Getyourguide „Wir investieren durch das Tal durch“

Wann wird's mal wieder richtig Ferienstart? An den Flughäfen, wie hier in Frankfurt, herrscht seit Monaten die große Leere, ebenso in den Urlaubsorten. Quelle: dpa

Reise-Start-ups hoffen verzweifelt darauf, dass der Markt wieder anspringt. Doch mit jeder Lockdown-Verlängerung wird das Geld knapper. Der deutsche Primus Getyourguide nutzt jetzt ein ungewöhnliches Finanzierungsmittel – und will mit den Millionen auf Einkaufstour gehen.

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Das Angebot in Berlin ist bescheiden: Eine Entdeckungstour durch Prenzlauer Berg, eine Schnitzeljagd durch Mitte – und die Stadtführung „Die Geschichte des Sex“. Mehr Erlebnisse sind für den kommenden Samstag in der Hauptstadt nicht bei Getyourguide zu buchen. Im Lockdown bleiben die meisten Türen von Veranstaltern oder Museen geschlossen. Kaum Touristen, kaum Angebote, kaum Umsätze durch Verkaufsprovisionen: Für das Vermittlungsportal, das zu den am höchsten bewerteten Start-ups in Deutschland zählt, sind es dramatische Zeiten.

Allein ist Getyourguide damit keineswegs. Zahlreiche Reise-Start-ups wurden im Frühjahr 2020 mitten in einer Wachstumskurve ausgebremst. Statt Skalieren hieß es Sparen, statt mit Kundengewinnung mussten sich die Gründer mit Kündigungen befassen. Und je länger Corona die Reisebranche weltweit im Griff hat, desto schwieriger wird es für viele Start-ups, durchzuhalten. Im vergangenen Sommer gab bereits die Buchungsplattform Rent-a-Guide auf. Ende Januar stellte der Ticketvermittler FromAtoB endgültig den Betrieb ein. Und Anfang Februar kündigten die Gründer von Mapify, einer Plattform für Individualreisende, an, „den aktuellen Pfad nicht weiter zu verfolgen“.

Kreditlinie über 80 Millionen Euro

Die Devise in der Branche heißt: Durchhalten. Und darauf hoffen, dass für diejenigen, die es über die Krise schaffen, am Ende umso mehr Kunden übrig sind. Getyourguide geht dabei jetzt einen eigenen Weg. Das Start-up, so wurde am Dienstag bekannt, hat sich einen sogenannten revolvierenden Kredit in Höhe von 80 Millionen Euro gesichert. Die Kreditlinie kann das junge Unternehmen flexibel nutzen, um über die nächsten Jahre immer wieder Kredite bis zur maximalen Höhe in Anspruch zu nehmen und zwischenzeitlich teilweise zurückzuzahlen.

Den Kredit stellt ein Konsortium unter Leitung der Unicredit bereit, daneben sind die Citigroup, die Silicon Valley Bank, die Deutsche Bank und ein Start-up-Programm der staatlichen Förderbank KfW beteiligt. Die Tatsache, dass einer defizitär arbeitenden Tech-Firma ein solcher Kredit eingeräumt werde, sei „ein Ritterschlag für uns als Unternehmen“, sagt Finanzchef Nils Chrestin im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Man kann das auch ganz anders sehen, schließlich sind solche Kredite zugleich mit sehr hohen Zinsen verbunden.

Der Schritt zeigt daher auch, dass Getyourguide bei der Suche nach Kapital kreativer werden muss. Erst Ende Oktober hatten bisherigen Investoren eine Wandelanleihe über 114 Millionen Euro bereitgestellt. Dabei liegt die Finanzierungsrunde über 433 Millionen, bei der auch der japanische Tech-Investor Softbank bei den Berlinern eingestiegen ist, noch keine zwei Jahre zurück. Eine Frage der Existenzsicherung aber seien die aktuelle Wandelanleihe als auch die aktuelle Kreditlinie keineswegs, beteuert Chrestin: „Es geht jetzt auf gar keinen Fall darum, den Atem zu verlängern.“ Sein Argument: Es sei günstiger, sich jetzt über den Kredit mehr Spielraum zu verschaffen, als die Anteile der Gesellschafter durch eine neue Finanzierungsrunde zu verwässern.

Ausharren bis zum Anspringen des Reisemarktes

Mit einer schnellen Rückkehr zum unbeschwerten Reisen rechnen jedoch auch die Berliner nicht mehr. „Solange die Erholung Ende dieses Jahres oder Mitte nächsten Jahres da ist, fühlen wir uns sicher“, sagt Chrestin. Aus kurzfristigem Wachstum wird so eine langfristige Wette: Insgesamt sind viele Touristiker weiterhin optimistisch, dass die Lust auf Urlaub eher wächst – und die Bereitschaft, sich digital darauf vorzubereiten, ebenfalls. Immer wieder verweist Getyourguide auf Umfragen, die die Reisebereitschaft der Weltbevölkerung belegen: Aktuell seien es demnach 49 Prozent der Deutschen und 41 Prozent der US-Amerikaner, die in den kommenden zwölf Monaten verreisen möchten. „Es ist ein Teil des Menschen, die Welt erleben zu wollen“, sagt Chrestin.

Schon im vergangenen Frühjahr hatten einige Investoren daher darauf gehofft, günstige Einstiegsgelegenheiten bei Travel-Start-ups zu erwischen. Zug- und Busreisevermittler Omio konnte sich mitten in der Krise eine satte Finanzierung sichern. Doch mit zunehmender Dauer geht einigen Geldgebern auch die Geduld aus – und einigen Start-ups dann auch das Kapital. Getyourguide will die neue Kreditlinie nun auch dafür nutzen, um sich selbst nach Übernahmen umzuschauen. „Wir sehen die Möglichkeiten zur Konsolidierung“, sagt Chrestin.

Shoppingtour gegen starke Konkurrenten

Dabei schielt das Start-up zum einen auf Technologie. Viele der lokalen Anbieter, die ihre Touren auf Getyourguide einstellen, arbeiten zurzeit noch wenig digital und könnten hilfreiche Software dankbar nutzen. Zum anderen will das Start-up auch sein Angebot an sogenannten „Originals“ ausbauen und dafür Geld in die Hand nehmen. Dahinter stecken populäre und damit auch margenstarke Angebote, die nur über das Portal zu buchen sind. Kommt ein Gondoliere in Venedig also in finanzielle Schwierigkeiten, könnte ein Getyourguide-Mitarbeiter vor der Tür stehen – Beteiligungen oder Exklusiv-Verträge dürften dann günstig zu haben sein. „Wir investieren durch das Tal durch“, sagt Finanzchef Chrestin selbstbewusst.

Doch auch wenn Getyourguide die kommenden Monate gut übersteht, ist das Rennen um den Markt keineswegs gewonnen. Um Reisende auf die eigene Seite zu locken, muss Getyourguide viel Geld für Online-Werbung ausgeben. Im vergangenen Jahr hat die Plattform eine Initiative gegen Google auf den Weg gebracht – denn der Suchmaschinenriese entdeckt das lukrative Geschäft mit der Tourenvermittlung ebenfalls für sich. Auch klassische Touristikkonzerne werden immer aktiver in dem Segment. Tui hat etwa den Touristik- und Aktivitätenmarkt als eine große „Wachstums- und Konsolidierungsmöglichkeit“ identifiziert und baut dafür die eigene Plattform „Musement“ aus.

Mitarbeiter mit auf die Reise nehmen

Angesichts dieser Konkurrenz will Getyourguide bereit sein, wenn die Buchungswelle wieder anrollt. Aktuell stehen 500 Angestellte auf der Lohnliste. Im vergangenen Jahr waren es noch über 700. „Wir haben im Produktbereich und bei der Technik eingestellt, aber es gab Bereiche, in denen nicht so viel zu tun war“, sagt Chrestin. Weniger Mitarbeiter sollen es jetzt aber nicht werden. Zu groß ist die Sorge, dass ansonsten bei wachsender Auslastung erfahrene Köpfe fehlen. „Mit der Kostenstruktur sind wir aktuell sehr zufrieden“, formuliert es Finanzer Chrestin.

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Doch das Start-up muss nun auch intern darauf achten, dass in der Belegschaft nicht eine große Reisewelle anrollt. In Berlin suchen zahlreiche Start-ups erfahrene Mitarbeiter. Und viele Getyourguide-Angestellte haben bewusst bei einem schnell wachsenden Unternehmen angeheuert – und könnten sich durch eine lange Pandemie-Zwangspause in ihrer Karriere ausgebremst fühlen.

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