der Chinesen deshalb nur mit Regionen geben, die nicht nur sehr wenige, sondern über einen längeren Zeitraum überhaupt keine Infizierte mehr vermeldet haben. So wie im Fall der zweiten chinesischen Sonderverwaltungsregion Macau. Weil die Casino-Stadt tatsächlich über Monate „clean“ blieb, konnte ein Abkommen mit dem chinesischen Festland erreicht werden.

Sowohl in China als auch in Macau sind Reisende nun mit einem Smartphone-QR-Code ausgestattet. Der von den Gesundheitsbehörden ausgegebene Code dient bei der Ankunft zusammen mit einem negativen Corona-Test als Beleg, dass keine Infektionsgefahr besteht.

Hoffnung für Urlaubsnation Thailand

Wirtschaftlich noch schwerer als Hongkong und Singapur getroffen sind die wirtschaftlich fast vollständig vom Tourismus abhängigen Länder wie Thailand. 2019 verzeichnete der südostasiatische Staat beispielsweise noch elf Millionen Urlauber aus China und knapp 40 Millionen insgesamt. Nun liegt das Geschäft am Boden. Die Regierung in Bangkok will deshalb, dass ab Januar eine Reise-Blase mit China wieder Touristen ins Land holt. Auch hier müssten dann Urlauber nicht mehr in Quarantäne. Corona-Tests und eine Tracking-App sollen für Sicherheit sorgen. Die Hoffnung der Regierung ist, dass ein solches bilaterales Abkommen weitere Abkommen mit anderen praktisch Corona-freien oder Corona-armen Ländern wie Japan, Taiwan, Südkorea und Singapore bringt.



Dass Reise-Blasen eine organisatorische Herausforderung sein können, erlebte zuletzt Australien. Zwei Regionen des Landes hatten vor wenigen Tagen ihre Grenzen für Besucher aus dem praktisch Corona-freien Neuseeland geöffnet. Allerdings hatten Mitte Oktober einige Passagiere, die in Sydney gelandet sind, einen Anschlussflug nach Melbourne genommen, das nicht an diesem Programm teilnimmt. Das sorgte für einigen innerpolitischen Ärger. Die Blasen gelten daher bestenfalls als kurzfristige Hilfe, glaubt Florian Dehne, Branchenspezialist und Partner bei der Beratung Oliver Wyman. „Langfristig ist der administrative Aufwand viel zu hoch, sowohl für die Airlines, wie auch für die Staaten untereinander.“

In jedem Fall werden Urlauber aus Australien und Neuseeland für viele südostasiatische Länder in den nächsten Monaten eine begehrte Zielgruppe sein. Beginnt doch auf der Südhalbkugel jetzt die warme Zeit des Jahres. Entsprechend sinkt auch das Risiko von Corona-Infektionen. Für die australische Airline Qantas wären die Abkommen jedenfalls eine gute Nachricht. Wie Cathay Pacific aus Hongkong und andere Linien musste auch sie den Großteil ihrer Flotte still legen, parkt diese zurzeit in der amerikanischen und australischen Wüste. Singapore Airlines funktionierte zuletzt sogar einen Airbus A380 zum Restaurant um, wo die Linie Menschen bewirtete, die das Reisen im Flieger vermissen. Mehr als 900 Plätze waren binnen einer halben Stunde ausverkauft.

Zögern wegen Trump

Wer mit Managern der europäischen Airline-Branche zum Thema Reise-Blase spricht, erntet meist jedoch zurückhaltende Blicke. „Die Idee ist gut, doch die Praxis traurig“, so ein Insider der Branche. „Das funktioniert fast gar nicht, nicht mal bei Ländern wie Thailand oder in der Karibik, die dringend auf Touristen aus Europa und anderen Industrieländern angewiesen sind." 

Erste Ansätze gibt es allerdings auch in Europa. So gibt es seit voriger Woche nach langem Hin und Her eine Einigung zwischen der EU und Indien, nach der nun bestimmte staatliche Vertreter, ausgewählte Geschäftsreisende und Inhaber einer OCI genannten Aufenthaltserlaubnis wieder reisen dürfen. Ein ähnliches Abkommen hat die Bundesrepublik vergangene Woche mit Singapur unterzeichnet.

Entscheidender wäre für die Airlines in Europa jedoch eine Einigung mit den USA. „Das ist für die Lufthansa wie für fast alle größeren europäischen Fluglinien der mit Abstand wichtigste Langstreckenmarkt“, so Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Denn vor allem wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung Deutschlands mit den USA erzielt sein Unternehmen über dem Nordatlantik wie auch Air France-KLM und die British-Airways-Mutter IAG rund 40 Prozent der Einnahmen. Darum drängen nicht zuletzt die Bundesregierung und der BDI auf eine schnelle Einigung.


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Doch noch ist die nicht in Sicht. Zwar haben sich die Fluglinien und Flughäfen wie Chicago oder Newark dem Vernehmen nach mit den Behörden auf beiden Seiten geeinigt, wie sich der Verkehr mit Hilfe von Corona-Tests, Hygiene-Regeln und Vorschriften bei der Abfertigung sicher organisieren lässt. Doch sie umzusetzen, ist wie bei allen Fragen zu Flügen mit Zielen außerhalb Europas Sache der EU. Und die zögert. „Brüssel sieht zwar die Vorteile, doch wir hören, die Kommission wolle kurz vor der Wahl dem US-Präsidenten Donald Trump nach dessen vielen politischen Fouls keine Steilvorlage liefern“, so ein Insider der Branche.

Mehr zum Thema: Wie die Coronakrise Hotels in Deutschland bedroht.

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