Milliarden-Skandal vor Gericht Diese Fragen entscheiden den Wirecard-Prozess

Kann Braun seine Opfer-These belegen? Quelle: Illustration: Marcel Reyle

Markus Braun und seine Opfer-These, Oliver Bellenhaus und seine Nerven, Stephan von Erffa und seine riskante Strategie. Ein Überblick über Fragen, die im Prozess in München in diesem Jahr wichtig werden.

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Mitte Januar wird es wohl so weit sein. Dann wird der Vorsitzende Richter Markus Födisch dem Angeklagten Markus Braun das Wort erteilen. Im Hochsicherheitsgerichtssaal in der JVA München Stadelheim wird Braun dann zum ersten Mal dem Gericht und der Öffentlichkeit seine persönliche Wirecard-Story erzählen. Seine Sicht, wie es zum größten Betrugsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte kommen konnte. So viel scheint jetzt schon klar: Braun wird sich als Opfer des gigantischen Betruges darstellen. Bislang jedenfalls weist er die Vorwürfe der Münchner Staatsanwaltschaft entschieden zurück.

Aber wie glaubhaft ist das? Das ist eine von mehreren zentralen Fragen, die den Wirecard-Prozess in diesem Jahr entscheiden werden. 
Ein Überblick.

Kann Braun seine Opfer-These belegen?

Der Kern des Wirecard-Skandals ist das milliardenschwere Geschäft mit Drittpartnern (TPA), das Markus Braun nach Auffassung der Münchner Staatsanwaltschaft zusammen mit dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek sowie dem ehemaligen Dubai-Statthalter Oliver Bellenhaus und dem ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von Erffa erfunden haben soll. Bellenhaus und von Erffa sind mit ihm angeklagt. Wirecard sollte so nach außen als stark wachsendes Unternehmen erscheinen. Doch Treuhandkonten, auf denen sich die angeblichen Milliardengewinne aus diesem Geschäft befunden haben sollen, waren leer.

Bellenhaus hatte sich nach dem Zusammenbruch von Wirecard im Sommer 2020 den Behörden gestellt – und den Betrug gestanden und Braun, Marsalek sowie von Erffa belastet. Auch im Wirecard-Prozess hat er bereits entsprechend ausgesagt.

Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm jedoch will beweisen, dass es das Drittpartnergeschäft zumindest teilweise sehr wohl gegeben hat. Und dass eine Bande um Marsalek und Bellenhaus die Gewinne damit hinter dem Rücken Brauns aus dem Unternehmen geschleust hat. Recherchen zeigen, wie wackelig diese These ist. Die Frage im Wirecard-Prozess lautet: Können Braun und sein Anwalt Dierlamm Beweise liefern, dass es das in den Bilanzen von Wirecard behauptete Geschäft doch gab?

Hat Bellenhaus seine Nerven im Griff?

Schon vor Beginn des Prozesses war klar, dass Brauns Verteidigungsstrategie vor allem ein Feldzug gegen Oliver Bellenhaus ist. Er ist zum Kronzeugen der Staatsanwaltschaft geworden, weil er umfassend gegen Braun und Co. ausgesagt hat. Deshalb stichelt Braun-Anwalt Dierlamm gegen Bellenhaus, stellt ihn als unseriös dar.  Oder als Kronzeugen, der die Staatsanwaltschaft erpresst. Wenn man Bellenhaus‘ schillerndes Wirken bei Wirecard kennt, dürfte es noch weitere Steilvorlagen für Dierlamm geben.

Bellenhaus hingegen bemüht sich um das Auftreten eines nüchternen Bankers. Kommt im Anzug mit Krawatte zu den Sitzungen, spricht in der Finanzsprache. Doch wie dünn sein Nervenkostüm ist, wurde schon am dritten Verhandlungstag klar, als er plötzlich Braun und von Erffa persönlich ansprach:

„Was ihr beide überseht: Die Geschichte hat uns eng verbunden“, wetterte er.  „Ich kenne eure Handlungsweisen und Strategien und diesmal sitzt ein echter Insider mit am Tisch, der jede eurer zahlreichen Halbwahrheiten bis ins kleinste Detail deuten und auseinanderbauen kann.“ Vor allem seine Enttäuschung über von Erffa machte er deutlich: Er habe ihm auch nach seiner Verhaftung noch genug Zeit gelassen, sich seiner Verantwortung selbst zu stellen. Denn von Erffa sei „ohne jeden Zweifel die Person mit dem größten Detailwissen“. „Manchmal muss man eben seinen Mann stehen und auch sagen, was war. Das lag aber gerade bei dir, Stephan, noch nie in deinem Wesen“.

Als er, Bellenhaus, sich im Jahr 2013 (als seiner Schilderung nach der TPA-Betrug begann) „mit Hunden schlafen legte, war ich mir bewusst, dass ich eventuell mit Flöhen aufwachen würde. Mir war jedoch nicht klar, dass ich mit Ratten ins Bett ging und mit der Pest aufwachen würde.“ Für seinen emotionalen Ausbruch hat sich Bellenhaus in der vierten Sitzung entschuldigt. Seine Anwälte hatten ihm davon abgeraten, seinem Ärger Luft zu verschaffen, sagte Bellenhaus. Weil sie wissen: Jeder Ausraster hilft Bellenhaus‘ Gegnern.

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von Georg Buschmann

Welche Strategie verfolgt Stephan von Erffa?

Zum Auftakt des Wirecard-Prozesses schien das Gerichtsverfahren ein Duell zwischen Ex-Konzernchef Braun und Ex-Dubai-Statthalter Bellenhaus zu sein. Das könnte sich in diesem Jahr ändern. Durch die Rolle des dritten Angeklagten: Stephan von Erffa.

Stephan von Erffa war der Chefbuchhalter von Wirecard – und eine zentrale Figur im Unternehmen. Die Staatsanwaltschaft sieht ihn zusammen mit Bellenhaus als den Mann, der die Zahlen für die angeblichen Drittpartnergeschäfte gefälscht haben soll. Bellenhaus war dabei weitgehend in Dubai tätig, erfand nach eigenen Angaben Rechnungen und Protokolle. Von Erffa jedoch soll dafür gesorgt haben, dass die Zahlen in die Bilanzen gelangten und die Wirtschaftsprüfer überzeugten. Aus der Anklageschrift wird deutlich: Von Erffa soll auch bei der Vergabe von umstrittenen Krediten mitgewirkt haben, durch die Hunderte Millionen Euro aus dem Unternehmen abflossen. Bislang hat von Erffa die Vorwürfe bestritten. 

Immer mehr wird deutlich, dass eigentlich von Erffa der bessere Kronzeuge wäre als Bellenhaus. Denn: Von Erffa saß in Aschheim, in der Wirecard-Zentrale. Er war so etwas wie eine Schnittstelle zwischen Bellenhaus und der Konzernspitze. Seine Verteidigungsstrategie ist bislang aufgegangen: Während Braun und Bellenhaus mitsamt ihren Anwälten munter aufeinander eindreschen, schaut er meistens zu. Im Gegensatz zu seinen beiden Ex-Kollegen durfte er die Haft aus familiären Gründen verlassen, spaziert zu jedem Verhandlungstag wie ein Besucher in die JVA. Als ihn Bellenhaus attackierte, stellte ihn von Erffas Anwältin Sabine Stetter als zweifelhaften Kronzeugen dar, dessen Angaben die Staatsanwaltschaft ungeprüft übernommen habe.

Attacken von Erffas gegen Braun gab es noch nicht. Dafür aber eine andere interessante Entwicklung: Das Gericht hat zwei forensische Psychiater als Sachverständige bestellt, die von Erffa im Verlauf des Verfahrens begutachten sollen. Es geht um die Frage, ob von Erffa im Tatzeitraum psychisch beeinträchtigt war. Wenn dem so ist, könnte dies seine mögliche Schuld mildern oder sogar ganz ausschließen.

Die Anwälte von Erffas teilen auf Anfrage mit, dass ihr Mandant im Hinblick auf das laufende Verfahren derzeit keine Fragen beantworte.

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Es kommt also darauf an, welche Indizien der Prozess gegen von Erffa zutage fördert – und wie das Gutachten für ihn ausgeht. Sicher ist: Für den Fall, dass von Erffa am Betrug mitgewirkt hat und sich entschließen sollte, hierzu ein Geständnis abzulegen, könnte es eng werden für Markus Braun.


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