„Ich mag Hitler.“
„Ich liebe Nazis.“
„Ich sehe auch gute Dinge bei Hitler.“
„Wir müssen aufhören, Nazis die ganze Zeit zu dissen.“
Deshalb hat er wohl auch über Social Media das Bild eines Hakenkreuzes verbreitet. Als lieb gemeinte Anerkennung sozusagen.
Man spürt es selbst als Laie: Die Zusammenarbeit eines Unternehmens mit einer Image-Ikone, die solche Standpunkte vertritt, ist eine Herausforderung für die eigene Markenpflege.
Aber diese Äußerungen von Kanye West Ende vergangenen Jahres waren ja nur der Gipfel. Nach Einschätzung des Wiesenthal-Zentrums steht Kanye West an der Spitze der Antisemitismus-Liste der zehn schlimmsten Vorfälle 2022. Und bei der Pariser Fashion Week trug der schwarze Rapper ein T-Shirt mit dem Slogan „White Lives Matter“.
Und ausgerechnet der deutsche Sportartikel-Hersteller hat sich diesen Typen ans Bein gebunden. Lange Zeit war die Kooperation wie eine Lizenz zum Gelddrucken. 1,2 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr hat Adidas nach eigenen Angaben mit West generiert.
Dass die Adidas-West-Kooperation eine Zumutung für die zivilisierte Shopping-Welt war, hat am Ende dann aber auch Adidas kapiert und hat den Deal im Herbst vergangenen Jahres in den Wind geschlagen. Dort hielt man Kanye West lange für ein super kreatives, wenn auch etwas durchgeknalltes Mastermind. Es hieß intern: Von West konnten die Adidas-Designer noch einiges lernen. Zu lernen, dass ihr Star ein Hitler-Verehrer ist, muss da weh getan haben. Und die Aufwachphase in Herzogenaurach hat Zeit gebraucht.
Das war letztes Jahr. Aber jetzt noch sind die Lager vollgestopft mit Yeezys, den berühmten von West designten Kult-Sneakern, für die Fans zu normalen Zeiten gut und gerne zwischen 200 und 600 Euro hinblättern konnten.
Und Adidas geht davon aus, dass diese Fans die Schuhe auch noch heute kaufen würden. Mit anderen Worten: in den Lagern schlummern Millionenwerte (Adidas spricht von 400 Millionen Euro), die womöglich nicht realisierbar sein könnten.
Denn hier kommt die Gewissensfrage: Was soll Adidas mit diesen Schuhen tun?
A. Die Schuhe verbrennen
Der neue CEO Björn Gulden sieht das offenbar ähnlich wie Umweltschützer: Es wäre eine überhaupt nicht nachhaltige Lösung. Hochwertige Schuhe sind Menschen eben auch deshalb etwas wert, weil man in ihnen gut laufen kann. Und das kann man ja auch in von einem Nazi-Fan designten.
Aus gleichem Grund haben die Deutschen 1945 auch nicht angefangen, die Autobahnen umzupflügen, die Autowerke in Wolfsburg zu sprengen und den Flughafen Tempelhof (der Inbegriff größenwahnsinniger, kalter Nazi-Architektur) abzureißen. Man kann es noch gebrauchen.
Kann man also die verkommene Persönlichkeit des Künstlers von dessen genialer oder zumindest umsatzträchtiger Kunst trennen? Und darf man das? Wer Michael Jackson hört, tut dies. Wer dies auf Spotify tut, lässt die Rechteinhaber über die Tantiemen frohlocken.
Und damit sind wir direkt bei:
B. Die Schuhe einfach flott abverkaufen
Sie loszuschlagen, als wäre nichts gewesen, flöge Adidas um die Ohren. Sie über die bekannten Kanäle einfach so zu verramschen, wäre ein Armutszeugnis. Wer die Koop beendet, muss auch hier eine Grenze ziehen. Damit sich Kunden wie ich sich mit ihren drei Streifen an den bislang noch unverdächtigen Sneakern Adidas Continental, Stan Smith, Superstar, Samba und NMB noch auf die Straße trauen.
C. Die Schuhe dort verkaufen, wo Kanye West immer noch Fans hat
Unglaublich aber wahr: Die Option wurde diskutiert. Doch wo wäre das? In arabischen Ländern, die Israel gerne brennen sehen würden? In der ostdeutschen/osteuropäischen Provinz? Absurd.
D. Die Schuhe umlabeln und verkaufen
Adidas sagt: Das Logo geht nicht ab.
E. Die Schuhe verkaufen und den Gewinn spenden
Das würde wenigstens die Lager räumen, die Verluste mindern und Reue für den Irrtum demonstrieren, mit einem solchen Zivilisationsverächter zusammengearbeitet zu haben.
Hat allerdings auch einen Schönheitsfehler: Bei jedem verkauften Paar Yeezys bekommt Kanye West eine Provision. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Mann mit Triumphgeheul an die Öffentlichkeit geht.
Und wer soll von den Spenden profitieren? Antisemitismus-Projekte in aller Welt? Eine Spende, erwirtschaftet mit Hilfe von einem, der sich antisemitisch geäußert hat und von den Verkäufen für den guten Zweck finanziell noch profitiert? Diese Verquickung muss man schon willensfest als Ironie auf Kosten des „Täters“ auslegen. Man kann es aber auch als schmutziges Geld ansehen. Dieses Dilemma könnte nur eine devote, schuldbewusste Kommunikationsstrategie vonseiten der Adidas-Strategen retten. Doch hier droht erneute weltweite Aufmerksamkeit zu einem peinlichen Teil der neuesten Firmengeschichte.
Und würden Sie sich zum Beispiel das Kochbuch eines Autors kaufen, der sich als misogyner Serienkiller entpuppt, damit mit dem Erlös Frauenhäuser gebaut werden können?
F. Die Schuhe verschenken
Klingt wie die edelste, wenn auch wie eine für Adidas teure Lösung. Beste Argumente dafür: West kriegt dann ja wohl hoffentlich keine Provision, es wird nichts vernichtet, die Lager wären leer, bedürftige Menschen würden sich über kostenlose neue Premiumschuhe freuen und Adidas stünde als durch und durch geläutert da. Nachteil: Die Aktion kostet mal eben 400 Millionen Euro plus Vertrieb. Und es besteht die Gefahr, dass die Geschenke anschließend als schweineteure Neuware von privat auf den Markt geschmissen würden. Da machen dann die Abzocker die Kohle, die Adidas entgeht. Und die drei Streifen stünden am Ende womöglich für verruchte Skandalware im judenfeindlichen Milieu.
G. Gras drüber wachsen lassen
Ich habe das Gefühl, diese Variante ist der Favorit der Adidas-Manager. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Wir haben es nicht eilig. Hegen die Marketing-Experten die Hoffnung, dass Kanye West irgendwann auf Insta oder bei Fox News auf Knien heulend zusammenbricht und um Vergebung bittet, Trump verflucht und „Nazis raus!“ brüllt?
Die Methode „Der Verbraucher vergisst schnell“ gilt vielleicht bei Acrylamid-Meldungen zu Kartoffelchips oder den Dieselskandal. Wenn den Schuhen aber gerade der Grund für den Skandal im Fußbett aufgedruckt ist, ist es so, als würde auf einen ID.3 lackiert: „Volkswagen. Die Marke, die jüngst noch für Betrug stand.“
Wie soll man dann vergessen?
H. Ein Statement aufnähen
Mein Favorit: Adidas könnte die Schuhe um ein quer darüber genähtes Statement ergänzen. Eine Parole wie: Stopp Antisemitismus. Oder ein Band in Regenbogenfarben. Etwas, was sich nicht entfernen ließe. Die Fans könnten dann Flagge zeigen. Und vielleicht würde Adidas eine Menge neuer Fans gewinnen, wenn die Firma es clever aufzieht. Und es sind ja gute Schuhe, wenn man sich den Designer wegdenkt.
Allerdings spricht eins dagegen: Das Statement des CEO Gulden. „If we sell it, we sell it like it is.“ Hmm. Klingt verdächtig nach Version F.
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Doch: Warum sollte Adidas vergessen dürfen, was Kanye West den Juden weltweit zugemutet hat? Ein deutsches Unternehmen, dem nachgesagt würde, dass es bei Antisemitismus auf Vergessen setzt, hätte gegen Nike auf absehbare Zeit in Europa wohl keine Chance mehr. Und hätte sie auch nicht verdient.
Wer auf starke Wortführer setzt und die sich verrennen, muss auch dafür geradestehen, dass der Schaden für die Opfer minimiert wird. Und das sind die Menschen, die darunter leiden, dass das Idol Kanye West Menschenfeindlichkeit in der jugendlichen Zielgruppe bagatellisiert hat. Auch, wenn das teuer wird.
Unsere Aufgabe als aufgeklärte Verbraucher ist, gut darauf zu achten, dass Adidas nicht mit dem Schwamm drüber geht. Wofür genau stehen die drei Streifen?
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