Erneuerbare Energien Wie ein Ex-Tesla-Manager Handwerker für den Klimaschutz einspannt

Solaranlage montieren, Wallbox installieren, Wärmepumpe einstellen: Handwerker gestalten die Energiewende aktiv mit. Quelle: dpa

Philipp Schröder überzeugt mittelständische Betriebe, in seiner Holding 1komma5° unterzuschlüpfen, um Klimasysteme aus einer Hand anzubieten. Er vereint Start-up-Denke und klassisches Handwerk. Kann das funktionieren?

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Aus Gewohnheit melden sich Thomas Bremer und Marcell Stahl noch mit „Firma Liedkte, guten Tag“ am Telefon. Doch das neue Logo auf der Homepage und die Folierung der Firmenwagen zeugen bereits von der folgenreichen Entscheidung, die die beiden Geschäftsführer des traditionsreichen Heizungs- und Sanitärbetriebs aus Hildesheim getroffen haben: Im September haben sie die Mehrheit ihres Unternehmens an das Hamburger Start-up 1komma5° verkauft – und treiben als Minderheitsgesellschafter nun die Eingliederung voran. „Wir versuchen, für unsere Kunden und Mitarbeiter einen sanften Übergang hinzubekommen“, sagt Bremer. 

Im Umfeld der Unternehmer hat der Verkauf erst einmal für Erstaunen gesorgt – denn die Geschäfte liefen gut: Von zwölf auf 50 Mitarbeiter ist der Betrieb in den vergangenen elf Jahren gewachsen. Die Entscheidung, neben klassischen Heizungen auch Wärmepumpen, Fotovoltaikanlagen und Stromspeicher anzubieten, machte sich bezahlt. Vor allem seit dem Krieg in der Ukraine stehen die Kunden Schlange.

Warum also ein profitables Unternehmen mit einer bald hundert Jahre alten Geschichte aus der Hand geben? Und dann noch an ein Start-up, das noch keine anderthalb Jahre existiert?

„Die gute Konjunktur hat uns lange beflügelt, aber die Frage ist, was in 10 bis 15 Jahre Sache ist“, sagt Stahl. „Der Trend geht zu großen Onlineplattformen – mittelgroße Unternehmen wie das unsere werden es immer schwerer haben.“ Über einen Podcast ist Stahl auf 1komma5° aufmerksam geworden. Die Vision des Start-ups: Regionale Fachbetriebe sollen zu einer international tätigen Gruppe für Klimaschutztechnologien verschmolzen werden. Gebäudebesitzer sollen von der Fotovoltaikanlage bis zur Wallbox alles aus einer Hand bekommen, die einzelnen Systeme sollen optimal aufeinander abgestimmt sein. Das Konzept überzeugte Stahl und seinen Kompagnon: „Wir haben aktiv den Kontakt gesucht.“

Aus dem Nichts 240 Millionen Euro Umsatz

Mit ihren Überlegungen sind Stahl und Bremer nicht alleine: Elf Handwerksunternehmen aus Deutschland haben ihre Selbständigkeit bereits aufgegeben, um sich 1komma5° anzuschließen. Weltweit sind es 20 Betriebe, darunter welche in Australien und Skandinavien. Aus dem Nichts ist so binnen eines Jahres ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 240 Millionen Euro und knapp 800 Mitarbeitern entstanden. Eigenen Angaben zufolge hat die Gruppe schon 45.000 Energiesysteme installiert: Fotovoltaikanlagen, Energiespeicher, Wärmepumpen und Wallboxes für Elektroauto.

Ermöglicht hat den rasanten Aufstieg vor allem die Reputation des Firmenchefs: Für Tesla hat Philipp Schröder vor neun Jahren das Deutschlandgeschäft des bis dato nahezu unbekannten E-Autobauers aufgebaut. Nach zwei Jahren kehrte er als Manager zu seinem früheren Arbeitgeber Sonnen zurück, positionierte den Batteriespeicheranbieter als Konkurrenten zu Teslas Powerwall, internationalisierte das Geschäft, schaffte Wagniskapitalgeber heran. 2018 wurde das Start-up dann von Shell übernommen, Schröder stieg aus. Für die Gründung von 1komma5° hat er alte Weggefährten um sich geschart.

In Interviews hat Schröder oft durchblicken lassen, dass er mit Elon Musk auf persönlicher Ebene nur wenig anfangen konnte. Abgeguckt hat er sich vom Tesla-Chef aber dennoch vieles: So gibt 1komma5° kaum Geld für Werbung aus, baut stattdessen Showrooms in Innenstädten auf – und ist um große Ankündigungen nicht verlegen. Für das kommende Jahr hat Schröder ein Umsatzziel von mindestens 600 Millionen Euro ausgegeben. Im Jahr 2030 sollen es sogar zehn Milliarden Euro sein. Schröder will den Wachstumsdrang auch als gesellschaftliche Mission verstanden wissen. „Wir müssen groß denken, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen wollen“, sagt der 39-Jährige. 

Die ambitionierten Ziele kommen bei Investoren an. Mehr als 200 Millionen Euro haben Geldgeber bereits in das junge Unternehmen gesteckt. Darunter sind neben anderen Porsche Ventures, die Industriellenfamilie Haniel sowie die Wagniskapitalfirma Btov Partners. Das Geld nutzt das Start-up vor allem, um die Übernahmen zu finanzieren. Laut Schröder sind für das kommende Jahr international auch wieder an die 20 Übernahmen geplant. „Interessant für uns sind vor allem profitable, regional gut aufgestellte Unternehmen“, sagt der Gründer. 

Ein Gegenpol zu Enpal

Neu ist die Strategie, mit Firmenzukäufen zu wachsen, in der Start-up-Welt nicht. Ähnlich geht etwa Mymoria auf dem Bestattungsmarkt vor: Angetreten als reines Online-Portal, übernimmt das Unternehmen reihenweise mittelständische Bestattungsinstitute. Und auch Start-ups, die mit dem Aufkauf kleiner Amazon-Händler neue Konsumgüterkonzerne aufbauen wollen, arbeiten nach dem Prinzip. Ungewöhnlich ist das hohe Tempo bei 1komma5°: Scheinbar mühelos gelingt es dem Start-up, passende Unternehmen für sich zu gewinnen.

Punkten können Schröder und seine Mitgründer bei Übernahmekandidaten mit dem Versprechen, einen Gegenpol zu anderen digitalen Handwerksbetrieben aufzubauen. Rasant gewachsen ist in den vergangenen Jahren etwa Enpal: Gegründet 2017, rechnet das Berliner Start-up in diesem Jahr mit einem Umsatz zwischen 340 und 400 Millionen Euro. Dabei bietet das Unternehmen Solaranlagen zur Miete an – ein Modell, das nach Einschätzung von Verbraucherschützern finanziell oft nachteilig zu Kaufanlagen ist. „Viele Unternehmer sind frustriert, dass ihnen ein Strukturvertrieb für Dauerschuldverhältnisse Konkurrenz macht“, sagt Schröder. 

Übel aufstoßen dürfte manch einem Handwerksmeister auch die Tatsache, dass Enpal massenweise Quereinsteiger per Crash-Kurs zu Monteuren ausbildet – und so Fachkräftelücken umschifft. Andere Anbieter wie Zolar setzen zwar weniger auf eigene Montageteams als vielmehr auf die Zusammenarbeit mit Partnerbetrieben. Doch auch die Vermittlung der Aufträge wird mitunter kritisch gesehen: Die Befürchtung, durch eine Kooperation mit Onlineanbietern zu einer Art verlängerten Werkbank degradiert zu werden, ist groß.

Verlockende Vorzüge

1komma5°-Chef Schröder umwirbt die Unternehmer dagegen mit dem Versprechen, sie am Gesamterfolg des Start-ups zu beteiligen. Im Fall eines Verkaufs sollen sie einen Teil der Erlöse erhalten, bei einem Börsengang Aktienpakete. In Aussicht stellt Schröder den Betrieben zudem neues Wachstum: „Viele Unternehmen in unserem Portfolio verdoppeln nach kurzer Zeit ihren Umsatz.“ Tatsächlich berichten übernommene Firmen davon, dass das Start-up kräftig investiert. So gab das in Göttingen ansässige Elektrotechnikunternehmen Bode & Stephan Anfang des Jahres an, 1komma5° habe kurz nach der Übernahme eine halbe Million Euro in den Betrieb gesteckt. Angeschafft wurden davon unter anderem ein großes Baugerüst und ein neuer Transporter. 

Viele kleine Verbesserungen wollen auch die Liedtke-Chefs schon ausmachen: Mit Hilfe des Start-ups sei etwa nun endlich eine Datev-Schnittstelle für den Steuerberater eingerichtet worden – eine Kleinigkeit, die aber viel Zeit spart. Eingeführt worden ist zudem ein digitales Kundenverwaltungs-Tool. „Das sind Dinge, die wir schon auf dem Schirm hatten“, sagt Bremer. „Aber im Tagesgeschäft fehlte uns immer der Abstand, um das umzusetzen.“ Auch am Organigramm im Unternehmen sei gefeilt worden: So sind nun Mitarbeiter für den Vertrieb abgestellt worden – zuvor hatten die Firmenchefs selbst oder angestellte Meister Beratungstermine bei Kunden wahrgenommen. 

Darüber hinaus verspricht 1komma5° Unterstützung bei der Personalsuche, zentralisiert den Einkauf – und investiert in eigene Hard- und Software. So hat das Start-up eine digitale Steuerzentrale entwickelt. Das System soll dafür sorgen, dass Fotovoltaikanlagen, Energiespeicher, Wärmepumpe und Wallbox optimal gesteuert werden. Kombinieren lässt sich das mit einem flexiblen Stromtarif des Unternehmens: Das E-Auto beispielsweise lädt dann, wenn es besonders günstig ist. „Wir haben eine Art Betriebssystem gebaut, das unseren Kunden die niedrigstmöglichen Kilowattstunden-Preise für ihre Energie ermöglicht“, wirbt Schröder.

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Doch so lang die Liste der Vorzüge ist: Die Unternehmer, die sich dem Start-up anschließen, entmachten sich im Gegenzug selbst. Mit dem Mehrheitsanteil könnte 1komma5° im Zweifel Entscheidungen durchdrücken, die den alten Eignern gegen Strich gehen. Bei aller Euphorie für die Vision des Start-ups ist auch den Liedkte-Chefs die Verkaufsentscheidung deswegen schwergefallen. „Uns ist klar, dass es jetzt Spielregeln gibt, die wir einhalten müssen“, sagt Bremer. Befürchtungen, aus der Zentrale könnten nun täglich neue Anweisungen kommen, hätten sich aber nicht bewahrheitet: „Wir haben von Anfang einen Austausch auf Augenhöhe erlebt.“

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