Giga Factory in Grünheide „Erstaunlich, wie schnell das geht – wo doch alle nur von Lieferengpässen und Corona reden“

Die Baustelle Anfang Januar: Tesla produziert in Brandenburg bereits Autos zum Test. Verkauft werden dürfen sie aber noch nicht. Quelle: dpa

Der Produktionsstart der Tesla-Fabrik in Grünheide verzögert sich weiter. Der Bürgermeister erklärt, warum ihn weder das noch die anstehende Gerichtsverhandlung wegen Wasserlieferungen an den US-Autobauer beunruhigt.

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Wann fällt der Startschuss für die Tesla-Produktion in Grünheide (Mark), Brandenburg? Noch hat das zuständige Landesamt in Potsdam die endgültige Genehmigung nicht erteilt, momentan deutet vieles auf März hin. Für Arne Christiani (parteilos), seit fast 20 Jahren an der Spitze der Grünheider Gemeindeverwaltung, ist das Riesenprojekt ein „Lottogewinn“. Im Interview mit der WirtschaftsWoche sprach er Anfang Februar über Musks Versprechen, sein eigenes Demokratieverständnis, das im vergangenen Jahr nach umstrittenen Äußerungen von ihm in Frage gestellt wurde, – und Teslas Vorzüge für den Standort. Als Bürgermeister, sagt der 62-Jährige, werde er die erhoffte Gewerbesteuerflut nicht mehr erleben.

WirtschaftsWoche: Herr Christiani, verspricht Elon Musk mehr, als er hält?
Arne Christiani: Ich kenne nicht alle Versprechen, die Elon Musk gemacht hat. Das einzige, das ich kenne, ist: Er hat am 12. November 2019 in Berlin versprochen, eine Automobil- und eine Batteriefertigung für Europa zu bauen. Das hält er.

Ursprünglich sollte die Produktion bereits im Sommer 2021 starten. Dann sagte Musk, die ersten Autos würden Ende des Jahres die Hallen verlassen. Das ist schon ein gewisser Zeitverzug.
Es war angedacht im Sommer des vergangenen Jahres, aber mit der Neueinreichung des Genehmigungsantrages wegen der Batteriefabrik war klar, dass das gar nicht gehen kann. Und das ist aus Sicht der Gemeinde Grünheide vollständig nachvollziehbar. Es ist aus verkehrstechnischen und ökologischen Betrachtungen nur zu begrüßen, dass Fahrzeuge und Batteriezellen an einem Standort produziert werden und nicht um die halbe Welt geschifft werden.

Es dauert also gar nicht so lange?
Vor zwei Jahren war die Fläche noch komplett bewaldet. Am 29. Februar 2020 mussten die ersten 90 Hektar gefällt und die Stubben gerodet sein, weil am 1. März die Vegetationsphase beginnt. Wenn man sich diese Zeitschiene mal vor Augen führt, was in den letzten zwei Jahren da passiert ist, und das mit den Erfahrungen anderer Bauvorhaben in Deutschland vergleicht, ist das eher rekordverdächtig. Ich fahre täglich ein-, zweimal am Gelände vorbei. Es ist schon erstaunlich, wie schnell das vorangeht – wo doch alle nur von Lieferengpässen, Fachkräftemangel und Corona reden.

Wie erklären sie einem Außerirdischen, der noch nie etwas von Tesla und dieser riesigen Fabrik in Grünheide gehört hat, warum die für ihre Gemeinde so bedeutsam ist?
Das zeichnet sich jetzt ganz deutlich ab: Weil wir es über Jahrzehnte nicht geschafft haben, hier vor Ort und in der näheren Umgebung Perspektiven für junge Menschen zu schaffen, damit sie ihren Lebensmittelpunkt hier, wo sie geboren und aufgewachsen sind, behalten können. Das heißt im Klartext: anspruchsvolle, hochwertige Arbeitsplätze, um nach erfolgreicher Schulausbildung hier leben, arbeiten und das gesellschaftliche Leben weiter so tragen zu können wie in der Jugend – im Sport, in der Kultur oder bei der Feuerwehr. Das ist aus meiner Sicht der Lottogewinn.

Arne Christiani, 62, ist seit beinahe 20 Jahren Bürgermeister der Gemeinde. Die Tesla-Ansiedlung ist für ihn ein „Lottogewinn“. Quelle: Gemeinde Grünheide

Rein hypothetisch: Was würde konkret passieren, wenn Tesla die Genehmigung am Ende doch nicht erhält?
Rein theoretisch würde das den Rückbau des kompletten Werkes bedeuten. Dann wären auf 150 Hektar märkischer Sandboden zu sehen, bereit für den nächsten Investor. Die Bäume bräuchten nicht wieder aufgepflanzt werden, weil es sich um eine Industriefläche handelt. Der Status des Geländes im Bebauungsplan verändert sich nicht.

Wer müsste den Rückbau bezahlen?
Ich kann mir nur vorstellen, dass das zulasten des Investors geht.

Der Lottogewinn, von dem Sie häufig sprechen, wäre für die Gemeinde auch finanzieller Natur. Was bringt Tesla der Gemeinde wirtschaftlich?
Das kann ich Ihnen heute noch nicht sagen.

Was erhoffen Sie sich?
Ich gehe von erheblichen Gewerbesteuereinnahmen aus. Das wird irgendwann ausschlaggebend für den Haushalt der Gemeinde sein, aber das wird nach meiner Zeit sein, ist also spekulativ.

Ihre Amtszeit geht doch noch bis 2027.
Ja, aber dann dürfte die Endausbaustufe des Werkes noch nicht erreicht sein. Und Gewerbesteuer geht erst an die Gemeinde, wenn das Unternehmen Gewinn erwirtschaftet. Das wird noch eine Weile dauern mit dieser Fabrik. Aber irgendwann, so hoffe ich, wird Grünheide zu den Gemeinden gehören, die anderen Brandenburger Gemeinden, die nicht einen solchen Standort haben, von ihren Gewerbesteuereinnahmen abgeben können.

Herr Christiani, Sie haben vor einigen Monaten im niederländischen Fernsehen auf die Frage nach den Protesten von Umweltschützern gesagt: „Das muss ja nicht heißen, dass ich unbedingt der größte Verfechter der Demokratie bin.“ Sie mussten für diesen Satz harsche Kritik einstecken, die Einreichung eines Abwahlantrags scheiterte aber an den nötigen Stimmen. Was wollten Sie mit diesem Satz zum Ausdruck bringen?
Da fehlte nur ein Halbsatz. Demokratie heißt für mich auch, Mehrheiten zu akzeptieren. Wenn es einen Beschluss gibt, der demokratisch von einem Kreis- oder Landtag gefasst wurde, ist diese Mehrheit auch zu akzeptieren.

Können Sie verstehen, dass es für die Äußerung Kritik gab?
Ich habe mich für meine Wortwahl bei der Gemeindevertretung und bei der Bevölkerung entschuldigt. Weiter kommentiere ich das nicht.

Denken Sie in der Rückschau manchmal, dass Sie manchen Bedenken nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben?
Man muss die verschiedenen Ebenen betrachten: Einmal das Land Brandenburg, auf deren ehemaliger Fläche die Giga Factory errichtet wird. Die Gemeinde Grünheide war ja nie Eigentümer. Das Land ist auch federführend für das Genehmigungsverfahren. Der Landkreis ist mit Bauordnungsbehörde und Unterer Wasserbehörde für bestimmte Teilgenehmigungen zuständig. Die Gemeinde Grünheide ist wiederum federführend für das Planungs- und Baurecht. Dieser Prozess ist bereits vor einem Jahr abgeschlossen worden.

Danke für diese Unterscheidung, aber zurück zur Frage: Sind alle Prozesse ihren rechten Weg gegangen?
Wir hatten innerhalb der Gemeindevertretung mit einem Ergebnis von 16 Ja- zu zwei Nein-Stimmen eine große Zustimmung für den Bebauungsplan. Deswegen ist das von der Gemeinde mit entsprechendem Respekt und Gewissenhaftigkeit begleitet und entschieden worden – kritisch und ausgewogen.

Ist die Infrastruktur in der Gegend für Tausende Tesla-Mitarbeiter und das Ausmaß an Zu- und Auslieferungen gewappnet?
In der gegenwärtigen Phase muss ich eindeutig sagen: ja. Seit den Rodungen und dem Beginn des Rohbaus des Werkes vor knapp zwei Jahren sind die Straßen und Autobahnen ringsherum weitestgehend von zusätzlichem Verkehr verschont geblieben. Der Verkehr über das werkseigene Bahngleis und über die Autobahn funktionieren hervorragend. Der Tag der offenen Tür mit über 9000 Gästen am Ferienbeginn und bei vollem Dienstbetrieb auf der anderen Straßenseite war eine hervorragende Generalprobe für die Infrastruktur.

Die IG Metall kritisiert, die Betriebsratswahlen bei Tesla Ende Februar kämen viel zu früh. Die endgültige Genehmigung für die Fabrik liegt dann womöglich noch gar nicht vor. Vorausgesetzt sie kommt, wird sich die Mitarbeiterzahl danach noch deutlich erhöhen. Teilen Sie die Kritik der Gewerkschaft?
Es gab über Monate Kritik aus allen möglichen Richtungen. Lange war von Betriebsratswahlen überhaupt nicht die Rede. Ich begrüße es, dass diese jetzt vom Unternehmen vorangetrieben wird. Das ist ein wichtiges Signal gegenüber den Mitarbeitern. Ob es dann mit steigender Mitarbeiterzahl Nachwahlen gibt, weiß ich nicht.

Am kommenden Freitag sollte das Verwaltungsgericht über die Klage zweier Umweltverbände gegen eine Bewilligung zur Wasserförderung für den US-Autobauer verhandeln. Krankheitsbedingt wurde der Termin verschoben. Bereitet Ihnen das Verfahren Sorgen?
Die Genehmigung beruht schon auf den korrekten Zahlen. Dass Dokumente vertauscht wurden, hat die Behörde eingeräumt. Aber das sind Sachen, die jederzeit zu heilen sind. Mir bereitet das weniger Sorgen, und ich gehe davon aus, dass das für die endgültige Genehmigung der Fabrik keine Rolle spielt.

Mehr zum Thema: Sich bei Tesla in Grünheide zu bewerben, klingt nach einem guten Plan, handelt es sich doch um den vielleicht modernsten Autobauer der Welt. Doch was Menschen berichten, die sich schon beworben haben, schreckt ab.

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