Dramatische Preisanstiege „Ein Euro pro Kilowattstunde wird das neue Normal sein“

Die Siempelkamp-Geschäftsführer Dirk Howe und Georg Geier Quelle: Presse

Der Mittelstand ist angesichts der dramatischen Anstiege von Rohstoff- und Energiepreisen besonders herausgefordert – er verfügt nicht über Handelsabteilungen. Dirk Howe und Georg Geier, die die Krefelder Gießerei Siempelkamp führen, berichten von ihrer neuen Normalität.

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Wenn jemand viel Eisen und Energie braucht, dann die mittelständische Gießerei Siempelkamp. Sie stellt riesige Strukturbauteile für Schiffsmotoren, Pressen für die Elektromobilität und Mühlen für die Erzeugung von Kupfer, Nickel und Gold in Handarbeit her. Die Geschäftsführer Dirk Howe und Georg Geier berichten, wie sie die Arbeit an ihren Öfen trotz der Verwerfungen der Märkte durch den Krieg in der Ukraine am Laufen halten.

WirtschaftsWoche: Wie erleben Sie die Verwerfungen auf den Rohstoff- und Energiemärkten in Ihrem Unternehmen?
Dirk Howe: Wir sind systemrelevant für viele Bereiche der Realindustrie. Unsere Strukturbauteile werden dringend gebraucht, da gibt es bei den Aufträgen keinen Abriss. Internationale Kunden stehen zu uns – auch in diesen schwierigen Zeiten. Wir fahren zu 150 Prozent auf Krisenmodus, arbeiten seit Monaten schon täglich 14 Stunden und mehr. Das ist ein Ausnahmezustand, bei dem man an seine physischen Grenzen kommt.

Was ist am stressigsten?
Georg Geier: Oft gibt es beim Materialeinkauf nur ein Zeitfenster von einer Stunde, in der man eine sehr weitreichende Entscheidung treffen muss, zu der es dann am nächsten Tag schon neue Informationen gibt. Unser Schmelzprozess ist vom Strompreis abhängig. Was der in Zukunft kosten wird, weiß ich nicht. Es bleibt uns nur übrig, immer wieder mit unseren Kunden zu sprechen und herauszufinden, wer bei den Preiserhöhungen noch mitkommt. Es gibt aktuell einen Hyperbedarf an unseren Produkten. Weil wir nicht nach Russland liefern, merken wir von der Krise in der Ukraine in der Nachfrage bisher noch nichts.

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Das ist vielleicht die Ruhe vor dem Sturm.
Howe: Die aktuelle Lage darf man nicht unterschätzen. Was jetzt am Energie- und Rohstoffmarkt passiert, hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und die deutsche Wirtschaft. Es wird einschneidende soziale Konsequenzen geben. Wenn ganze Unternehmen ihre Produktion abschalten müssten, würde es erneut Kurzarbeit geben, und das so kurz nach Corona. Das wäre eine extreme Herausforderung für die Gesellschaft.

Halten Sie die aktuelle Krise für schlimmer als die Weltfinanzkrise 2008?
Howe: Für uns ist diese Situation mit 2008 nicht vergleichbar. Das war eine Weltfinanzkrise nach bekanntem Muster. Zwar hatten die Verwerfungen in der Finanzwelt durch Liquiditätsengpässe Rückwirkungen auf die reale Wirtschaft. Aber die funktionierte damals noch.
Jetzt dagegen knirscht es in der realen Wirtschaft.
Geier: Heute machen viele Faktoren in der physischen Welt echte Probleme. Viel baut sich schon seit Monaten auf: Die Energieverteuerung, die Lieferkettenprobleme, die Frachtraten, die Chipkrise. Jetzt stößt die Kriegswirtschaft mit dem Sanktionsregime auf ein bereits fragiles, von der Pandemie geschwächtes System.

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Die Energiepreise sind dramatisch gestiegen.
Howe: Aktuell machen uns die Rohstoffpreise sogar noch mehr zu schaffen. Wir brauchen die Metalle für unseren Geschäftsbetrieb. Der Markt ist seit drei bis vier Tagen schlichtweg außer Kontrolle. Vergangene Woche kostete die Tonne Nickel noch 25.000 Euro – das war bereits doppelt so viel wie üblich. Gestern erreichte der Preis 101.000 Euro, dann stoppte die LME den Handel und strich alle heutigen Orders – es gab Unregelmäßigkeiten bei einem chinesischen Großunternehmen.

Wie kann es in so kurzer Zeit zu so großen Preisanstiegen kommen?
Howe: Das Problem ist, dass sowohl die Ukraine als auch Russland große Produzenten von Roheisen, Stahl, Eisen und Erzen sind und von dort keine Lieferungen durch die Ukraine kommen. Viele Unternehmen in Polen, oder Tschechien, die normalerweise über die osteuropäische Route kaufen, weichen jetzt auf die westliche Handelsrouten über Nordamerika oder Afrika aus. Entsprechend der höheren Nachfrage dort steigen die Preise. Roheisen zum Beispiel stieg um das zweieinhalbfache von 400 auf 1000 Euro. Auch die Preise für Stahlschrott ziehen stark an, weil nichts aus Osteuropa ankommt. Alles hat einen Dominoeffekt: Weil Kabelbäume für die Autoproduktion fehlen, halten Autohersteller ihre Werke an. Dadurch fehlen die Stanzabfälle und der Schrott, der bei deren Produktion abfällt. Unsere größte Sorge ist: Wie lange dauert das an?

Die Entwicklung der Strompreise besorgt Sie schon länger.
Geier: Auch da gibt es irre Verwerfungen. Der Tageshöchststand heute an der Strombörse war 70 Cent pro Kilowattstunde. Wohin geht das noch – auf einen Euro pro Kilowattstunde? Die regulären Strompreise sind vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde an der Börse, nach Aufschlägen ist das ein Verbraucherpreis von 25 bis 30 Cent. Jetzt aber kostet der Strom an der Börse in der Spitze schon 70 Cent. Das geht sich nicht aus. Solide Stadtwerke haben ihre Preise auf Sicht von einem bis drei Jahren abgesichert. Wer als Endkunde aber einen neuen Tarif abschließen muss, für den wird ein Euro pro Kilowattstunde das neue Normal sein. Da braucht die Politik neue Wege und neue Tools, die sie in Zusammenarbeit mit Branchenexperten entwickeln muss.

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