ICE-Konkurrent CRRC Wie sich Chinas Zug-Gigant nach Europa schleicht

CRRC Quelle: imago images

Der chinesische Zughersteller CRRC erhält den ersten wichtigen Auftrag aus Deutschland. Der Bau von Spezialloks für die Deutsche Bahn ist der Beginn einer neuen Ära in der Bahnbranche – und ein Angriff auf Siemens.

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Normalerweise ist ein Auftrag dieser Größenordnung kaum der Rede wert. Die Deutsche Bahn kauft beim chinesischen Hersteller CRRC Spezialloks für die Infrastrukturtochter DB Netz. Ab 2021 erhält die Bahn dann vier kleine Rangierloks mit einem kombinierten Diesel- und Elektroantrieb. Die Spezialfahrzeuge sollen Baumaschinen an ihren Einsatzort bringen und auf Baustellen hin und her manövrieren. Auftragsvolumen: rund zehn Millionen Euro. Peanuts im Vergleich zu den Milliarden, die beim Kauf von ICE-Zügen fällig werden.

Doch der Deal könnte auf mittlere Sicht die gesamte Bahnbranche durcheinanderbringen. Denn der Hersteller CRRC Zhuzhou Locomotive ist nicht irgendein Zugbauer, sondern der weltweit größte. Und er hat schon lange versucht, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen. CRRC geht es weniger um den Umsatz, den dieser Deal mit sich bringt, sondern um die Chance, der Bahnbranche in Deutschland und Europa zu zeigen, dass das Unternehmen Eisenbahntechnik beherrscht.

Dazu hat CRRC nun beste Gelegenheiten. Deutsche Bahn und CRRC schlossen eine Rahmenvereinbarung. Die Bahn kann insgesamt 16 Rangierloks dieses Typs ordern. Dafür müssen die Chinesen die Loks nicht nur bauen, sondern auch für das deutsche Schienennetz zulassen. Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), das die Technik abnimmt, gilt europaweit als besonders akribisch und hartnäckig. Wer bei der Bonner Behörde grünes Licht für angemeldete Technik bekommt, kann von sich behaupten, die Eigenarten der deutschen Zulassung zu beherrschen.

Die besten Züge der Welt
CRRC Fuxing Quelle: dpa
Deutschland hat den FlexibelstenDer ICE der Deutschen Bahn ist das Aushängeschild der deutschen Eisenbahnindustrie. Seit 1992 ist er im Einsatz. Gebaut wird er im Siemens-Werk in Krefeld. Doch bei der neusten Generation setzen Deutsche Bahn und Siemens nicht mehr auf maximales Tempo. Die Höchstgeschwindigkeit bei dem ICE4 liegt je nach Version bei 250 Kilometer pro Stunde. Stattdessen steht beim ICE4 die Flexibilität im Vordergrund. Das Besondere: Jeder zweite Mittelwagen treibt den Zug an. Die anderen Mittelwagen rollen nur mit. So lässt sich ein ICE4 in verschiedenen Zuglängen betreiben. Die Deutsche Bahn hat den Zug mal in zwölf, mal in sieben Wagen bestellt. 130 Züge sollen in den nächsten Jahren die Fernverkehrsflotte des Staatskonzerns verstärken. Seit Jahresende fahren bereits die ersten fünf ICE4 mit jeweils zwölf Wagen von Hamburg nach München und zurück. International hat Siemens den Zug noch nicht verkauft. Im Ausland geht der Münchener Konzern erfolgreich mit dem Velaro an den Start – einer baugleichen Version des ICE3. Quelle: Siemens
TGV-Nachfolger AGV von Alstom Quelle: Alstom
Spanien hat den RobustestenSpanien wird eher weniger mit Hochgeschwindigkeit auf der Schiene in Verbindung gebracht. Dabei hat auch das südeuropäische Land einen National Champion. Talgo-Züge fallen optisch durch die weit nach vorne gezogene Nase auf. Spitzname: Ente. Die neuste Baureihe fährt Geschwindigkeiten von bis zu 330 Kilometer pro Stunde. In Spanien erhielt der Talgo 350 den Zuschlag für Hochgeschwindigkeitsstrecken in Spanien. Parallel gingen Aufträge für den Velaro an Siemens. Talgo und Siemens sind damit direkte Konkurrenten in Spanien. Das spanische Unternehmen konnte jüngst einen wichtigen Exporterfolg erzielen: Künftig betreiben die Spanier die Strecke von Medina nach Mekka in Saudi-Arabien – der bislang einzigen Hochgeschwindigkeitsstrecke im Nahen Osten. Zum Einsatz kommen 36 Züge des Typs Talgo 350 mit einer geplanten Spitzengeschwindigkeit von 330 Kilometer pro Stunde. Das Besondere: Talgo hat die Züge eigens dafür hochgerüstet, damit sie der widrigen Umgebung mit Hitze, Temperaturschwankungen und Sand standhalten. Die Spanier sind stolz auf ihr „Wüstenpaket“. Quelle: Talgo
Bombardier Zefiro 380 Quelle: Bombardier
Shinkansen Quelle: Getty Images

Gelingt CRRC samt Zulassungsprozess der Sprung nach Deutschland, bedeutet dies eine Zeitenwende für den europäischen Bahnmarkt. CRRC hat bereits vor Jahren in Wien eine Europa-Zentrale gegründet und seitdem intensiv nach lukrativen Aufträgen gesucht. Auch Zukäufe loteten die Chinesen aus. Bis vor Kurzem galt CRRC als Favorit für den Kauf des tschechischen Zugbauers Skoda (nicht verwandt mit dem gleichnamigen Autohersteller). Der Deal platzte. Dennoch konnte CRRC andere Erfolge vorweisen: Für den privaten Bahnbetreiber Leo Express, der Züge etwa von Prag nach Berlin fahren lassen will, baut CRRC die ersten Regionalzüge.

Doch nun kommt CRRC direkt nach Deutschland, den wichtigsten Bahnmarkt in Europa. Der Staat fördert den Nahverkehr jedes Jahr mit mehr als acht Milliarden Euro. Im Jahrestakt schreiben öffentliche Verkehrsverbünde und Landesgesellschaften lukrative Verkehrsverträge aus, fast immer bestellen die beauftragten Bahnen dann neue Züge. Bislang dominieren die Hersteller Siemens, Alstom, Bombardier und Stadler. Pesa aus Polen und Skoda aus Tschechien sind seit Kurzem ebenfalls gefragt. Mit CRRC würde ein weiterer Anbieter antreten.

Dass ausgerechnet die Deutsche Bahn den chinesischen Zughersteller nach Deutschland holt, hat zunächst einen simplen Grund: CRRC war schlicht der einzige Bieter. Anderen Lokproduzenten wie Siemens und Alstom war der Auftrag zu unbedeutend, sie verzichteten auf ein Angebot. Doch der Bahn dürfte die Zurückhaltung der anderen Zugbauer recht sein. Denn der Staatskonzern hatte bereits mehrfach angekündigt, das Oligopol der europäischen Marktführer Siemens, Alstom und Bombardier brechen zu wollen. Mehr Wettbewerb bei der Zugherstellung bedeutet bessere Preise für den Einkauf. Gerade jetzt ist das wichtig, wo Siemens und Alstom zusammengehen werden. Hochrangige Manager bei der Deutschen Bahn haben bereits intern das Ziel ausgesprochen, dass die Deutsche Bahn der erste Nahverkehrsbetreiber sein werde, der mit preiswerteren chinesischen Zügen in die öffentlichen Ausschreibungen im Nahverkehr geht.

Zwar ist der Auftrag für den Bau der Spezialloks für DB Netz nicht vergleichbar mit Aufträgen für den Bau von Regionalzügen. Die Sicherheitsanforderungen sind geringer, der Zulassungsprozess einfacher. Doch entscheidend ist, dass CRRC nun lernen kann, was deutsche Behörden und deutsche Kunden erwarten. CRRC wird versuchen, die Deutsche Bahn und das EBA von sich und seiner Technik zu überzeugen und die Loks pünktlich zu liefern. Die Güterbahn DB Cargo hat außerdem bei CRRC Güterwagen eingekauft.

Weltweite Marktanteile von Herstellern elektrischer Lokomotiven

Auch in der Schweiz haben die Chinesen inzwischen Fuß gefasst. Das Schweizer Bahnunternehmen Hupac will bis zu 100 Güterwagen für den Containertransport bei CRRC kaufen. Zunächst muss der chinesische Schienenfahrzeughersteller zwei Prototypen für den Testbetrieb produzieren, die noch im Jahr 2018 von CRRC in China erprobt werden sollen. Die ersten Tests in Europa sind für das erste Halbjahr 2019 vorgesehen, die Zulassung durch das Schweizer Bundesamt für Verkehr (BAV) Ende Mai 2019. Hupac und CRRC hatten bereits im Dezember 2017 einen Kooperationsvertrag zur Produktion der Wagen unterzeichnet.

Viel spannender aber ist, was sich in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze abspielt. Dort hat das Unternehmen Waggonbau Niesky (WBN) seinen Sitz. Vor Kurzem meldete WBN - trotz voller Auftragsbücher - Insolvenz an. So soll das Unternehmen etwa 160 Schüttgutwagen für das Bergbauunternehmen K+S bauen. Um WBN ist ein Bieterwettbewerb ausgebrochen. CRRC gilt als Favorit. „Das würde dann bedeuten: CRRC hat Aufträge und ein kleines Werk in  Deutschland, mit dem sie mit Augenmaß in den deutschen Markt starten  können", sagt Maria Leenen, Geschäftsführerin der internationalen Strategieberatung SCI Verkehr. Das sei eine „bessere Strategie als Rieseninvestitionen in Hersteller wie Bombardier."

Natürlich ist es ein weiter Weg, bis CRRC auch Angebote im Fernverkehr platzieren könnte. Doch der Eisenbahnmarkt ist attraktiv. Neben der Deutschen Bahn hat inzwischen der Münchener Fernbusbetreiber Flixbus den Fernverkehr für sich entdeckt. Das Unternehmen will seine Strecken sukzessive ausbauen. Noch setzt Flixtrain gebrauchte Züge ein. Doch das könnte sich ändern.

Für den französischen Markt hat Flixbus bereits in China eingekauft. Flixbus testet dort erste Elektrobusse auf der Straße. Ein Beispiel, das Schule machen könnte.

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