Werner knallhart
Quelle: imago images

Würden Sie auch gerne in einem alten Karstadt wohnen?

Homeoffice und das Sterben des Einzelhandels fegen Gewerbeimmobilien in fantastischen Innenstadtlagen frei. Und gleichzeitig herrscht Wohnungsnot in unseren Großstädten. Entsteht da ein neuer deutscher Wohnstil? Statt Fabrikloft-Charme der raffinierte Ex-Shop-Chic?

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Morgens mit der Rolltreppe zum Zähneputzen ins Bad mit den zehn Waschbecken. Dann mit dem Lift ganz hoch ins Dachgeschoss für den ersten Kaffee auf der 300-Quadratmeter-Terrasse mit Blick über die ganze Fußgängerzone. Die Tasse danach einfach aufs Fließband. Die kommt später in die Gastro-Spülmaschine in der Küchenhalle.

Und ab zum Auto. Auf dem eigenen Parkdeck P1. P2 gehört zu den Nachbarn aus Etage 2 und 3 West.

Nur die Mieter im Erdgeschoss sind aufgeschmissen. Es fühle sich einfach komisch an, abends vor Netflix in Unterhose auf der Couch zu hängen, sagen sie. Wegen der riesigen Galeria-Schaufenster und Glastüren ringsherum.

Gut, nur so ein Gedankenspiel. Ein bisschen müsste man wohl schon umbauen, wenn in den vielen nun nach und nach aussterbenden Karstadt- und Kaufhof-Filialen Wohnungen entstehen sollen. Aber warum eigentlich nicht?

Galeria Karstadt Kaufhof hat vor einigen Wochen bekannt gegeben, dass der von außen potthässliche graue Karstadt-Beton-Klotz mitten in der Bielefelder Innenstadt in sechs Jahren abgerissen werden soll. Einem Sterben auf Raten folgt dann die Chance auf einen atmosphärischen Neustart in bester Lage. So ein bisschen wie in Stuttgart mit dem neuen unterirdischen Bahnhof. Wann hat man als Stadtentwickler schon die Chance, auf einem Filet-Grundstück, das das Stadtbild prägt, ganz von vorne anzufangen?

Karstadt hat schon Interesse am Bezug des Neubaus dort bekundet. Vielleicht entsteht dann dort das neue Warenhaus für das 21. Jahrhundert. Eingebettet in ein richtig neues Stadtquartier. Mit Höfen, Aerosol-sicherer Außengastronomie und auch Wohnungen. Damit auch nach 20 Uhr noch Menschen einen Fuß in die City setzen. Und dann vielleicht auch mal die Stadtbäume gießen und in der Erde drum herum ein paar Blumen pflanzen. Oder dort auf Balkonen Gitarre spielen. Weil sie dort leben. Und es riecht nach Grill und auf den Tischen flackern Kerzen. Klingt wie aus dem Katalog? Nö, so genießen Menschen ihr Leben zuhause. Wenn man sie lässt. Im Moment riechen unsere Fußgängerzonen abends nach dem, was die Leute tagsüber nicht aufgegessen und in die überquellenden Mülleimer geworfen haben.

Heute noch unvorstellbar: Aber es wäre doch möglich, dass die Fußgängerzonen in besten Lagen in unseren Bielefelds, Bonns und Bambergs künftig abends Heimweg für die Bewohner dort werden. Und nicht Abflugschneise für die Kunden nach Ladenschluss. Mein neuer Kiez: Fußgängerzone. Mein neues Veedel: Shopping-Meile. Mein neues Quartier: Einkaufs-Center.

von Henryk Hielscher, Harald Schumacher

Das, was früher aus der Not heraus cool wurde – nämlich Wohnungen in ganzen Etagen einst verfallener Fabrik-Paläste aus rotem Backstein ohne Innenwände (Loft) – kann doch auch dort funktionieren, wo der Einzelhandel wegen Online und Büros wegen Homeoffice keinen wirtschaftlichen Sinn mehr machen.

Dazu muss ja nicht immer alles gleich abgerissen werden. Eine Umwidmung würde ja reichen. Mit einigen Umbauten natürlich. Nicht nur, weil kaum einer gerne im Schaufenster duscht. Sondern auch wegen der Vorschriften zu Tageslicht-Einfall, Lärmschutz, Parkplatz-Nachweisen, Abstandsflächen und so weiter.

Aber das lässt sich lösen. Allein schon, weil die kommunalen Behörden geltendes Baurecht großzügig handhaben dürften, wenn sie verhindern wollen, dass die Innenstädte aussterben.

Und die Eigentümer der Immobilien werden jetzt zwar noch denken: Gewerbe bekomme ich teurer vermietet als Wohnraum. Und ist die Immobilie einmal in Wohnraum umgewidmet, dann wird es schwer, das Rad wieder Richtung Gewerbenutzung zurückzudrehen.

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