Google Bald zu brav?

Google unter Druck Quelle: dpa

Nach Donald Trump setzen nun auch die eigenen Mitarbeiter Google unter Druck. Die Moralfrage könnte Innovationskraft kosten.

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Wenn Gott mitspielt, ist bald Wochenende – und Larry Page und Sergey Brin haben alle Fragen beantwortet. Meist im Wochenrhythmus, oft freitags, bitten die Gründer von Google zum Townhall-Meeting in die Cafeteria der Zentrale in Mountain View, referieren mal entspannt in Jogginghose und T-Shirt über Geschäftszahlen und beantworten Fragen der Belegschaft.

„Thank God, it’s Friday“, nennen sie die Events, in froher Erwartung des Wochenendes. Man teile „alles, was möglich ist“ – Transparenz als Erfolgsfaktor. Bis zu 500 Mitarbeiter verfolgen die Runde vor Ort, weltweit kann sich jeder „Googler“ einwählen. So war das bisher.

Doch die Offenheit auf dem Campus in Kalifornien ist einem Misstrauen gewichen. Kürzlich erschien ein Video des streng geheimen Events auf der Webseite der rechtslastigen News-Plattform Breitbart. Page und Brin äußerten in der geleakten Aufzeichnung ihre Abneigung gegenüber Donald Trump. Es hagelte Kritik prominenter Republikaner wie Texas-Senator Ted Cruz, denen Google längst zu liberal, bunt und mächtig geworden ist. In Washington wird gar offen über eine Zerschlagung nachgedacht.

Proteste bei Google

Revolution bei Google

Der Gigant spürt Widerstand – von außen und von innen. Im Selbstverständnis sieht sich Google als Weltverbesserer und demokratisches Unternehmen. „Tue Gutes“, lautet das Leitmotiv. Doch nun erschüttern Sexismusskandale, fragwürdige Militärmanöver und überraschende Chinacoups den Konzern, der seinen hehren Ansprüchen kaum gerecht werden kann. Mitarbeiter ringen um den moralischen Kompass – und initiieren eine Kulturrevolution, die für den Konzern teuer werden könnte. Konkurrenten ergötzen sich in Schadenfreude.

Die Entwicklung bei Google zeigt auch, wie sich Spielregeln im Silicon Valley verändern. Moral scheint wichtiger, als kreativ Regeln zu brechen. In der Folge gerät das Hightechtal in Gefahr, seine Überlegenheit im Wettbewerb mit anderen Regionen zu verlieren. Kaliforniens Innovationsschmiede ist brav geworden. Zu brav?

Im 20. Jubiläumsjahr steht nun gar der Job von Google-Chef Sundar Pichai, der seit 2015 die lukrative Suchsparte des in Alphabet umbenannten Konzerns führt, auf dem Spiel. Dem Inder, eigentlich als Motivator und Versöhner geschätzt, gelingt es nicht, interne Grabenkämpfe zu beenden.

Google wirkt verunsichert. Seit das Anti-Trump-Video im Herbst dieses Jahres publik wurde, hat der Konzern die Sicherheit verstärkt, damit Meetings nicht unerlaubt mitgeschnitten werden. Zuletzt hatte Google 48 Mitarbeiter wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung entlassen. Anfang November protestierte ein Viertel der Belegschaft weltweit gegen die internen Zustände – ein Novum im Konzern, der Loyalität und Verschwiegenheit einfordert. Eilig hat Google-Chef Pichai noch mehr Transparenz zugesichert. „Uns ist klar, dass wir einiges ändern müssen“, schrieb er in einer E-Mail an alle. Ein „Aktionsplan“ soll die Rechte der sexuell belästigten Mitarbeiter stärken.

Beim Selbstbild von Google zeigen sich Risse. Mit einem weltweiten Umsatz von umgerechnet 100 Milliarden Euro scheint der Konzern gefangen zwischen Größe und Moral. „Dass man seine Hände trotz wachsender Macht sauber halten kann, ist eine Illusion“, sagt Gregory La Blanc, Chef des Fintech-Instituts der Uni Berkeley und Kenner des Silicon Valley. „Google kann es einfach nicht allen recht machen, besonders, da sich Moral so schwer definieren lässt.“

Das zeigt sich auch beim Freitagsmeeting, das der Konzern als Paradebeispiel seiner offenen Kultur vermarktet. Die Unbekümmertheit der Anfangsjahre ist lange Geschichte. Google-Mutter Alphabet beschäftigt weltweit 90 000 Mitarbeiter. Deshalb kann nur ein Bruchteil teilnehmen. Eine Software namens Moderator sortiert die Fragen vor und lässt die Belegschaft darüber abstimmen. Wegen der Leaks debattiert das Management bereits, das Beisammensein ganz abzuschaffen.

Der Nachteil von Offenheit und Multikulti: Immer öfter tauchen Fragen mit politischem und rechtlichem Sprengstoff auf. Etwa, ob Google tatsächlich an einer Suchmaschine für China arbeitet, die sich leichter zensieren lässt? Vor zehn Jahren hatte sich Google aus Protest gegen die Zensur der Staatsführung aus dem Reich der Mitte zurückgezogen – und so auf Hunderte Milliarden Dollar Umsatz verzichtet. Nun gestand Pichai das Chinaprojekt beim Freitagsmeeting ein – nach langem Zögern. Es sei „nur ein Experiment“.

Thema Sexismus

Unangenehme Fragen musste sich die Google-Führung auch beim Thema Sexismus gefallen lassen. Warum der Erfinder des Betriebssystems Android, Andy Rubin, trotz des Vorwurfs sexueller Belästigung Google mit 90 Millionen Dollar Abfindung und warmen Dankesworten verlassen konnte? Antwort Page: „Ich habe Fehler gemacht.“

Inzwischen ist Google intern so zerstritten, dass jede Diskussion zur Obsession wird. Frauen hätten bei Google von vornherein schlechtere Chancen, sagen die einen. Im Gegenteil, sagen andere. „Google diskriminiert weiße, konservative Männer“, klagte Ex-Google-Entwickler James Damore. Er verfasste 2017 ein Papier, das die Unterrepräsentanz des weiblichen Geschlechts bei Softwareentwicklern mit biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau zu erklären versuchte. Dass Google-Chef Pichai den Provokateur erst auf Druck feuerte, wird ihm noch heute angekreidet.

Für Traditionalisten ist der Rauswurf des Entwicklers jedoch Beweis, dass bestimmte Debatten nicht mehr erlaubt seien. Zu viel „political correctness“ bedrohe gar die Innovationskraft. Regelbruch gilt im Silicon Valley als Urquell für Kreativität und Tempo. Das Credo lockt Geld, Talente und Querköpfe. Die Diskussionen bei Google zeigen nun, dass damit Schluss sein könnte. Während die Start-up-Kultur in China Überarbeitung und Sexismus zelebriert, stellt Google Moral über alles.

Die innere Zerrissenheit bedroht nun auch das Wachstum des Konzerns. Auf Druck empörter Mitarbeiter gab Pichai im Frühjahr zu, dass Google beim Projekt Maven mit dem US-Militär kooperiere. Mithilfe künstlicher Intelligenz sollen Kampfdrohnen ihre Ziele besser identifizieren. Zwar beteuerte Pichai, dass man nicht aktiv beteiligt sei, nur den Zugriff auf Google-Infrastruktur erlaube. Doch ein Teil der Belegschaft forderte einen Rückzug: „Google sollte nicht im Kriegsgeschäft sein“, hieß es in einem Brief ans Management. Etliche Ingenieure drohten mit Kündigung, rund 4000 unterschrieben den Aufruf. Im Juni zog Pichai bei Maven die Reißleine.

Zum Ärger von Eric Schmidt. Der ehemalige Google-Chef und Mentor der Gründer berät seit Jahren das Pentagon dazu, wie sich das US-Militär in eine moderne Hightecharmee weiterentwickeln lässt. „Die wichtigsten Technologien, auf die moderne Waffensysteme angewiesen sind, werden heutzutage nicht mehr von Regierungen, sondern der Privatwirtschaft entwickelt“, sagt Schmidt. „Wir brauchen dort viel stärkere Kooperation, vor allem bei Software und künstlicher Intelligenz.“ Maven, so lobte ausgerechnet Schmidt vor dem US-Senat, sei ein bahnbrechendes Vorbild dafür.

Schadenfreude bei Amazon

Die Konkurrenz frohlockt derweil offen über die Selbstzerfleischung bei Google. Microsoft-Chefjurist Brad Smith stellt klar, dass sein Konzern weiterhin mit dem Militär zusammenarbeiten wird. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der seit Jahren der CIA Rechenleistung zur Verfügung stellt, spottet über die Führungsschwäche von Google. „Ein Führungsteam ist auch dazu da, die richtigen Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie unpopulär sind.“ Wenn Techriesen nicht mehr dem Pentagon helfen, „dann kriegt das Land große Probleme“.

Noch geschickter agiert Apple. In China betreibt der Technologiekonzern Datenzentren mit Dienstleistern, die der Staatsführung nahestehen. Außerdem hat Apple liberale Angebote wie die „New York Times“ und Apps, die das Surfen im Internet verschleiern, aus seinem chinesischen Store geworfen. In den USA und Europa dagegen präsentiert sich Apple als Vorkämpfer für Privatsphäre und besseren Datenschutz.

Bei Google ärgert man sich über Apples Doppelmoral – und steckt doch im eigenen Dilemma fest. Man sorgt sich bereits, ob man noch die besten Leute kriegt. Talente werden „auch künftig ihren Weg zu Google finden“, sagt Innovationspsychologe und Google-Kenner Christoph Burkhardt. Aber Google werde „einige gute Mitarbeiter verlieren“.

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