Quartalszahlen Thyssenkrupp und die drängende Duisburg-Frage

Thyssenkrupp-Stahlwerk in Duisburg: Wie viel Rohstahl muss, soll, darf hier produziert werden, damit es sich lohnt? Quelle: imago images

Für die Sparten Stahl und Schiffbau von Thyssenkrupp stehen entscheidende Monate an. In Duisburg geht es um die Frage, wie viel Stahl der Konzern produzieren will, in Kiel um den Einstieg Berlins.

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Die Zahlen, die Thyssenkrupps scheidender Finanzchef Klaus Keysberg am Morgen dieses Aschermittwochs präsentierte, waren mau, erwartungsgemäß. Die Konjunktur, geopolitische Verwerfungen, all das lastete im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2023/24 auf dem Essener Mischkonzern. Entsprechend sank das Ergebnis (bereinigtes Ebit) auf 84 Millionen Euro nach 168 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum.

Der Cashflow war negativ, minus 531 Millionen Euro, allerdings hält der Konzern auf Jahressicht an der Prognose eines Ergebnisses im „hohen dreistelligen“ Millionenbereich und eines positiven Cashflows vor Fusionen und Übernahmen (M&A) in Höhe eines „niedrigen dreistelligen Millionenbetrags“ fest.

Die Aktie verlor nach Börseneröffnung dennoch zeitweise rund 10 Prozent Wert, stürzte von 5,50 Euro auf bis zu 4,93 Euro.

Mitverantwortlich für das Ergebnis waren vor allem die schlechten Zahlen in der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE). „Bei rückläufigen Preisen und einer geringeren Nachfrage von Automobilkunden lag das bereinigte Ebit bei 69 Millionen Euro“, sagte Keysberg. Neues von den Verkaufsgesprächen mit der Energieholding EPH des tschechischen Investors Daniel Křetínský hatte er nicht zu vermelden. Das seit längerem erklärte Ziel ist ein Joint Venture mit EPH, an dem EPH und Thyssenkrupp jeweils zur Hälfte beteiligt sind.

Was wird aus dem HKM-Werk?

Das wieder schlechte Ergebnis der Sparte dürfte allerdings dafür sorgen, dass über eine Frage bei Thyssenkrupp in den nächsten Wochen und Monaten mit Hochdruck gestritten werden wird: Wie viel Tonnen Rohstahl sollen wir in Duisburg eigentlich noch produzieren, wenn wir künftig profitabel sein wollen? Es ist eine Frage, die für die knapp 27.000 Mitarbeiter der Sparte elementar ist, aber auch für die Stadt Duisburg.

Denn nicht nur das Thyssenkrupp-Werk im Stadtteil Bruckhausen prägt die Stadt, sondern auch das Werk der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Süden Duisburgs. An dem Joint Venture HKM hält Thyssenkrupp die Hälfte, beteiligt ist auch die Salzgitter AG und der französische Rohrhersteller Vallourec. Dieses Werk fließt als Faktor unweigerlich in die Diskussion mit ein.

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Um es konkret zu machen: An sich kann das Thyssenkrupp-Werk in Duisburg 11 Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr produzieren. Im vergangenen Geschäftsjahr 2022/23 hat die Stahlsparte laut Geschäftsbericht 10,4 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugt. Diese Zahl schließt allerdings die Zulieferungen des HKM-Werks ein. HKM liefert Thyssenkrupp vertragsgemäß knapp 60 Prozent seiner Produktionsmenge von jährlich 4,2 Millionen Tonnen, also höchstens knapp 2,5 Millionen Tonnen. HKM ist dabei auf schmalere Brammen spezialisiert, etwa 3000 Beschäftigte arbeiten für das Unternehmen.

Zieht man die Rohstahlmengen, die HKM an Thyssenkrupp geliefert hat, von den 10,4 Millionen Tonnen ab, die für die gesamte Stahlsparte angegeben worden sind, kommt man für das vergangene Geschäftsjahr auf eine Produktionsmenge im TKSE-Werk, die deutlich unter 10 Millionen Tonnen liegt, eher irgendwo zwischen 8 und 9 Millionen Tonnen. Gleichzeitig muss der Konzern jedoch die Produktionskapazitäten für 11 Millionen Tonnen plus die Kapazitäten von HKM bezahlen.

Ist das wirtschaftlich, ist das effizient? Lässt sich so selbst bei einem Anziehen der Konjunktur Geld verdienen? Und ab welchem Punkt ist das für Investoren wie Daniel Křetínský oder auch den Private-Equity-Investor CVC Capital Partners interessant? Wo liegt der richtige „Betriebspunkt“?

Darüber dürfte, das hört man aus der Führungsetage des Unternehmens, aber auch von Arbeitnehmerseite, in den nächsten Monaten erbittert gerungen werden. Im Zentrum stehen dabei der Stahlchef Bernhard Osburg, der konkrete Zahlen wird vorlegen müssen, aber auch Thyssenkrupp-Chef Miguel López, der im Vorstand für das Segment zuständig ist. Das Verhältnis zwischen López und den Arbeitnehmervertretern der IG Metall ist schon jetzt mindestens angespannt.

López hatte, im Tandem mit Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, im vergangenen November gegen den Willen der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat die Erweiterung des Vorstands von drei auf fünf Vorstände durchgedrückt. An der Frage des Betriebspunkts könnte der Konflikt weiter eskalieren, zumal eine Schließung des HKM-Werks immer eine Option sein dürfte. Die IG Metall lehnt das bislang – natürlich – kategorisch ab.

TKMS-Chef Burkhard skizziert einen möglichen Verkauf

Sehr konkret dürften in den nächsten Monaten auch die Verhandlungen über eine Verselbstständigung der Marinesparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) mit knapp 8000 Beschäftigten werden. Thyssenkrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard, gleichzeitig auch Chef der Marinesparte in Kiel, hat am Dienstagabend im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten einen möglichen Verkaufskurs skizziert. Demnach prüft die bundeseigene Investitionsbank KfW, ausgestattet mit einem so genannten Auftragsschreiben von Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) und Verteidigungsministerium, derzeit die TKMS-Bücher und damit einen Staatseinstieg.

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von Florian Güßgen, Angela Maier

Ein wichtiger Punkt sind dabei die so genannten Besicherungen der drei großen U-Boot-Aufträge mit einem Volumen von knapp 12 Milliarden Euro, die das Unternehmen derzeit abarbeitet – für Norwegen, Israel und Deutschland. Über so genannte Avalkredite müssen diese Geschäfte abgesichert sein, so dass die Auftraggeber ihre Boote erhalten, selbst wenn das Unternehmen insolvent gehen sollte. Das für diese Absicherung nötige Bürgschaftsvolumen umfasst nach Angaben Burkhards mehr als 10 Milliarden Euro.

Derzeit muss Eigner Thyssenkrupp für diese Kredite geradestehen. Falls der Bund einsteigt, also das „Thyssenkrupp-Logo durch den Bundesadler“ ersetzt wird, dürften sich die Konditionen für diese Absicherungen deutlich verbessern.

Ergebnisse am Ende des ersten Halbjahres

Burkhard sagte, am Ende des zweiten Quartals 2024 dürfte hier mit einem Ergebnis zu rechnen sein. „Ich würde sagen, zum Ende des ersten Halbjahres sind wir da durch.“

Eine Variante – und Burkhard machte am Dienstagabend keinen Hehl daraus, dass es seine bevorzugte wäre – wäre ein mehrheitlicher Einstieg eines Private-Equity-Unternehmens, dazu ein Einstieg des Bundes mit einer Sperrminorität von 25,1 Prozent, eine Minderheit der Anteile verbliebe bei Thyssenkrupp. Wörtlich sagte er: „Das würde zu einer Aktionärsstruktur führen, die für TKMS eine Mehrheit bei Private Equity hätte, bei der eine Minderheit bei Thyssenkrupp verbleibt und ein noch zu besprechender Anteilseinstieg des Bundes.“

Statt einem Eigentümer hätte TKMS dann drei. Verhandelt wird nach Informationen der WirtschaftsWoche aus Finanzkreisen mit der US-Beteiligungsgesellschaft Carlyle und neuerdings auch mit dem US-Hedgefonds Cerberus. „Das könnte man weiter drehen bis zu einem teilweisen Börsengang“, kommentierte Burkhard. So eine Entwicklung wäre laut Burkhard eine gute Grundlage, um das Wachstum weiter voranzutreiben. Der für TKMS zugängliche Markt würde sich in den nächsten Jahren mindestens verdoppeln.

Burkhard sagte auch, dass eine europäische Konsolidierung auf dem Rüstungsmarkt „realistisch“ sei. Der „Leidensdruck“ innerhalb der Europäischen Union sei hoch, weil Rüstungsprojekte bei einer heterogenen Industriestruktur teuer seien und Auftraggeber lange auf Lieferungen warten müssten. „Würde man das europäisch denken, könnte man natürlich schon eine gewisse Arbeitsteilung vornehmen“, sagte Burkhard. Auch der italienische Schiffbaukonzern Fincantieri, mehrheitlich in Staatsbesitz, ist an TKMS interessiert.

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Allerdings drang Burkhard zunächst eher auf eine deutsche Lösung. „Wir stehen auch zur Verfügung für eine deutsche Konsolidierung“, ergänzte er. Konkret denkbar wäre eine Verschmelzung von TKMS mit Naval Vessels Lürssen (NVL), der Rüstungssparte der Lürssen-Gruppe. Es wäre der Versuch, einen „nationalen Champion“ zu bilden.

Für die Konzernzentrale in Essen und Chef Miguel López hätte der Teilverkauf von TKMS zudem den Charme, dass das Unternehmen dadurch auch wieder für Investoren in Frage kommen könnte, die mit dem Rüstungsgeschäft nichts zu tun haben wollen. Es stehen, wieder einmal, spannende Monate an in Kiel, Essen – und vor allem Duisburg.

Lesen Sie hier, wie der neue Konzernchef Miguel López versucht, den Konzern auf Vordermann zu bringen – und wie er sich mit den Arbeitnehmern anlegt.

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