Der Fall Joe Rogan Spotify zeigt, wie gut Provokation als Geschäftsmodell funktioniert

Der Streamingdienst Spotify steht in der Kritik, wegen angeblicher Corona-Fehlinformationen, die der Podcaster Joe Rogan auf der Plattform verbreitet. Quelle: REUTERS

Spotify steht wegen Corona-Fake-News, die der Podcaster Joe Rogan verbreitet, in der Kritik. Rogan ist dabei nicht der einzige Medienmacher, der auf Provokation setzt. Das scheint gut zu funktionieren.

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Neil Young hat es getan, Joni Mitchell hat es getan, wer wird es als Nächstes tun? Mehrere Musiker boykottieren den Musik-Streamingdienst Spotify, weil der nicht genug gegen Corona-Fehlinformationen vorgehe. Auslöser der Debatte ist der US-amerikanische Podcast-Host Joe Rogan, der in seinen Folgen unter anderem den Virologen Robert Malone zu Gast hatte, der als Symbolfigur der Impfkritiker gilt.

Als Reaktion auf die Kritik von Künstlern und Medien gelobt Spotify nun Besserung: „Wir arbeiten daran, jeder Podcast-Folge, die eine Diskussion über Covid-19 enthält, einen Inhaltshinweis hinzuzufügen“, heißt es von Spotify-Chef Daniel Ek in einer Pressemitteilung. Dieser soll dann auf datengeschützte Fakten und aktuelle Informationen von Wissenschaftlern, Ärzten und Gesundheitsbehörden verweisen. Außerdem veröffentlicht das Unternehmen seine Plattformrichtlinien, aus denen hervorgeht, welche Inhalte für den Konzern akzeptabel sind und welche nicht.

Das Geschäftsmodell von Joe Rogan scheint aber aufzugehen: Er zählt zu den beliebtesten Podcast-Hosts weltweit, seit dem vergangenen Jahr produziert er seine Inhalte exklusiv für Spotify. Das schwedische Unternehmen soll das laut Medienberichten 100 Millionen US-Dollar gekostet haben.

Liebt die Provokation: Der Podcaster Joe Rogan Quelle: imago images

Rogans Geschäftsmodell ist die Provokation. In der Vergangenheit waren schon Verschwörungstheoretiker, rechtsradikale Autoren und eine Autorin, die im Gespräch Transgender-Jugendliche mit Autisten verglich, in seinem Podcast Gast. Rogan selbst wies als Reaktion von Neils Kritik in einem Instagram-Video den Vorwurf zu Falschinformationen zurück, er sei vielmehr daran interessiert, die Wahrheit zu sagen. Spotifys Entscheidung, Covid-Inhalte mit Zusatzinhalten zu versehen, lobte er.

Rogan ist nicht der einzige, der die Provokation zu seinem Geschäftsmodell gemacht hat. Auch andere Künstler und Unternehmen erhoffen sich dadurch Aufmerksamkeit – und bekommen sie meist auch.

Sexismusvorwürfe gegen True Fruits

So beispielsweise der Getränkehersteller True Fruits. Für seine zotigen Werbesprüche wurde das Unternehmen 2019 kritisiert, eine Online-Petition mit mehr als 57.000 Unterschriften forderte Einzelhändler auf, die Marke aus dem Segment zu nehmen. Beim deutschen Werberat gingen mehr als 900 Beschwerden ein, sie warfen True Fruits Sexismus vor. Und auch der Werberat selbst beanstandete die Werbung: „Vulgarismus“ nannte der ein Werbemotiv, bei dem ein Penis aus Sonnencreme auf den Rücken einer Frau gezeichnet wurde.



True Fruits warb in Kampagnen auch mit Sprüchen wie „Oralverzehr – schneller kommst du nicht zum Samengenuss“. Ein halbes Jahr lang schrieb das Unternehmen zu seinen Werbemotiven diesen Satz: „Achtung, diese Werbung könnte von dummen Menschen missverstanden werden.“ Nach der Kritik ruderte das Unternehmen zurück. Diesen Werbespruch wolle man fortan nicht mehr verwenden, sagte Co-Geschäftsführerin Inga Koster damals der WirtschaftsWoche. Außerdem räumte das Unternehmen ein, „dass Sprache die Macht zur Diskriminierung hat“ und versprach für die Zukunft mehr Feingefühl. „Letztendlich ziehen wir unsere Schlüsse aus den Protesten“, sagte True-Fruits-Geschäftsführer Marco Knauf.

Provokative Plakate von Benetton

Als eine Größe der Provokationskunst galt lange die Modemarke Benetton oder besser gesagt ihr langjähriger Fotograf Oliviero Toscani. Für das Unternehmen fotografierte er beispielsweise eine Frau, deren Vater gerade erschossen worden war – auf dem Werbebild von Benetton sah man ihr Gesicht, gespiegelt im Blut ihres Vaters.

Benetton warb auch mit Bildern Toscanis, die Aids-Kranke kurz vor ihrem Tod zeigte, einer schwarzen Mutter, die ein weißes Baby stillt, oder einem Kuss zwischen einem Priester und einer Nonne. Auf anderen Kampagnenfotos waren zum Tode verurteilte US-Häftlinge zu sehen – als Protest gegen die Todesstrafe – oder das blutverschmierte Oberteil mit Einschussloch von einem im Bosnienkrieg erschossenen Kroaten – ein nicht minder eindeutiges politisches Statement.

Für Benetton waren Toscanis Provokationen ein Erfolgsgarant. 2020 trennte sich das Unternehmen dann aber doch von seinem umstrittenen Fotografen und Kreativdirektor – allerdings nicht wegen seiner Fotomotive, sondern wegen einer Interviewaussage. „Wen kümmert es schon, wenn eine Brücke einstürzt“, hatte Toscani zum Brückeneinsturz in Genua gesagt, der 2018 43 Tote gefordert hatte. Verglichen mit seinen provokativen Bildern eine scheinbar harmlosere Aussage – doch die Familie Benetton hielt damals über eine Holding das Unternehmen, das für die Wartung der eingestürzten Brücke verantwortlich war.

Antisemitismusvorwurf gegen Farid Bang und Kollegah

Auch Musiker fallen nicht selten durch Provokationen auf. Einen großen Aufschrei gab es etwa 2018, als die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang für den deutschen Musikpreis „Echo“ nominiert waren. Ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ gewann den Preis in der Kategorie Hip-Hop/Urban National. Darauf fällt der Satz: „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen.“

Von anderen Musikern, wie beispielsweise dem Toten-Hosen-Sänger Campino, gab es große Kritik und Antisemitismusvorwürfe. Doch der Echo-Beirat verwies auf die künstlerische Freiheit und schloss die Rapper nicht vom Award aus. Der jüdische Pianist Igor Levit gab daraufhin seinen 2014 erhaltenen Echo ab. Letztlich wurde der Musikpreis im Zuge der Kontroverse komplett abgeschafft.
Von den beiden Rappern dürften mit der Chose erstmals auch Leute gehört haben, die normalerweise nicht in dem Genre unterwegs sind, was auf lange Sicht ihre Bekanntheit gesteigert haben dürfte.

Tabubruch bei Menstruationskampagnen von The Female Company

Und dann gibt es noch Unternehmen, die bewusst Skandale provozieren und Tabus brechen wollen wie beispielsweise das Start-up The Female Company. Anfang 2020 veröffentlichte das Unternehmen auf der Pornoplattform Pornhub ein Video mit dem Titel „The naked truth“. Darin führt eine Frau eine Menstruationstasse in ihre Vagina ein. Bei Investorenrunden trugen die Gründerinnen rote Hosenanzüge.

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2019 verkaufte das Unternehmen Tampons in Büchern – damit wollten sie auf die höhere Steuer bei Menstruationsprodukten aufmerksam machen. 100 dieser Exemplare schickten sie an Politikerinnen und Politiker. Eine andere Kampagne lief unter dem Hashtag #Lippenbekenntnis, auf den Plakaten ist ein um 180 Grad gedrehter rotverschmierter Mund, der wie eine Vagina aussehen soll, zu sehen, dabei steht: „Reden wir über unseren Menstruationshintergrund.“

Fakt ist: Provokation führt zu Aufmerksamkeit und hilft Künstlern und Unternehmen zu mehr Sichtbarkeit. So auch im Fall Joe Rogan. Laut Google-Trends stiegen die weltweiten Suchanfragen nach ihm nach dem Spotify-Boykott von Neil Young auf einen Höchststand – und auch die in Deutschland.

Mehr zum Thema: Schwache Zahlen, trübe Perspektiven: Netflix macht die wachsende Konkurrenz zu schaffen. Um sich zu behaupten, könnte der Streaming-Marktführer künftig vermehrt neue Wege gehen – fernab von Filmen und Serien.

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