Nachhilfe-Start-ups Die Wette aufs virtuelle Klassenzimmer

GoStudent drängt im Eiltempo in neue Märkte Quelle: PR

Mit dem Onlineunterricht treffen Start-ups wie GoStudent, Easytutor oder Simpleclub einen Nerv. Und sie wecken zunehmend das Interesse von Investoren. Doch ein Mangel an Tutoren droht die Wachstumspläne zu bremsen.

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Die Vorfreude ist Felix Ohswald deutlich anzusehen: Am nächsten Tag geht es endlich mal wieder in einen Flieger – wenn auch nur aus beruflichen Gründen. Der GoStudent-Chef besucht das Büro in Madrid. Seit Dezember hat sein Start-up dort 40 Mitarbeiter angestellt, die meisten hat Ohswald noch nie gesehen. „Es ist extrem aufregend, wie unsere Vision in andere Länder getragen wird“, sagt der 25-Jährige. Spanien, Frankreich, Italien, Großbritannien, Irland – und bald auch die Türkei und Griechenland: Im Eiltempo drängt GoStudent gerade in neue Märkte.

Anfang vergangenen Jahres zählte das von Felix Ohswald und Gregor Müller 2016 in Wien gegründete Unternehmen noch 40 Mitarbeiter. Inzwischen sind es mehr als 300. Bis zum Jahresende soll das Team auf mindestens 800 wachsen. Die Dienste des Start-ups sind gefragt: Es bietet über seine Plattform individuellen Nachhilfeunterricht an. Doch statt im Besprechungsraum treffen sich Lehrer und Schüler zum Videochat in einem virtuellen Klassenraum. 350.000 Nachhilfe-Einheiten werden monatlich gebucht, so Ohswald. Damit erwirtschaftet das Start-up eigenen Angaben zufolge einen Umsatz von 7,5 Millionen Euro im Monat. 2020 hat sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr verachtfacht.

Ohswald ist überzeugt davon, dass eine Digitalisierung des Markts überfällig war – unabhängig von den Einschränkungen, die die Coronapandemie brachte. Zwar boten auch etablierte Nachhilferiesen wie Studienkreis oder Schülerhilfe bereits Online-Formate an. Allzu offensiv beworben wurde das aber nicht – schon aus Sorge, das eigene Geschäft an den vielen festen Standorten zu kannibalisieren. Im vergangenen Jahr schwenkten die Unternehmen dann notgedrungen auf den Fernunterricht um. Und viele Eltern schauten sich erstmals statt am schwarzen Brett im Schulfoyer online nach Nachhilfelehrern um. Vor allem aber hat die Diskussion um Chancen und Grenzen von digitalen Unterrichtsangeboten den Blick von Investoren in den Bildungssektor gelenkt.

Geldregen für Bildungs-Start-ups

Sogenannte EdTechs – also technologiegetriebene Start-ups, die frischen Wind in die Branche bringen – haben sich in den vergangenen zwölf Monaten regelrecht überboten mit Finanzierungsmeldungen. Die Lernplattform Knownunity beispielsweise konnte schon kurz nach der Gründung Business Angels an Bord holen. Die Nachhilfevideos von Simpleclub haben HV Capital überzeugt. Der Frühphaseninvestor steckte jüngst zusammen mit Haniel sowie den Gründern des Logistik-Start-ups Sennder sieben Millionen Euro in die Kommunikations- und Organisationsplattform Sdui.

Bei GoStudent geht es indes längst um größere Summen. Im vergangenen Jahr sammelte das Unternehmen bereits 13,3 Millionen Euro ein – neben anderen kamen Left Lane Capital aus New York und DN Capital aus London an Bord. Nun hat das Start-up den Abschluss einer weiteren Finanzierungsrunde bekannt gegeben, die noch einmal 70 Millionen Euro in die Kasse spült. Hauptgeldgeber ist der US-Technologie-Investor Coatue, der unter anderem bereits am indischen EdTech Vedantu beteiligt ist.

„Der Markt war aus Investorensicht schon vor Corona attraktiv. Die beschleunigte Digitalisierung in dem Sektor verstärkt das Interesse aber noch einmal“, sagt Georg Ried, Geschäftsführer von Bayern Kapital. Die Wagniskapitalfirma des Freistaats, die typischerweise in technologisch innovative Geschäftsmodelle investiert, hat gerade ihre Beteiligung beim GoStudent-Konkurrenten Easytutor mit einem sechsstelligen Betrag aufgestockt. Das Anfang 2017 in München gegründete Start-up hatte zuletzt im Mai eine Kapitalspritze bekommen.

Noch einmal mehr Schub bekommen könnten die Start-ups durch staatliche Förderungen. Bund und Länder beraten aktuell darüber, insgesamt eine Milliarde Euro für Nachhilfeunterricht zur Verfügung zu stellen. Profitieren sollen davon auch private Plattformen. Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) wären sogar 1,5 Milliarden Euro nötig, um Lerndellen nach den coronabedingten Unterrichtsausfällen auszubügeln.

Firmenkunden rücken ins Blickfeld

Investor Ried ist überzeugt davon, dass Platz für mehr als einen Anbieter ist – und lobt, dass Easytutor auch auf zahlende Großkunden setzt. So nutzen eine Reihe von Fußball-Bundesligavereinen die Plattform im Rahmen ihrer Jugendarbeit: Die Nachwuchskicker können so nachholen, was sie durch Trainings verpassen. Weitere Kunden sind der Handelskonzern Otto oder der Versicherer Arag, die Mitarbeitern mit Kindern den Zugang zu der Plattform spendieren.

Auch Simpleclub sucht seine Kundschaft zunehmend bei Unternehmen. Groß geworden ist das Berliner Start-up mit launigen Nachhilfevideos auf Youtube. Inzwischen hat die dazugehörige App mehr als eine Millionen Nutzer und wird immer öfter auch im Schulunterricht genutzt, auch in Berufsschulen. Seit 2019 kooperiert Simpleclub mit Brillux bei der Malerausbildung und mit der DIHK Bildungs GmbH bei Kursen für Bürokaufleute. Nun hat das 2012 von zwei Schülern gegründete Unternehmen auch den Deutschen Sparkassenverlag als Kunden gewonnen. Ab Herbst sollen alle Sparkassen digitale Lerninhalte für die Ausbildung nutzen können.

„Bis zum Ausbildungsstart 2022 wollen wir die wichtigsten Berufe digital abbilden“, kündigt Simpleclub-Mitgründer Alexander Giesecke an. Dieser Markt ist attraktiv: Die langfristig angelegten Kooperationen sichern dem Start-up einen kontinuierlichen Schwung an neuen Nutzern – und verlässliche Einnahmen. Die Bereitschaft von Unternehmen, in Onlineschulungen zu investieren, ist auch vor dem Eindruck zeitweise geschlossener Berufsschulen im vergangenen Jahr stark gestiegen. Und sie können sich mit der Online-Ausbildung als moderne Arbeitgeber präsentieren.

Schulen müssen wieder normal unterrichten, sonst ist eine ganze Generation in Gefahr. Andere Länder zeigen, dass es funktionieren kann.
von Cordula Tutt

GoStudent verspricht das perfekte Match

GoStudent setzt dagegen alles daran, Eltern direkt zu erreichen – und will nun einen Teil der Kapitalspritze in TV-Spots, Briefsendungen und andere Marketingkanäle investieren. Es ist ein gezielter Angriff auf seit Jahrzehnten etablierte Marken wie Schülerhilfe. „Deutschland ist zwar unser stärkster Markt. Aber wenn man Leute auf der Straße fragt, kennt uns kaum jemand“, sagt Ohswald. Er sieht darin vor allem eine Chance: Etwa die Hälfte der gut acht Millionen Schüler in Deutschland bekomme am Nachmittag regelmäßig Extraunterricht. In den meisten Fällen wählten Eltern Bekannte aus – oder folgten Empfehlungen anderer Eltern.

Ohswald verspricht, dass Algorithmen jedem Eltern-Schüler-Gespann nach einem Vorgespräch „perfekt passende Lehrer“ vorschlagen. Dank digitalem Unterricht muss der nicht zufällig in der Nachbarschaft wohnen. In der Datenbank seien inzwischen rund 3000 freiberufliche Tutoren. GoStudent rühmt sich damit, nur fünf bis zehn Prozent der Bewerbungen anzunehmen. Mit jedem Nachhilfelehrer gibt es einen Videocall, geprüft werden fachliche und pädagogische Kompetenzen. Nach den Unterrichtseinheiten geben die Kunden eine Bewertung ab. Nachgehalten wird natürlich auch, ob sich die Noten der Schüler verbessern.

Für die Tutoren sind Plattformen wie GoStudent ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bekommen sie Kunden auf dem Silbertablett serviert. Andererseits müssen sie sich den Spielregeln der Plattform beugen – und die vorgegeben Preise akzeptieren. Zwischen zwölf und 15 Euro zahlt das Start-up für 50 Minuten Einzelunterricht. Den Kunden werden 17,50 und 26,90 Euro pro Einheit in Rechnung gestellt – abhängig davon, wie lange sie sich an die Plattform binden.

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Werben um pensionierte Lehrer

Ein Gegenmodell hat ein Gründertrio aus Ludwigshafen aufgebaut: Tutorspace versteht sich als reiner Marktplatz, auf dem Nachhilfelehrer ihre Dienste anbieten können. „Wir mischen uns nicht direkt in die Preisgestaltung ein“, sagt Mitgründer Patrick Nadler. Schaffen wolle das Start-up eine Vergleichbarkeit sowohl für Onlineangebote als auch für den Unterricht vor Ort. Die Vermittlung ist kostenlos für Eltern und freiberufliche Tutoren. Zahlen müssen dagegen Nachhilfeschulen, die sich ebenfalls auf dem Portal registrieren können. Geld verdient das Start-up zudem mit Werbeanzeigen in seinen Smartphone-Applikationen.

Mehr als 1000 Schulen haben die Gründer laut Nadler inzwischen von sich überzeugen können. Mit der Investitionsbank Rheinland-Pfalz hat sich kürzlich ein erster institutioneller Geldgeber an dem erst im Sommer gegründeten Unternehmen beteiligt.

Gemeinsam ist allen digitalen Plattformen: Sie müssen es schaffen, gute Nachhilfelehrer dauerhaft an sich zu binden. Doch es drohen bereits Engpässe. „Die Kundenzahlen wachsen schneller, als wir unsere Tutoren-Basis ausbauen können“, räumt GoStudent-Gründer Ohswald ein. Bisher setzt das Start-up überwiegend auf Studenten, die nach ihrem Abschluss auf den Nebenverdienst meist nicht mehr angewiesen sind. Nun will das Start-up etwa um pensionierte Lehrer werben, die noch Spaß am Unterrichten haben: „Wir müssen da kreativ werden.“

Mehr zum Thema: Corona ließ einige Geschäftsmodelle implodieren, andere erfuhren eine unerwartete Nachfrage. Das gilt auch für Start-ups.

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