Podcast High Voltage E-Autos statt Atomkraftwerk: Lichtblick will virtuelles Mega-Kraftwerk bauen

Ab 2022 sollen Elektroautos wie etwa VWs ID.3 oder ID.4 Strom nicht nur laden, sondern auch wieder ans Netz zurückgeben können. Quelle: imago images

Der fünfgrößte deutsche Stromanbieter Lichtblick will die Batterien von Elektroautos bundesweit vernetzen und so ein virtuelles Kraftwerk errichten. Es soll die Größenordnung eines Atomkraftwerks haben. Autohersteller wie Volkswagen oder BMW schaffen derzeit die technischen Voraussetzungen.

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Der Ökostromanbieter Lichtblick hat große Pläne mit der schnell wachsenden Zahl von E-Autos in Deutschland: Der Energieversorger will die Batterien tausender Autos zu einem gigantischen Stromspeicher zusammenschalten. „Wir würden gern ein virtuelles Kraftwerk errichten, das die Fahrzeuge bundesweit bündelt und diese Leistung an den Energiemärkten platzieren“, sagte Markus Adam, Leiter Recht bei Lichtblick, im WirtschaftsWoche-Podcast High Voltage. Das sei ein „Thema, das uns brennend interessiert“. Ein derartiger Speicher könne enorme Strommengen vorhalten: „Das geht schon in die Richtung der Ablösung von Atomkraftwerken. Damit schlagen Sie jedes Pumpspeicherkraftwerk.“ 
Die Idee: E-Autos, die über das Ladekabel mit dem Stromnetz verbunden sind, können den Strom, der zuvor in die Batterie des Autos geladen wurde, auf dem gleichen Weg wieder ins Stromnetz zurückschicken. „Vehicle-to-Grid“ (V2G, deutsch: vom Fahrzeug ins Netz) heißt diese Technologie. Weil Autos im Durchschnitt über 90 Prozent der Zeit nicht gefahren werden und viele E-Autos in dieser Zeit ohnehin ans Stromnetz angeschlossen sind, könnte V2G eine häufig genutzte Technik werden. 

Autos mit dieser Funktion können von Netzbetreibern zur Stabilisierung der Stromnetze genutzt werden – also Strom aufnehmen, wenn Solaranlagen oder Windräder überschüssigen Strom erzeugen und ihn wieder abgeben, wenn die Nachfrage im Netz hoch ist. Das Netz mit anderen Methoden zu stabilisieren, etwa durch den vorübergehenden Betrieb von Gaskraftwerken, dürfte für die Versorger deutlich aufwändiger und kostspieliger sein. Darüber hinaus könnten Privatkunden solche Autos auch als Speicher für den eigenen Solarstrom nutzen. Ein Mittelklasse-E-Auto mit voller Batterie könnte ein Einfamilienhaus mehrere Tage lang mit Strom versorgen. 

Künftig seien E-Autos als Strompuffer „ein ganz wichtiger Bestandteil der Stromversorgung“, sagt Adam: „Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, auf diese Stromspeicher zu verzichten“. Lichtblick habe die Technik bereits zusammen mit Volkswagen getestet. Obwohl bei diesem Test der Kleinwagen VW Up! mit kleinen Batterien verwendet worden sei, habe die Netzstabilisierung einwandfrei funktioniert. Es gehe jetzt darum, „genügend Fahrzeuge im Markt zu haben, die diese Rückspeisefähigkeit haben“. 


Zu den wenigen E-Autos, die heute bereits über V2G verfügen, gehört der Leaf von Nissan. Der japanische Autobauer untersucht derzeit zusammen mit Bosch und zwei Fraunhofer-Instituten in einem Feldversuch in Deutschland die Einbindung der Leaf-Modelle in die Stromversorgung. Auch der japanische Autobauer Mitsubishi bietet die Technik an und untersucht sie in mehreren Projekten. BMW erforscht die Integration von E-Autos ins Stromnetz zusammen mit Partnern wie den Netzbetreibern TenneT und Bayernwerk. 

Für einen schnellen Durchbruch der Technik könnte Volkswagen sorgen. Die Wolfsburger haben angekündigt, ab diesem Jahr mehrere Modelle mit der V2G-Technik auszuliefern. Den Anfang sollen Fahrzeuge mit größeren Batterien (77 Kilowattstunden) machen. Außerdem ist Volkswagen mit einer Ladestation (Wallbox) im Pilotbetrieb, die nicht nur besonders schnelles Aufladen ermöglicht, sondern auch für die Rückspeisung des Stroms von der Batterie ins Netz ausgelegt ist. 

Weltweit laufen Dutzende V2G-Forschungsprojekte von Energieversorgern und Netzbetreibern. Ihr Interesse hat vor allem wirtschaftliche Gründe: Sie wollen mit der Speichertechnik die Stromversorgung aus schwankenden Energiequellen (Solar, Wind) kostengünstig absichern. 

Laut einer Studie von Nissan, E.ON Drive und dem Londoner Imperial College kann die Einbindung von E-Autos in das Stromnetz die Betriebskosten des Netzes um gut 13.000 Euro pro Auto und Jahr senken. Betreiber von Fahrzeugflotten könnten mit V2G-fähigen Autos jährlich 800 bis 1400 Euro pro Auto sparen, weil die Fahrzeuge geladen werden können, wenn Strom überschüssig und damit günstig ist. Außerdem winken den Flottenbetreibern Vergütungen, wenn die Autos in Zeiten hoher Stromnachfrage Elektrizität ins Netz speisen.

Aber auch privaten Autofahrern winken handfeste Vorteile, wenn sie ihr Auto dem Netzversorger als Strompuffer zur Verfügung stellen: Die Technik werde sich „am Ende für die Netzbetreiber und die Kunden“ lohnen, verspricht Lichtblick-Manager Adam. Bei den aktuellen Strompreisen könnte man als Kunde mit einer jährlichen Vergütung von „100 oder 200 Euro“ rechnen. 

Mehr zum Thema: Der Produktionsstart der Tesla-Fabrik in Grünheide verzögert sich weiter. Der Bürgermeister erklärt, warum ihn weder das noch die anstehende Gerichtsverhandlung wegen Wasserlieferungen an den US-Autobauer beunruhigt.
 

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