"Keine Zukunft in der Bundeswehr" Die wichtigsten Antworten zum G36

In der Debatte um das G36 kommen immer neue Details ans Licht. Ministerin Ursula von der Leyen will das Gewehr wohl ausmustern. Es habe in der Bundeswehr "keine Zukunft mehr". Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die Debatte um das G36 wird zum Politikum. In der Truppe hat die Standardwaffe der Bundeswehr einen guten Ruf. Quelle: dpa

Welche politischen Dimensionen hat die G36-Debatte mittlerweile angenommen?
Die Probleme mit dem Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch sind längst zu einem Politikum geworden. Am Mittwoch musste Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unter anderem dem Verteidigungsausschuss Rede und Antwort stehen. Die Ministerin kündigte in der vertraulichen Sitzung offenbar die Ausmusterung der Waffe von Heckler & Koch an. "Dieses Gewehr, so wie es konstruiert ist, hat keine Zukunft in der Bundeswehr", sagte die Ministerin demnach laut Teilnehmern. Offen blieb zunächst, ob das Sturmgewehr in einer veränderten Version künftig für die Bundeswehr akzeptabel sein könnte. Die Spezialkräfte und Soldaten im Einsatz sollen aber offenbar direkt eine andere Waffe erhalten. Ihre Sturmgewehre sollten möglichst rasch ersetzt werden, kündigte von der Leyen an.

Warum ist der Fall G36 politisch so brisant?

In der Truppe tauchten spätestens im November 2011 erste Hinweise darauf auf, dass die Standardwaffe der Armee unter bestimmten Bedingungen den aktuellen Einsatzeinforderungen nicht gewachsen sein könnte. Die spannende Frage ist, welcher Politiker wann wieviel davon wusste. Jüngsten Berichten von „Spiegel Online“ und „Süddeutscher Zeitung“ zufolge waren auch die Oberen des Verteidigungsministeriums spätestens im Frühjahr 2012 darüber informiert und gewarnt.

Das würde ein schlechtes Licht auf den damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) werfen. Denn lange hatte es geheißen, dass es keine Beschwerden über das G36 gäbe. Später machten erste Untersuchungen die Munition für die Präzisionsprobleme verantwortlich. Der heutige Innenminister de Maizière hat mit dem Skandal um die Aufklärungsdrohne „Euro Hawk“ bereits eine ziemlich unangenehme Rüstungsaffäre hinter sich.

Auch für die heutige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird die G36-Debatte zur großen Bewährungsprobe – und zur Messgröße ihrer Leistung. Bei Amtsantritt hatte sie eine neue Transparenz in Rüstungsfragen versprochen und nach diversen teuren und peinlichen Pannen Aufräumarbeiten angekündigt. Auch den Fall G36 will sie in den kommenden Monaten von gleich zwei Kommissionen untersuchen lassen.

Gleichzeitig gerät von der Leyen zunehmend unter Druck, der Transparenzoffensive mit den Prüfberichten auch Taten und Entscheidungen folgen zu lassen.

Die Debatte um das G36

Wie geht es auf der politischen Bühne weiter?
Einen Untersuchungsausschuss zu der G36-Affäre, wie ihn einigen Oppositionspolitikern gefordert hatten, wird es vorerst nicht geben. Zunächst soll die Aufklärung im Verteidigungsausschuss fortgesetzt werden, hieß es nach der Sitzung in Berlin. Linke und Grüne wollen auch de Maizière befragen. Der ließ am Mittwoch erklären, dass er „aktuell“ nicht plane, sich zu der Affäre zu äußern. Er könnte in den Verteidigungsausschuss eingeladen werden, wäre aber nicht verpflichtet zu kommen. In einem Untersuchungsausschuss wäre das anders. Der Linken-Politker Jan van Aken will auch de Maizières Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) einer Befragung unterziehen.

Wie schlimm steht es denn nun wirklich um die Treffsicherheit des G36?
Das Gewehr schießt tastsächlich daneben, wenn es durch Dauerfeuer und Sonneneinstrahlung zu heiß wird. Dass sich durch diese Einflüsse der Streukreis einer Waffe vergrößert, ist nicht ungewöhnlich. Die Abweichung kann beim G36 jedoch offenbar ziemlich stark ausfallen, wie aus dem 372 Seiten starken Experten-Gutachten hervorgeht, das das Verteidigungsministerium in der vergangenen Woche vorlegte.

Laut dem Planungsamt der Bundeswehr wurde bei einer Temperaturveränderung um 30 Grad in Tests durchschnittlich nur noch eine Trefferquote von 30 Prozent festgestellt. Bei einer Temperaturänderung von 15 auf 45 Grad fiel die Trefferwahrscheinlichkeit sogar auf sieben Prozent. Als Vorgabe waren 90 Prozent ausgegeben. „In fordernden Gefechtssituationen ist das gezielte, präzise Bekämpfen eines Gegners nicht zuverlässig möglich“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus der vertraulichen Stellungnahme des Planungsamts. Das Urteil der Prüfer: „Die Waffe ist für den Einsatz nur eingeschränkt tauglich und daher nicht in vollem Umfang einsatzreif.“

Was Heckler & Koch und die Soldaten sagen

Wie reagiert der Hersteller Heckler & Koch?
Der deutsche Waffenhersteller ist bemüht, den Imageschaden einigermaßen zu begrenzen und beteuert, das Gewehr entspreche allen vereinbarten Anforderungen und sei zu hundert Prozent einsatzfähig. Das Unternehmen reagierte bislang in mehreren Stellungnahmen auf die Kritik am G36.

Darin wirft Hecker & Koch den Prüfern Versäumnisse bei den Tests vor. So seien die Beschusszyklus und Auswertungsmethoden „offensichtlich willkürlich geändert“ worden. Weil die Treffer-Ergebnisse in den Testszenarien viel schlechter ausgefallen seien als bei vorangegangenen Überprüfungen, „muss der neue Beschusszyklus erheblich verschärft, insbesondere beziehungsweise verkürzt worden sein“, heißt es aus dem Unternehmen.

Zudem kritisiert Heckler & Koch, dass bei den Tests statt des bauähnlichen leichten Maschinengewehrs (MG) 36 das als "Sonderwaffe" bezeichnete Schnellfeuergewehr HK416Bw als Vergleich herangezogen wurde. Letzteres schnitt offensichtlich besser ab als das G36. Das MG 36 war von der Bundeswehr Mitte der 90er Jahre formell in der Bundeswehr eingeführt worden. Vom G36 unterscheidet es sich laut Herstellerangaben nur durch die Dicke des Gewehrrohres. Die 4700 vorgesehenen Waffen wurden nie beschafft.

Die heißen Eisen unter den Rüstungsprojekten der Bundeswehr

Was sagen Rüstungsexperten zu der ganzen Misere?
Das G36 gilt eigentlich als solide Waffe, viele Rüstungsexperten nahmen die Sturmgewehre zuletzt gegen allzu harsche Vorwürfe in Schutz. Die Gewehre von HK seien „der Goldstandard“, sagte Florian Jordan, Sicherheitsexperte der Münchner Unternehmensberatung h&z, der WirschaftsWoche. Auch der Chef des Branchendienstes Griephan, Heinz Schulte, glaubt, das G36 sei für den Großteil der Soldaten ein „absolut adäquates Gewehr“. Zu diskutieren sei lediglich, ob Soldaten für bestimmte Aufgaben und Einsätze, die bei der Bestellung des G36 in den Neunzigerjahren nicht erwartet worden waren, einen anderen Mix an Waffen benötigen.

Das leichte G36 mit einem Gehäuse aus Kunststoff und mit dem Nato-Kaliber 5,56 mm galt manchen Soldaten und Experten von Beginn an als nicht durchschlagskräftig genug für bestimmte Kampfeinätze. Auch, dass die Waffe nicht für permanentes Dauerfeuer konzipiert ist, war bekannt.

Deshalb griff die Bundeswehr etwa in Afghanistan mitunter auf die Vorgängerwaffe G3 zurück. Grundsätzlich aber können viele Mitglieder der Truppe die große Aufregung nicht ganz nachvollziehen. „Das G36 ist unserer geringstes Problem“, sagt ein Offizier des Heeres im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Anderen Armeen und Polizei-Einsatzkräften setzten das G36 ebenfalls weltweit ein – offenbar ohne größere Probleme.

Wie schnell wird der ganze Trubel Konsequenzen haben?
Das ist noch nicht ganz abzusehen. Derzeit überlagert die politische Debatte in der öffentlichen Wahrnehmung die Frage, wie die deutschen Soldaten für ihre künftigen Aufträge ausgerüstet werden. Tatsächlich aber ist dies der entscheidende Punkt. Denn auch wenn das Planungsamt der Bundeswehr anmahnt, das G36 sei nur eingeschränkt einsatztauglich und sich Ministerin von der Leyen von dem Gewehr distanziert: aktuell gibt es keine Alternative. Wie schnell eine solche zu bekommen ist und wer mit einer neue Waffe ausgerüstet wird, ist nicht das klar.

Während das Planungsamt der Bundeswehr in dem vertraulichen G36-Gutachten fordert, zumindest für den Einsatz kurzfristig neue Gewehre als Übergangslösung anzuschaffen, bevorzugt das für die Ausrüstung zuständige Bundesamt eine mehrjährige Übergangslösung. Die Behörde empfiehlt, die Nutzungsdauer für das G36 über 2016 hinaus zu verlängern und auch Geld in die Instandhaltung zu stecken. Als Einsatz-Alternative könnte in diesem Fall weiterhin das Vorgänger-Gewehr G3 genutzt werden.

Mit Material von dpa

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