2,4 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich. Jetzt ist es also da, das erste Preisetikett der Gas-Umlage, festgelegt von der Trading Hub Europe (THE), dem Marktverantwortlichen für den deutschen Gasmarkt. Bei zwischen 1,5 und 5 Cent, hatte das Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) Robert Habecks zuvor angegeben, werde die Umlage im ersten Schritt liegen – die THE ist eher am unteren Ende dieser Korridors geblieben.
Rund 120 Euro Mehrkosten bedeutet das im Schnitt für einen Single-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden, etwa 480 Euro für einen 4-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden. Spürbare Kosten sind das, wenn die THE auch, wohl auch aus politischen Gründen, den Korridor nicht vollends ausgeschöpft hat. Hart genug ist die Entwicklung ohnehin. Vor etwas mehr als einem Jahr war die Kilowattstunde Gas für Haushalte noch für unter 6 Cent zu haben, schon jetzt liegt der Preis bei rund 25 Cent und mehr.
Es ging nicht anders
Berlin hat diese Umlage im Eiltempo durchgepeitscht. Es ging nicht anders. Als Wladimir Putin Mitte Juni begann, den Hahn der so wichtigen Pipeline Nord Stream 1 zuzudrehen, fehlte deutschen Energieimporteuren, allen voran Uniper, das vertragsgemäß zugesicherte Gas. Das mussten sie am Spotmarkt teuer nachkaufen, bei Uniper sollen die monatlichen Zusatzkosten nahe an die Milliardengrenze gegangen sein. Weil an Uniper Hunderte deutscher Stadtwerke hängen, sprang die Bundesregierung ein, rettete Uniper – und schuf im Energiesicherungsgesetz (EnSiG) die rechtliche Grundlage für die Gasumlage, niedergelegt in Paragraf 26 (EnSig). Die Importeure mussten der THE ihre Mehrkosten melden, die hat daraus die Höhe der Umlage berechnet, die für alle Gaskunden gilt. 90 Prozent der Kosten können die Unternehmen so umlegen.
Insgesamt haben nun zwölf Gasimporteure ihre Ersatzbeschaffungskosten bei der THE angemeldet. Bezogen auf den Umlagezeitraum bis Anfang April 2024 machten diese Gasimporteure 34 Milliarden Euro an Kosten geltend. Im Drei-Monats-Rhythmus kann nun die Höhe der Umlage angepasst werden, die tatsächlichen Mehrkosten der Unternehmen werden nachgelagert überprüft. Von Oktober 2022 bis April 2024 ist die Umlage befristet. Die genaue Umsetzung hat Habecks Haus per Verordnung verfügt.
Strafzahlung für Jahrzehnte blauäugiger Politik
Es ist, trotz aller Schwierigkeiten, die sozialverträgliche Variante, Preise weiterzugeben. Die hohen Beschaffungskosten werden auf alle umgelegt. Die zweite Variante ist es, dass einzelne Unternehmen ihre Mehrkosten direkt an ihre Kunden durchreichen können. Das sieht der Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes vor. Das würde für Kunden einzelner Unternehmen von jetzt auf gleich extrem hohe Aufschläge bedeuten – und birgt eine noch größere Gefahr sozialer Härten.
2,4 Cent: Umlage trifft alle Gaskunden
2,419 Cent pro Kilowattstunde werden vom 1. Oktober an als Aufschlag auf den ohnehin drastisch gestiegenen Gaspreis fällig. Die Bundesregierung will keine Mehrwertsteuer darauf erheben: Finanzminister Christian Lindner hatte auf EU-Ebene um eine Ausnahme gebeten, diese wurde aber abgelehnt. Viele Menschen sind betroffen, denn etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt.
Für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden bedeutet die Umlage ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro. Mit wären es rund 144 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten bei rund 484 Euro im Jahr. Kommt die Mehrwertsteuer hinzu, sind es 576 Euro.
Die Umlage gilt ab Anfang Oktober. Sie werde aber nicht unmittelbar auf den Rechnungen sichtbar, sondern mit etwas Zeitverzug, so das Wirtschaftsministerium. Ankündigungsfristen von vier bis sechs Wochen müssten eingehalten werden. Daher werde die Umlage wahrscheinlich erst im November oder Dezember erstmals auf den Rechnungen ausgewiesen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft rechnet allerdings damit, dass einige Versorger die Umlage schon ab dem 1. Oktober ihren Kunden in Rechnung stellen werden.
Die Umlage endet am 1. April 2024. Sie wird laut Wirtschaftsministerium monatlich abgerechnet und kann alle drei Monate angepasst werden. Die Ausgleichszahlungen bekommen die Importeure nur unter bestimmten Bedingungen. Abgerechnet werden können 90 Prozent der Mehrkosten. Noch bis Ende September müssen die Unternehmen alle Mehrkosten selbst tragen. Sollte Russland gar kein Gas mehr liefern, hält Habeck es für wahrscheinlich, dass die Umlage steigt.
Den Firmen, die in der Vergangenheit günstiges russisches Erdgas nach Deutschland importiert haben. Sie bekommen noch einen Bruchteil der vertraglich zugesicherten Liefermengen. Gleichzeitig haben sie ihren Abnehmern wie Stadtwerken genau dieses Gas versprochen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen sie kurzfristig Gas an der Börse teuer hinzukaufen. Die Folge: Bei den Importeuren sind erhebliche Verluste entstanden. Der Fortbestand der Unternehmen kann gefährdet sein. Beim größten Gasimporteur Uniper war die Lage so dramatisch, dass noch vor Einführung der Umlage ein milliardenschweres Rettungspaket nötig wurde. Habeck bezeichnete die Umlage als eine „bittere Medizin“. Die Alternative zu den Hilfsmaßnahmen wäre ein Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen.
Russland macht technische Gründe dafür verantwortlich. Die Bundesregierung hält dies für vorgeschoben. Habeck sprach am Montag von einer „von russischer Seite verursachten künstlichen Energieknappheit“ im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte den Bürgern erneut ein weiteres Entlastungspaket zu. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter und räumte gleichzeitig ein: „Es wird teurer – da gibt es kein drumherumreden. Die Energiepreise steigen weiter.“ Bisher seien schon staatliche Hilfen über 30 Milliarden Euro beschlossen worden. Habeck sagte, die Bundesregierung habe sich schon auf erste Schritte wie eine Ausweitung des Wohngeldes mit einem Heizkostenzuschuss verständigt. „Ich meine aber, dass weitere zielgenaue Entlastungen nötig sind. In dieser Krise müssen wir den demokratischen Konsens sozialpolitisch absichern.“
Zwölf Gasimporteure haben ihre Ersatzbeschaffungskosten angemeldet. Darunter sind Uniper, VNG und EWE. RWE und Shell wollen auf eine Kostenerstattung verzichten. Insgesamt haben die zwölf Unternehmen bis Anfang April 2024 zunächst rund 34 Milliarden Euro geltend gemacht, teilweise aufgrund von Schätzungen. Wirtschaftsprüfer und die Bundesnetzagentur sollen darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Das ist noch nicht ganz klar und wird geprüft. Gegebenenfalls wird es noch Gesetzesänderungen geben. Habeck wies darauf hin, dass es auch viele Festverträge mit einer Preisanpassungsmöglichkeit für staatliche Abgaben gibt.
Neben der Beschaffungsumlage kommt im Herbst noch eine Gasspeicherumlage. Diese soll die Kosten ersetzen, die für die Extra-Einspeicherung von Erdgas zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit im Winter entstehen. Das Wirtschaftsministerium geht aber nicht davon aus, dass diese Umlage eine „relevante Größe“ erreichen wird.
Die Gasumlage wird nach Ansicht von Ökonomen zu einer Steigerung der Inflationsrate führen. So hält das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine Inflationsrate im vierten Quartal um die zehn Prozent für möglich. Experten der Commerzbank gehen von einer Steigerung der Teuerung bis Jahresende auf deutlich über neun Prozent aus.
Diese Umlage ist bitter, denn sie ist – jenseits der Staatsmilliarden, die in die Rettung von Uniper gepumpt werden müssen – die erste Rechnung für Jahrzehnte blauäugiger Abhängigkeit von Putin. Jahrzehnte befeuerte ausschließlich das billige russische Gas den deutschen Wohlstand. Dass diese kollektive Fahrlässigkeit die Deutschen früher oder später teuer zu stehen kommen würde, ist seit Putins Angriff auf die Ukraine klar. Dass der Winter hart wird, ist bisher, im heißen Sommer, noch eine abstrakte Gefahr. Mit der Umlage wird nun die erste, fassbare Rechnung präsentiert: Zahlen, bitte!
„You’ll never pay alone?“
Die Umlage ist, auch wenn anfangs eher schwach dosiert, brutal, denn sie wird einen Teil der Verbraucher hart treffen. Die Bundesregierung hat das erkannt, weiß, dass hier nun weitere Entlastungen nötig sind. „You’ll never walk alone!“ ist die etwas kuriose Ampel-Hymne von Kanzler Olaf Scholz, bei der man immer die Gesänge an der Liverpooler Anfield Road und das Gesicht Jürgen Klopps im Kopf hat. Scholz, nicht Klopp, wird in den nächsten Tagen genau festlegen müssen, was sein Solidaritäts-Mantra für Wohngeld und Heizkostenpauschale bedeutet. You’ll never pay alone. Was heißt das denn? „Die Umlage muss und wird von einem weiteren Entlastungspaket begleitet werden“, ließ sich Robert Habeck am Montagmittag nach Verkündung der Höhe der Umlage zitieren.
Endlich kann der Preis wirken, trotz aller Probleme
Gleichzeitig ist die Umlage richtig, weil sie erstmals das so wichtige Preissignal sendet. Auch wenn die Gasspeicher sich nun im Eiltempo füllen, die Zielmarke von 75 Prozent schon weit vor dem 1. September erreicht ist, so muss zwingend gespart werden – und der zentrale Hebel ist der Preis. Dass der nun, abgefedert zwar, aber sehr deutlich sichtbar wirkt, ist wichtig.
Bei der Umsetzung der Umlage hapert es nach wie vor. Entscheidende Fragen lässt die Verordnung aus dem Wirtschaftsministerium offen. Gilt die Umlage auch für jene Kunden, die mit ihrem Versorger einen Festpreis vereinbart haben? Muss die Bundesregierung, um das zu ändern, noch einmal an das Energiesicherungsgesetz ran? Kann es bei der Umlage, wie von Finanzminister Christian Lindner (FDP) gefordert, eine Ausnahme von der Mehrwertsteuerregelung geben, eine Absenkung etwa auf sieben Prozent? Normalerweise müssten 19 Prozent angesetzt werden. Und: Was bedeutet die Umlage für Kunden, die mit Gas erzeugte Fernwärme beziehen? Haben Versorger, also etwa Stadtwerke, genug Zeit, ihre Kunden fristgerecht zu informieren? Verbraucherschützer tadeln die Verordnung als handwerklich schlecht gemacht und fordern einen Aufschub. Soweit rechtlich und praktisch irgend möglich, sollte der allerdings vermieden werden. Es ist wichtig, dass der Preis schnell wirkt.
Spannend: Wie verhalten sich die Konzerne?
Sehr genau betrachtet werden muss, wie die Großkonzerne die Umlage nutzen – und ob wirklich ein Bedarf vorhanden ist. Versorger ist eben nicht gleich Versorger – und die Abhängigkeit von Russland unterscheidet sich erheblich. Für Uniper und seine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen ist die Umlage quasi alternativlos. RWE hat vergangene Woche angekündigt, auf die Umlage verzichten zu wollen. Zahlen nannte Konzernchef Markus Krebber nicht, aber es dürfte um Beträge in der Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Euro gehen, die RWE sich nicht erstatten lässt. EnBW, das mit seiner Tochter VNG stärker am russischen Gas hängt, hat dagegen angekündigt, nicht auf die Umlage verzichten zu wollen. Wer sich einen Verzicht warum leisten kann oder nicht, das wird in den nächsten Wochen Gegenstand weiterer Analysen sein müssen.
Die erste Festsetzung der Höhe der Umlage ist nur der Anfang einer langen Diskussion. Es ist gut möglich, dass schon das nächste Etikett einen höheren Preis aufweist.
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