Corporate Governance Die Übernahme der Deutschen Wohnen missachtet die Standards guter Unternehmensführung

Quelle: dpa Picture-Alliance

Corporate Governance scheint endlich ernster genommen zu werden. Die Übernahme des Immobilienriesen Deutsche Wohnen durch den Konkurrenten Vonovia zeigt allerdings, dass es noch Raum für Verbesserungen gibt. Ein Gastbeitrag. 

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Als Vonovia im vergangenen Jahr ein Übernahmeangebot für die Deutsche Wohnen abgab, waren deren Aktionäre skeptisch. Am Ende der Angebotsfrist erreichte Vonovia nicht einmal eine Annahmeschwelle von 50 Prozent und das Angebot scheiterte. Daraufhin einigten sich Vonovia und Deutsche Wohnen schnell auf ein neues, leicht verbessertes Angebot. 

Um den Erfolg dieses Angebots zu sichern, setzten sie sich allerdings über das Aktionariat der Deutschen Wohnen hinweg. Zunächst verzichtete die Deutsche Wohnen darauf, zusammen mit den Halbjahresergebnissen eine offizielle Neubewertung ihres Immobilien-Portfolios zu veröffentlichen, wie es das Unternehmen in der Finanzberichterstattung zuvor regelmäßig getan hatte. 

Der Markt spekulierte, dass eine Neubewertung möglicherweise gezeigt hätte, dass der Angebotspreis von 53 Euro unter dem inneren Wert der Deutschen Wohnen lag. Gleichzeitig willigte die Deutsche Wohnen ein, neue Aktien an Vonovia auszugeben, um ihr so dieses Mal zum sicheren Erfolg zu verhelfen.

Eric Nowak ist Professor für Finanzmanagement an der Universität Lugano. Quelle: PR

Vonovia gelangte schließlich ans Ziel und erwarb im Oktober 2021 circa 87 Prozent der Aktien der Deutschen Wohnen. Doch die Probleme mit der Corporate Governance der Deutschen Wohnen nahmen zu. Im November 2021 beschloss ihr Vorstandsvorsitzender, Michael Zahn, überraschend, das ihm angetragene Amt als stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Vonovia nicht anzunehmen. Er erklärte, dass er nach 14 Jahren als Vorstandsvorsitzender der Deutsche Wohnen die Integration nicht so unbefangen und sachlich hätte vorantreiben können, wie es seinen eigenen Anforderungen entspreche.

Gleichzeitig trat er auch als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wohnen zurück. Eine Rekordvergütung inklusive Abfindungsprämie von über 18 Millionen Euro in 2021 dürfte ihm den bitteren Abschied allerdings ein wenig versüßt haben.

Hören Sie auch den damaligen Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn im Podcast: Deutsche-Wohnen-Chef Zahn: „Wir sind kein Hai, sondern eher ein zahnloser Tiger“

Anschließend übernahm Vonovia die Kontrolle über die Deutsche Wohnen und ersetzte sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat. Bemerkenswert ist dabei, dass vier von sechs jetzigen Aufsichtsräten der Deutschen Wohnen mit Vonovia verbunden sind. Noch besorgniserregender ist, dass dem neu zusammengesetzten Managementteam der Deutschen Wohnen zwei derzeitige Vonovia-Führungskräfte angehören, die sich in ihrer Doppelrolle in einem offensichtlichen, zwar nicht illegalen, aber durchaus illegitimen Interessenskonflikt befinden. An dieser Stelle sollte die Regierungskommission Corporate Governance vielleicht mal ihre Standards zu sachlicher Unabhängigkeit überprüfen.

Profiteur dieser zumindest fragwürdigen Besetzungspraxis ist offenkundig Vonovia: Wie sonst wäre zu erklären, dass das neue Management der Deutschen Wohnen zu dem Schluss kommt, dass die beste Verwendung für die Barmittel des Unternehmens darin besteht, Vonovia ein Darlehen über zwei Milliarden Euro zu gewähren, das mit nicht mehr als 0,6 Prozent pro Jahr verzinst wird? Marktteilnehmer sehen das Darlehen als ein Mittel, um Barmittel von Deutsche Wohnen abzuschöpfen und eine Dividendenzahlung zu umgehen.  Leidtragende auch hier: Die Minderheitsaktionäre.

von Heike Schwerdtfeger, Frank Doll

Normalerweise geben Unternehmen ihr Kapital durch Dividenden oder Aktienrückkäufe an die Aktionäre zurück, was allen Anlegern zugutekommt. Dividenden soll es bei der Deutschen Wohnen allerdings künftig gar nicht mehr geben. Derlei Verhalten birgt die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit des Finanzstandorts Deutschland belastet wird. 

Umso bedeutender erscheint vor diesem Hintergrund, dass ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer einen von der Geschäftsführung der Deutsche Wohnen zu erstellenden Abhängigkeitsbericht zu prüfen hat, in dem erklärt werden muss, warum das Geld nicht – wie in der Vergangenheit – zu einer höheren Rendite am Immobilienmarkt oder in die Bestandsimmobilien hätte investiert werden können. Es bleibt zu hoffen, dass die kürzlich verschärfte Haftung der Wirtschaftsprüfer dafür sorgen wird, dass diese Prüfung sorgfältiger ausfällt, als dies früher gelegentlich der Fall war.

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Die Missachtung von guten Governance-Standards, die das Management in dieser Situation zeigt, muss auch die eigenen Aktionäre von Vonovia beunruhigen. Denn wie können diese sicher sein, dass Vonovia seine eigenen Investoren künftig angemessen behandeln wird? Dies gilt gerade mit Blick auf den jüngsten Erwerb eines Minderheitenanteils an der Adler Real Estate AG, die mit Betrugsvorwürfen zu kämpfen hat.

Das Vorgehen von Vonovia untergräbt das ohnehin gerade erst durch Wirecard massiv angeschlagene Vertrauen in den deutschen Aktienmarkt. Wenn Vonovia das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen will, muss sie die Governance-Praktiken bei Deutsche Wohnen deutlich verbessern.

Aber auch der Gesetzgeber und die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sind gefordert. Bei einer nur faktisch kontrollierten Gesellschaft muss sichergestellt sein, dass eine hinreichende Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern tatsächlich unabhängig ist.

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Zum einen sind die Anforderungen an eine sachliche Unabhängigkeit durch die Regierungskommission zu erhöhen, zum anderen sollte der Gesetzgeber den Minderheitsaktionären in solchen Konstellationen die Möglichkeit geben, ein oder mehrere Aufsichtsräte durch ein Sondervotum unter Ausschluss der Stimmrechte des faktisch kontrollierenden Aktionärs zu wählen. Dies würde Transparenz und Gleichbehandlung in der Aktiengesellschaft deutlich und im notwendigen Maße stärken und gleichzeitig dem Finanzstandort Deutschland zu mehr Attraktivität verhelfen.

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