Wirecard-Untersuchungsausschuss Der Club der (fast) ahnungslosen Banker

Quelle: dpa

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss hat Deutschlands Banker-Elite zum Rapport geladen: Warum liehen sie dem Pleitekonzern so viel Geld? Ausgerechnet der unbekannteste Manager belegt, warum die anderen versagt haben.

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Im Ruhrgebiet, so glorifizieren sich die Bewohner gerne, schätzt man die einfachen Dinge: Den Schrebergarten, das Bier an der Trinkhalle – oder in letzter Zeit einen Sieg von Schalke 04. Und ab und zu sind es die einfachen Dinge, die helfen, den komplizierten Dingen auf die Schliche zu kommen.

Diese Lektion konnte man am Donnerstagnachmittag im Bundestag lernen, in der Hauptrolle: Marcus Kramer, Risikovorstand der Münchner Landesbank BayernLB. Er sei in Essen geboren, sagte er, sei also ein Kind des Ruhrpotts.

Kramer ist einer der Banker, die am Donnerstag in Berlin antanzen mussten. Eingeladen hatte: der Untersuchungsausschuss im Bundestag, der die Wirecard-Pleite aufklären soll, den größten Wirtschaftsskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte, der die Republik seit einem halben Jahr intensiv beschäftigt.

Neben dem kaum bekannten BayernLB-Vorstand Kramer hatten die Parlamentarier die Banker-Elite des Landes nach Berlin gebeten, darunter der frühere Commerzbank-Chef Martin Zielke und der amtierende Commerzbank-Risikovorstand Marcus Chromik. Außerdem sollten Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing und Wolfgang Fink kommen, Deutschland-Chef der US-Investmentbanklegende Goldman Sachs.

Der Auflauf an derart wichtigen Geldmanagern sollte die Frage beantworten: Wieso haben die Manager und ihre Mitarbeiter nichts von den Luftbuchungen bei Wirecard mitbekommen, die fast zwei Milliarden Euro betragen haben sollen? Wieso haben so viele Mitglieder dieses Clubs dem Ex-Dax-Konzern hunderte Millionen geliehen – teils bis kurz vor der Insolvenz?

Was Aufschluss gibt: Zweieinhalb Stunden Aussagen des Bayern-LB-Vorstandes Kramer, der erklärte, warum seine Bank Wirecard frühzeitig keinen Kredit mehr gegeben hatte – und der so die Fehler der anderen spiegelte.

Kramers Schilderungen reichen, um eine Lehre zu ziehen: Manchmal muss man sich nur an die einfachen Dinge halten, um das Schlimmste zu vermeiden. In der Causa Wirecard hätten die Banken früh Zweifel haben können, vielleicht sogar haben müssen.

Wenn Kramer sprach, dann hörte man ihn, ganz deutlich sogar: diesen typischen Ruhrgebiets-Slang. Er sagte nicht Tag, er sagte: Tach. Und laufend baute er in seine Sätze „nä“ ein. Einmal schilderte er: „Wenn es ein Amend-and-Extend-Event gibt, nä, dann kann eine Bank sagen, dass sie den Kredit beenden möchte“. Ein anderes Mal erklärte er: „Die Summe all dieser Information, nä, die bringt einen dazu, das so und so zu sehen“. Manchmal wünschte man sich, dass er einfach mal „Hömma“ sagt.

Also von vorne: Kramer – dunkle Krawatte mit Pünktchen, blaues Hemd, dunkler Anzug, grau-weiße Haare und im elften Jahr Risikovorstand der Bank – erklärte, warum die BayernLB doch zuerst Geld an Wirecard verliehen hatte. Das war 2016 – und die Landesbank wurde angesprochen, ob sie in Wirecards Bankenkreis aufsteigen möchte.

Die BayernLB wollte, schließlich hatte sie sich doch jahrelang darum bemüht. Wirecard sitzt ja nicht in Buxtehude, Bautzen oder Münster, sondern gleich vor Haustüre in Aschheim bei München. Das sei, sagte Risikovorstand Kramer, damals eine hochinteressante Adresse gewesen, ein „Wachstumsmarkt“. „Brauche ich nicht erklären“, sagte er. Oder?

Das Zitat ist wohl ein Teil der Erklärung dafür, warum die allermeisten Wirecard solange die Treue gehalten haben – und der Betrug so spät aufgefallen ist. Der Zahlungsdienstleister war der lang ersehnte Tech-Konzern, von denen es in Deutschland so wenige gab und gibt. Er zog sie alle in ihren Bann. Also leiht die BayernLB dem Konzern knapp 50 Millionen Euro als Teil des Konsortiums, eine vergleichsweise kleine Summe für einen solch großen Konzern wie Wirecard. Aber man stand ja erst am Anfang der Kundenbeziehung.

Die BayernLB erstellt damals eine Liste mit Stärken und Schwächen, erklärte der Vorstand. „Wir wollten die Zeit nutzen, die Fragen zu klären, die wir haben“, sagte er. Die Bank wollte Wirecard noch besser verstehen – so wie jeden neuen Kunden. 2018 erhält die BayernLB dann eine weitere Chance, scheinbar jedenfalls.

Wie gut kennen die Banken ihre Kunden?

Die Banken wollen Wirecard noch mehr Geld leihen, die BayernLB könnte ihren Kredit auf 150 Millionen Euro aufstocken. Aber die Konditionen sind andere als zwei Jahre zuvor. Statt fünf Jahre soll das Darlehen nun sieben Jahre laufen, statt eines konkreten Verwendungszweckes wissen die Banken nur grob, wofür Wirecard das Geld verwenden will. Zudem soll den Wirecard-Töchtern erlaubt sein, sich zusätzlich zur Konzernmutter Geld zu leihen. All das könne man machen, aber nur, „wenn wir den Kunden sehr, sehr gut kennen“, sagte Kramer am Donnerstag im Untersuchungsausschuss.

Die BayernLB prüft Wirecard damals – und findet zahlreiche kritische Punkte. Das Geschäftsmodell sei recht anfällig für „IT- und Compliance-Risiken“ gewesen. Die Bilanz habe zwar solide ausgesehen, das Eigenkapital sei hoch und die Verschuldung niedrig gewesen. Aber: Das Eigenkapital habe in schwer zu bewertenden immateriellen Vermögenswerten gesteckt, das habe zu Schwankungen führen können.

Zudem sei die Konzernstruktur komplex gewesen, es sei immer wieder schwierig gewesen, die einzelnen Jahreszahlen miteinander zu vergleichen – und Wirecard habe doch so oft in der Presse gestanden. „Wir haben lieber einen Kunden, bei dem das nicht so ist“, sagte Kramer vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe nie verstanden, warum Wirecard „unheimlich hohe Margen“ gehabt habe, während entsprechende „Risikokosten“ nicht angefallen seien. Obendrein habe der Zahlungsdienstleister Kundenstämme gekauft und sie über 25 Jahre oder gar nicht abschreiben wollen. „Das ist ökonomisch schwer verständlich“, so Risikovorstand Kramer.

Die BayernLB habe mit Wirecard gesprochen: Die Bank „habe Fragen gestellt, nä, aber einige Antworten haben neue Fragen aufgeworfen, nä“, erinnerte sich Kramer. „Wenn man einen Kunden nur zwei Jahre kennt, nä, dann passt das nicht“, sagt er – und betont später noch mal: „Die hohe Marge, nä, habe ich genannt“, erklärte er.

Wieso haben die anderen Banken nicht das gesehen, was die BayernLB bemerkt hat?

Nach Kramer trat neben dem früheren Commerzbank-Chef Martin Zielke und dem Deutsche-Bank-Boss Christian Sewing auch Marcus Chromik vor den Ausschuss in Saal 9400. Der Mann mit dem blauen Jacket und der blau gestreiften Krawatte ist der Risikovorstand der Commerzbank, an der der Staat seit der Finanzkrise mehr als 15 Prozent der Anteile hält. Chromik zeigt beinahe beispielhaft die Argumentation derjenigen, die Wirecard lange treu geblieben sind.

Chromiks Bank spielt im Wirecard-Skandal eine besonders unglückliche Rolle: Lange Jahre ergriff die Commerzbank-Analystin Heike Pauls für Wirecard Partei und verteidigte den Konzern gegen jede Kritik. Jetzt hat die Bank ihre Mitarbeiterin offenbar kaltgestellt, wie der Spiegel am Donnerstag berichtete. Zudem war die Commerzbank Anführerin des Bankenkonsortiums, das Wirecard noch im Herbst 2019 frisches Geld lieh, gleich mehrere hundert Millionen Euro.

Commerzbank-Risikovorstand Chromik erklärte vor dem Ausschuss: Seine Bank sei „Opfer eines unvorstellbaren Betrugs geworden“, er hätte das so „nicht für möglich gehalten“. Sein Institut habe aber „extrem sorgfältig“ gearbeitet, das Engagement beim Zahlungsdienstleister sei damals „voll zu rechtfertigen“ gewesen. Von den Abgeordneten auf eine gewisse kritische Bilanzposition Wirecards angesprochen, sagte er: Dafür sei der Wirtschaftsprüfer verantwortlich. Das stimmt. Einerseits.

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Selbst der BayernLB-Vorstand Kramer hatte vor dem Commerzbank-Mann zu Protokoll gegeben, seine Bank habe nie an Betrug geglaubt. Auch er verlasse sich auf die Testate von Wirtschaftsprüfern, bei Wirecard etwa hatte EY die Zahlen testiert. Andererseits: Die Schilderungen des BayernLB-Vorstandes zeigen, wie leicht es gewesen wäre, Zweifel zu haben und kein Geld zu versenken – ohne den Betrug gleich aufzudecken.

Es reicht, nur lange genug nachzufragen – und sich abzuwenden, wenn die Antworten nicht überzeugen. Wer die Dinge nicht versteht, sollte sich besser nicht engagieren, so einfach ist das.

Eine der letzten Fragen an den BayernLB-Vorstand Kramer stellte der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi: Ob die Finanzaufsicht Bafin nicht auch die kritischen Punkte hätte entdecken müssen? Die Behörde ist wegen ihres Versagens in der Causa Wirecard längst unter Druck gekommen, Medien und Politik haben bereits mehrfach den Rücktritt von Bafin-Präsident Felix Hufeld gefordert.

BayernLB-Banker Kramer wollte nicht so richtig antworten, er sagte nur: „Die Dinge sind kompliziert genug, ist wirklich alles kompliziert genug“.

Ja, manchmal sind die Dinge auch kompliziert. Immerhin hat Kramer sie ein bisschen einfacher gemacht. Nä!

Mehr zum Thema: Unser Autorenteam recherchiert seit Jahren zu Wirecard – und beschreibt hier, wie es den Absturz des Dax-Konzerns erlebt hat.

Mit Material von dpa und Reuters

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