So kam es zur Insolvenz
Es sind Ferien und Insolvenz bedeutet bei einer Fluglinie, dass die Maschinen auf dem Boden bleiben. Also hat die schwarz-rote Bundesregierung in Eintracht 150 Millionen Euro gefunden, um die zahlungsunfähige Air Berlin in der Luft zu halten. Schließlich sollen die Fluggäste und potenziellen Wähler von Union und SPD bei der Bundestagswahl wieder nach Hause. Ohne zu viel Ärger.
Die Bundesregierung verteidigt die Stütze auch damit, dass sie das Geld ziemlich sicher wiederbekommt und dass deshalb ja die EU-Behörden in Brüssel keine unerlaubte Staatshilfe sehen dürften. Mag sein, dass die Start- und Landerechte so viel wert sind, die bei einer Zerschlagung von einer anderen Fluggesellschaft aufgekauft würden.
Doch der Schritt hat Folgen, die über die kurzfristige Hilfe hinausgehen. Und die dürften eher schlecht für die Fluggäste sein. Drei Gründe sprechen dagegen, die seit langem absehbare Bruchlandung von Air Berlin zu sehr abzufedern.
Der Schritt verschafft erstens einem Management Zeit, das in den vergangenen Jahren schon wiederholt versagt hat und keine klare Strategie entwickeln konnte. Nun will das gleiche Management von Air Berlin die Regie führen bei den Verhandlungen um einen Verkauf von Teilen des Unternehmens. Keine überzeugende Situation.
Wie geht es weiter bei Air Berlin?
Die Lufthansa und eine weitere Fluggesellschaft - laut Insidern die britische Easyjet - stehen bereit, die begehrten Start- und Landerechte von Air Berlin etwa in Berlin und Düsseldorf zu übernehmen. "Der Plan ist, die Flugziele so aufzuteilen, dass nichts übrig bleibt", sagte ein Insider. Air Berlin fliegt vor allem Berlin und Düsseldorf an. "Lufthansa und Easyjet ergänzen sich da gut." Die Gespräche seien schon vor der Insolvenz weit gediehen gewesen. Der irische Billigflieger Ryanair will das aber nicht so einfach hinnehmen. In der Insolvenz hat er eine bessere Chance, noch einen Fuß in die Tür zu bekommen. Denn Vorstand und Sachwalter sind dann allein den Gläubigern verpflichtet. "Sie müssen dafür sorgen, dass nichts verschenkt wird." Bietet Ryanair mehr für die Rechte, wird es schwer, dagegen anzukommen.
Die Österreich-Tochter soll aus der Insolvenz herausgehalten werden. Etihad hat zwar bereits 300 Millionen Euro für die Niki-Anteile von Air Berlin bezahlt. Doch die Fluggesellschaft gehört wegen der Insolvenz weiterhin Air Berlin, das Geld dürfte für den Aktionär aus Abu Dhabi verloren sein. "Der Vertrag gilt als schwebend unwirksam", sagt ein Insolvenzrechtler.
Der ursprüngliche Plan von Etihad, Niki mit TUIfly zu fusionieren, war gescheitert. Der Ferienflieger TUIfly fliegt aber für Niki mit eigenem Personal und geleasten Flugzeugen. Der deutsch-britische Reisekonzern TUI hat auch Passagiere auf Air-Berlin-Flüge gebucht. Um diese beiden Themen geht es auch in den Gesprächen mit Air Berlin. Eine Übernahme von Unternehmensteilen durch TUI steht Insidern zufolge derzeit nicht zur Debatte.
Piloten und Bordpersonal dürften die besten Chancen haben, bei Lufthansa oder Easyjet unterzukommen. Schließlich müssen die bisher von Air Berlin geflogenen Strecken auch künftig bedient werden. Allerdings dürfte Lufthansa sie nur zu den Bedingungen der Billigflug-Tochter Eurowings einstellen. Schwieriger wird es für die rund 1000 Beschäftigten in der Berliner Zentrale und die 850 Mitarbeiter der Technik-Tochter. Alle 7200 Beschäftigten in Deutschland bekommen erst einmal bis Oktober Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Die Gehälter für Juli hatte Air Berlin noch selbst gezahlt.
Aus den Erlösen aus dem geplanten Verkauf der Start- und Landerechte wird zunächst der Massekredit der Staatsbank KfW über 150 Millionen Euro zurückgezahlt. Ob das reicht, ist offen. Wenn nicht, springt der Staat ein. Was danach übrig bleibt, bekommt zunächst die Arbeitsagentur. Die Zeichner von Air-Berlin-Anleihen gehen aller Wahrscheinlichkeit nach leer aus: Ihr Schuldner ist die britische Air Berlin plc - die eine weitgehend leere Hülle ist. Etihad muss nicht nur seinen knapp 30-prozentigen Aktienanteil abschreiben. Auch die Kredite, die der Partner aus Abu Dhabi Air Berlin gegeben hat, dürften wertlos sein. Als Gesellschafterdarlehen werden sie nachrangig behandelt, das heißt nach allen anderen Schulden bedient.
Die Hilfe der Bundesregierung kann zweitens einen Weg der Abwicklung vorzeichnen, der mit Marktwirtschaft wenig zu tun hat. Konkurrent Ryanair hat schon drauf hingewiesen, dass Zeit gewonnen werden könnte für die Verhandlungen mit der Lufthansa, die Teile des Air-Berlin-Geschäfts übernehmen will. Die Insolvenz könnte dafür sorgen, dass Lufthansa zudem schuldenfreie Teile des Konkurrenten übernehmen kann. Nicht nur die größere deutsche Fluglinie hat Interesse an den Resten des geschlagenen Konkurrenten, auch Billigflieger Ryanair und weitere Anbieter.
All das könnte am Ende dazu führen, dass drittens weniger Konkurrenz und Vielfalt für Fluggäste aus Deutschland zur Verfügung steht. Schlechtestenfalls steigen sogar die Preise auf bestimmten Strecken.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.