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Wie reagiert man rhetorisch klug auf Impfverweigerer? Quelle: imago images

Rhetorik-Training am Beispiel „Impfpflicht durch die Hintertür“

Wenn Sie üben, Rhetoriktricks Ihrer Gegenspieler schnell zu entlarven und gegenzuhalten, wird es Ihnen im Berufsalltag besser gelingen, in Diskussionen elegant zu kontern. Ein aktuelles Beispiel aus der Corona-Zeit.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Rhetorik üben an aktuellen Fällen. Los geht´s. Die deutsche Impfkampagne stockt. Mittlerweile ist mehr Impfstoff da, als abgefragt wird. Tausende Dosen drohen bald zu verfallen. Und in einigen Wochen wird es heißen: Es wurde Jedem und Jeder ein Impfangebot gemacht. Mit anderen Worten: Nicht geimpft zu sein, ist dann kein Symptom einer vergeigten europäischen Impfstoffbesorgung mehr, sondern eine persönliche Entscheidung. Und das ändert die Lage.

Bislang herrschte gefühlt eine Einigkeit in der Gesellschaft, dass Ungeimpfte keine Nachteile im Vergleich zu Geimpften erfahren dürften. Denn sie konnten ja nichts für ihren fehlenden Immunschutz. Sobald aber alle die Chance auf eine Impfung haben, ist man freiwillig gefährdet, wenn man der Spritzen entsagt. Ungeimpfte gefährden aber auch die Anderen. Trotz Schnelltest. Die Impfung gilt obgleich einer gewissen Unsicherheit, wie sehr Geimpfte das Virus weitertragen können, als zuverlässiger im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus als Antigentests allein. Unterdessen steigt die Gefahr einer vierten Welle im Herbst und Winter, weil die Impfquote vor sich hin dümpelt.

Nun läuft die Diskussion, wie dieses Problem der zu niedrigen Impfquote in den Griff zu bekommen ist. Eine Impfpflicht wäre eine Option, wird aber in der jetzigen Lage von der Bundespolitik überwiegend noch als unverhältnismäßig abgelehnt. Die einen setzen auf argumentative Überzeugungsarbeit (den Freunden ins Gewissen reden und Werbespots vor der Tagesschau), niedrige Hürden (Impfen vor Ikea und McDonald´s, wo man eh hinwollte) und Anreize (Popkonzert-Freikarten für alle, die sich vor der Konzerthalle die Spritze setzen lassen).

Andere fordern außerdem oder alternativ, dass Ungeimpfte sich nicht mehr so einfach mit einem (ungenauen) Test unter die Leute mischen können dürften. Weil es ja sicherer ginge und dies zumutbar sei. In der Praxis könnte das bedeuten – und man kann ja alles zumindest diskutieren: Kinobesuche (wo fürs Popcornknabbern die Masken abgenommen werden) nur noch für Geimpfte. Messebesuche auch. Kneipen, Restaurants und Clubs nur noch für Geimpfte. Und letztendlich vielleicht: Jobs mit Kundenkontakt nur noch für Geimpfte. Wie wäre es mit Flugreisen nur noch für Geimpfte? Konzertbesucher, Theater, Museen, Freizeitparks, Schwimmbäder.

Und jetzt kommt die Rhetorik ins Spiel. Kritiker dieser faktischen Nachteile für Ungeimpfte nennen dieses Vorgehen eine Impfpflicht durch die Hintertür.

So! Angenommen, Sie sehen das genauso. Dann haben Sie hier einen rhetorischen Edelstein in Händen. Denn die Formulierung Impfpflicht durch die Hintertür ist gleich doppelt trickreich.

  1. Es wird statuiert, es gäbe eine Impfpflicht. Und weil zurzeit kaum einer eine Impfpflicht fordert, wirkt die Benachteiligung von Ungeimpften als eine unhaltbare Minderheitenposition.
  2. Durch die Hintertür schleicht man sich aus Angst, jemandem offen entgegen zu treten. Maßnahmen durch die Hintertür gelten deshalb als rückgratlos und unaufrichtig. Es ist eine Methode der Angsthasen.

Eine Pflicht, die keiner will, klammheimlich durchgedrückt. Das wäre das Werk von Feiglingen. Wer will sich damit schon gemein machen?

Was aber, wenn Sie dennoch diese Gegenposition vertreten? Wer sich nicht impfen lassen will und sich damit unsolidarisch selber an den Rand der Gemeinschaft stellt, kann nicht erwarten, dass man ihn mit offenen Armen in die Mitte dieser Gemeinschaft holt. Am Rande der Gruppe und mitten in der Gruppe geht nicht gleichzeitig.

Sie sehen: Schon bei der Formulierung der Gegenposition habe ich den Blickwinkel geändert: ungeimpft zu sein, nicht allein als Ausdruck von individueller Freiheit, sondern als selbstgewählte Isolation von der Gesellschaft. Das leuchtet doch sofort ein.

Wenn Sie der Meinung sind, Nachteile für Ungeimpfte wären richtig, dann müssen Sie jetzt den Vorwurf der Impfpflicht durch die Hintertür loswerden. In einer Diskussion muss das im Zweifel schnell gehen.

Mein Tipp: Achten Sie auf Formulierungen der Gegenseite, die geeignet sind, Ihren Standpunkt unhaltbar oder verächtlich zu machen. Entscheiden Sie dann schnell: Fällt Ihnen ein guter Gegenschlag ein, dann gehen Sie drauf ein. Sonst ignorieren.

Hier überlegen: Impfpflicht. Ist es eine? Nein. Und deshalb kann es auch keine durch die Hintertür sein.

Ihr Gegner in der Diskussionsrunde wird jetzt womöglich sagen: „Natürlich ist es eine De-Facto-Impfpflicht. Weil man letztendlich nicht mehr drum herum kommt, wenn man alle Freiheiten will.

Hmm. Nicht schlecht. Aber: Stimmt das? Nein. Man ist nicht gezwungen. Es fühlt sich nur so an. Aber diese Situationen gibt es oft im Leben. Jetzt flott ein Gleichnis, dass dies sofort deutlich macht. Gleichnisse sind Wunderwerke der Rhetorik, weil sie sofort ins Blut gehen und sofort überzeugen. Aber ein Gleichnis muss exakt passen. Sonst erzeugen Sie Fragezeichen und Sie verwässern Ihren Standpunkt.

Wie entwickelt man schnell ein Gleichnis? Es ist nicht immer so einfach, aber so funktioniert es: Indem Sie die Quintessenz der Konstellation erfassen und allseits bekannte vergleichbare Situationen heranziehen, die den eigenen Standpunkt sofort veranschaulichen. Ziel: überzeugen. „Stimmt, so gesehen ja.“

Was ist hier also die Quintessenz? Es geht um eine gefühlte Pflicht, die aber eigentlich keine ist. Man kommt aber nicht drum herum, etwas zu tun, um ein anderes Ziel zu erreichen. Man muss das Ziel aber nicht erreichen und ist deswegen frei in der Entscheidung. Muss dann aber mit den Nachteilen leben.

Woher kennen wir solche Konstellationen aus dem Alltag aller?

Mir fiel sofort ein: der Führerschein. Wenn ich Auto fahren möchte, muss ich einen Führerschein machen. Dennoch gibt es keine Führerschein-Pflicht. Wer keinen machen möchte, darf aber eben nicht Auto fahren. Es wäre zu gefährlich für die Gesellschaft.

Oder: Wer mit dem Flugzeug verreisen möchte, muss sich der Prozedur der Sicherheitskontrollen unterwerfen. Wem das wegen der Strahlen des Körperscanners zu heikel ist, darf nicht fliegen. Es wäre nicht im Interesse der Allgemeinheit. Dennoch ist kein Urlauber in Deutschland gezwungen, sich in einen Körperscanner zu stellen. Er kann ja mit dem Auto fahren (mit Führerschein natürlich).

Letztendlich gibt es in Deutschland auch keine Pflicht, beim Abendessen angekleidet zu sein. Man kann dann eben nur kein Restaurant aufsuchen. Aus Rücksicht auf die Anderen.

All diese Beispiele sind deshalb so eingängig, weil sie einen Unterschied zur Impfdiskussion ignorieren. Vielen Ungeimpften dürften die Nachteile deshalb so ungerecht vorkommen, weil sie vor der Pandemie auch ohne Impfung alle Freiheiten hatten. Jetzt kommt es einem vor, als würden einem ohne Impfung Freiheiten geraubt. Es wirkt wie ein Weniger. Und das nervt. Aber die Pandemie ist eben eine neue Situation und die ist mit alten bekannten Alltags-Anekdoten erklärbar.

Letztendlich geht es in diesem Konflikt in Wahrheit nicht um Pflicht oder Freiwilligkeit, sondern um die eine Frage: Darf ich auch dann, wenn ich ihm Rahmen meiner Wahlfreiheit die Option wähle, die für alle anderen ungünstiger ist, dennoch erwarten, dass mich die dadurch benachteiligte Gemeinschaft ohne Abstriche mitträgt? Diese Abwägung ist relevant auch bei der Frage, ob man in der Öffentlichkeit rauchen dürfen soll. Oder ob die Krankenkasse auch Behandlungen bezahlt, die allein wegen eines bewusst gewählten, sehr ungesunden/gefährlichen Lebensstil nötig geworden sind (was in der Praxis freilich schwer nachvollziehbar sein dürfte). Oder auch bei der Diskussion, ob Hartz IV gekürzt werden darf/soll, wenn Bezieher Jobvermittlungs-Termine bei den Behörden nicht wahrnehmen. Wenn individuelle Selbstbestimmung mit gemeinschaftlichen Interessen konkurrieren.

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Fazit: Erkennen Sie die Masche der Gegenseite, Ihren Standpunkt zu diskreditieren. Decken Sie das auf. „Sie nennen es Impfpflicht durch die Hintertür. Es ist aber keine Impfpflicht, sondern glasklare Wahlfreiheit für Ungeimpfte, die gegebenenfalls im Interesse der Gesellschaft die Nachteile ihrer eigenen Entscheidung aus Solidarität zu tragen haben. Das kennen wir alle auch vom Führerschein/vom Flughafen/ usw.“

Mal sehen, wer sich mit seiner Position am Ende des Sommers durchsetzen wird. Eins scheint absehbar: Die sogenannten Bürgertests als Eintrittskarte in Flugzeug, Café und Fitnessstudio dürften nicht mehr lange kostenlos bleiben (außer für Schüler). Wie die Bundesregierung, allen voran die Bundeskanzlerin, das dann erklärt, die doch bis heute gegen eine Impfpflicht durch die Hintertür ist, wird aus rhetorischer Sicht spannend.

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Mehr zum Thema: Bei Präsentationen, Kundengesprächen oder beim Austausch mit dem Chef mit einer umwerfenden Rhetorik zu glänzen ist einfacher gesagt, als getan. Doch jeder kann an sich arbeiten. Wie, verrät unser Coach Marcus Werner.

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