Zwei Jahre nach dem Tod von Heinz Hermann Thiele hat die mit seinem Vermögen betraute Thiele-Familienstiftung ihre Arbeit aufgenommen. Sie verfügt unter anderem über die zuvor von Thiele gehaltenen mittelbaren Beteiligungen an den Unternehmen Knorr-Bremse und Vossloh.
Bei der Bestellung des Stiftungsvorsitzenden war zunächst davon ausgegangen worden, dass der Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer den Vorsitz übernimmt. Stattdessen wurde Ex-Fresenius-Chef Stephan Sturm zum Vorsitzenden des dreiköpfigen Vorstands bestellt. „Heinz Hermann Thiele war eine der herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten Deutschlands. Sein Lebenswerk langfristig abzusichern und im Interesse der Familie und der Unternehmen erfolgreich fortzuführen, ist Aufgabe der Familienstiftung“, erklärte Sturm. Beim Gesundheitskonzern Fresenius hatte Sturm im Herbst vorzeitig gehen müssen.
Weimer hatte Insidern zufolge vergangenen Herbst von der Finanzaufsicht BaFin signalisiert bekommen, dass der Stiftungschefjob nicht mit seinen Aufgaben als Chef der Deutschen Börse sowie Aufsichtsrat von Deutscher Bank und Knorr-Bremse vereinbar sei. Zudem darf laut Börsengesetz der Vorstandschef eines Börsenbetreibers keine Leitungsfunktion in einem anderen Unternehmen haben.
Die Heinz Hermann Thiele Familienstiftung verwaltet eines der größten Familienvermögen hierzulande. Seinen Job bei der Börse wollte Weimer für den reputierlichen Stiftungsposten dennoch nicht aufgeben. Weimer strich für 2022 eine Gesamtvergütung von 10,8 Millionen Euro ein und war damit einer der bestbezahlten Vorstandschefs im Dax. Der Vertrag des 63-Jährigen bei der Deutschen Börse läuft noch bis Ende 2024.
Das gemeinnützige Engagement der etwa 15 Milliarden Euro schweren Thiele-Stiftung soll in den Bereichen Wissenschaft und Forschung sowie Kunst, Kultur und Bildung erfolgen. In der Stiftung liegen indirekt rund 42 Prozent am Münchner Bremsenkonzern Knorr-Bremse, den Thiele vom Mittelständler zum Weltmarktführer gemacht hatte, und gut 50 Prozent am Bahntechnik-Hersteller Vossloh. Sitz der neuen Heinz Hermann Thiele Stiftung wird zunächst Grünwald bei München, wie aus einer Pressemitteilung der Stiftung hervorgeht.
Eigentlich sollte die Stiftung bereits Ende 2021 gegründet sein, später war von Ende des vergangenen Jahres die Rede. Doch um das Erbe Thieles war ein Streit zwischen seiner Witwe Nadia Thiele und Testamentsvollstrecker Robin Brühmüller entbrannt.
Julia Thiele-Schürhoff, Mitglied des Stiftungsvorstands und Tochter von Heinz Hermann Thiele, sagte laut Pressemitteilung, die Gründung der Familienstiftung schaffe „ganz im Sinne meines Vaters die Voraussetzungen für die Fortführung seines unternehmerischen Lebenswerks“. Thiele-Schürhoff hält weitere 17 Prozent an Knorr-Bremse, die ihr Vater ihr noch zu Lebzeiten geschenkt hatte. Sie sollen nicht in die Stiftung eingebracht werden. Brühmüller winkt für seine Tätigkeit als Testamentsvollstrecker ein dreistelliges Millionen-Honorar.
Zunächst galt Thieles zweite Ehefrau Nadia als Vorerbin des Vermögens, Thiele hatte allerdings bestimmt, die Beteiligungen an den Unternehmen in die Stiftung einzubringen. Nadia Thiele bekommt daneben Vermögenswerte von rund einer Milliarde Euro, über die sie als Vorerbin nur eingeschränkt verfügen darf. Nach ihrem Tod soll auch dieses Vermögen der Familienstiftung zufließen.
Heinz Hermann Thiele verstarb im Februar 2021 im Alter von 79 Jahren überraschend im Kreise seiner Familie. Der Selfmade-Milliardär und Patriarch galt als einer der reichsten Deutschen: Die Nachrichtenagentur Bloomberg schätzte sein Vermögen bis zu seinem Tode auf gut 20 Milliarden Dollar. Der breiten Öffentlichkeit wurde Thiele bekannt, als er während der Coronapandemie zum größten Aktionär bei der Lufthansa aufstieg. Er galt als energisch, prinzipientreu und Manager der alten Schule, der sich selbst einst als Unternehmer „bis zum letzten Atemzug“ bezeichnete. Sein Unternehmen Knorr-Bremse führte Thiele vom Sanierungsfall zum profitablen Bremsenspezialisten mit rund 30.000 Beschäftigten.
Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
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