Russischer Energieriese Warum Deutschland Gazprom nicht ausgeliefert ist

Der russische Energieriese Gazprom besitzt eine Marktstellung in Deutschland, gegen die niemand so schnell ankommt. Doch Ineffizienz, strategische Schlafmützigkeit und die EU dürften den Konzern langfristig um seine Pfründen bringen.

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Wladimir Putin mit Gazprom-Chef Alexey Miller Quelle: dpa

Wie mächtig Gazprom ist, führt der weltgrößte Gasförderer Besuchern gern vor, indem er sie in seinem Kontrollraum empfängt. So groß wie ein Theater ist die Leitwarte im zweiten der 35 Stockwerke der Konzernzentrale in Moskau. Auf meterlangen Monitoren und Anzeigentafeln leuchten unzählige Linien: dicke, die die großen Pipelines des Energieriesen markieren; dünne, die das Gas nach Europa transportieren, in die Ukraine, nach Bayern, ins Rheinland oder in die Niederlande.

Über den Linien und über den Köpfen der Gazprom-Mitarbeiter herrscht Ruh, fast Langweile. Und doch spürt der Besucher: Wer hier sitzt, der könnte, so Russlands Präsident Wladimir Putin dies wollte, Europa mit links vom Gas abklemmen, praktisch per Mausklick.

Der imposante Schaltraum in der Nametkina-Straße 16, eine Viertel Autostunde vom Kreml entfernt – ein Inbegriff der Unbezwingbarkeit und schieren Stärke? Oder eher nur Inszenierung und Show, um von der inneren Verfassung eines kränkelnden Riesen und seinen verborgenen Schwächen abzulenken? Für den Energiegiganten mit knapp 120 Milliarden Euro Umsatz (2012) und 417.000 Mitarbeitern, der seit der Krim-Krise zum Angstfaktor Westeuropas geworden ist, gilt beides.

Auf der einen Seite hat sich der Noch-Monopolist in Russland eine Marktposition in der EU und in Deutschland erobert, die es den Regierungen nicht erlaubt, bei einer Eskalation der Krise Wirtschaftssanktionen auf Gazprom auszuweiten.

Energieexpertin Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin rät davon dringend ab: „Kurzfristig ist die EU nicht in der Lage, die Importmengen aus Russland zu ersetzen.“ E.On-Chef Johannes Teyssen, dem größten Gazprom-Kunden in Europa, bleibt deshalb nur, das Prinzip Hoffnung zu beschwören: „Die Geschäftsbeziehungen sind auch in den Jahren des Kalten Krieges konstant gut geblieben.“

Auf der anderen Seite kaschiert die Machtdemonstration in der Schaltzentrale, dass die gegenwärtige Dominanz von Gazprom in Deutschland und Westeuropa vergänglich ist. Denn mittelfristig droht Gazprom an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren: Ineffizienz, Bürokratie und Korruption sorgen dafür, dass der Konzern schon seit Jahren daran scheitert, ein moderner Energiekonzern zu werden, der sich rasch Marktveränderungen anpasst.

Die Strategie von Gazprom sei eine „Schande für Russland“, sagt Wladimir Milow, der Anfang des Jahrtausends unter Putin Vize-Minister im Energieministerium war und jetzt in Moskau ein Institut für Energiepolitik leitet. Der Konzern habe „alle Trends der globalen Energiewirtschaft verschlafen“ und sei „der letzte Dinosaurier“ am Markt.

Statt etwa auf Flüssiggas zu setzen oder den Wettbewerb durch Schiefergas ernst zu nehmen, lasse Gazprom zu, dass sich einflussreiche Russen mithilfe des Unternehmens bereichern. „Die größten Gewinne machen Tochterfirmen von Gazprom, die Bauprojekte abwickeln und an denen persönliche Freunde der Machthaber beteiligt sind“, sagt Milow. Inzwischen sei Gazprom durch Vetternwirtschaft so ineffizient, dass der kurze russische Abschnitt der Ostsee-Pipeline Nord Stream teurer wurde als die Verlegung der eigentlichen Pipeline am Meeresboden.

Gazprom selbst bestreitet die Vorwürfe und begründet die hohen Kosten mit der Kompressorstation, die auf russischem Boden für die Verschickung des Gases habe errichtet werden müssen.

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