Wirtschaftswissenschaft „Radikaler Wandel in der deutschen BWL“

Die TU München ist die forschungsstärkste Hochschule in BWL. Quelle: imago images

Die TU München ist Deutschlands forschungsstärkste Hochschule in BWL. Der Dekan der TUM School of Management über den Wandel – und einen Bedeutungsverlust in der Coronakrise.

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Gunther Friedl ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für Controlling sowie Dekan der TUM School of Management an der Technischen Universität München.

Herr Friedl, die Hochschulen sind in diesen Tagen menschenleer, die Studenten lernen virtuell. Ist auch die Forschung von Coronakrise und Lockdown betroffen?
Ja, klar. Corona hat den Arbeitsalltag der Wissenschaftler verändert, es gibt keinen direkten Austausch mehr auf Fachtagungen und internationalen Konferenzen. Da geht schon was verloren. Auf der anderen Seite kann man über virtuelle Plattformen schneller und häufiger mit Forschern aus der ganzen Welt zusammenkommen. Insgesamt sind die Kontakte untereinander in der BWL-Szene in dieser Krise bei vielen Professoren eher gestiegen als gesunken.

In der öffentlichen Debatte hören wir tagtäglich die Einlassungen der Virologen und Volkswirte. Wo bleiben die Betriebswirte? Haben die nichts beizutragen?
Die Coronakrise hat einen gewissen Bedeutungsverlust der BWL in der öffentlichen Debatte offenbart. Volkswirte und Virologen debattieren auf allen Kanälen, die Betriebswirte aber werden und sind kaum gefragt. Das macht mir Sorgen. Unser Fach muss aufpassen, dass es sich nicht nur mit reinen Managementfragen beschäftigt. Wir können die BWL nicht mehr losgelöst von Technologiefragen betrachten, hier vollzieht sich ein radikaler Wandel.

Was meinen Sie damit?
Ein Betriebswirt, der sich mit Impfthemen beschäftigt, sollte auch die medizinischen und chemischen Grundlagen verstehen. Ich mache mir Sorgen, dass die BWL irgendwann nur noch eine Zusatzausbildung liefert für jene, die sich in zukunftsträchtigen Technologiefeldern auskennen. In der Lehre machen wir immer noch zu oft den Fehler, zu wenig mit anderen Fakultäten zusammenzuarbeiten, etwa mit der Medizin oder den Ingenieuren. Durch solche Interaktionen können wir unsere Studierenden zu besseren Managern ausbilden. Wir müssen unseren Studierenden in den Wirtschaftswissenschaften einen interdisziplinären Blick auf die Wirtschaft vermitteln. Auch die Forscher in der BWL müssen umdenken, wir hängen immer noch zu oft in unseren disziplinären Silos. An der TUM gehört es daher zum Geschäftsmodell, dass unsere Wissenschaftler die eigene Perspektive wechseln und erweitern...

...was sich offenbar in den Veröffentlichungen in Top-Journals niederschlägt. Laut WirtschaftsWoche-Ranking zählt die TUM im Fach BWL zu den forschungsstärksten Hochschulen im deutschsprachigen Raum. Was machen Sie anders?
Wir sind keine klassische BWL-Fakultät, sondern haben uns mit den Ingenieurs- und Naturwissenschaften vernetzt. Dadurch decken wir die gesamte wissenschaftliche Wertschöpfungskette ab – von den Managementtechniken bis hin zur Technologie. Zudem ist unsere Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft sehr intensiv. Wir arbeiten in einer Reihe von Forschungsprojekten mit Unternehmen zusammen – etwa zur Frage, wie sich Geschäftsfelder digitalisieren lassen.

Als größter Konkurrent der TUM gilt die Universität St. Gallen.
Ja, und es ist spannend zu sehen, wie sich die TUM School of Management und die Universität St. Gallen aufeinander zubewegen. St. Gallen kommt ja eher von der Managementseite, während wir stärker von der Technikseite kommen – die Wirtschaftsfakultät der TUM ist erst vor 18 Jahren gegründet worden. St. Gallen verstärkt nun seine Aktivitäten im Bereich Digitalisierung und Informatik.


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Wie motivieren Sie Ihre Wissenschaftler, in betriebswirtschaftlichen Top-Journals zu publizieren?
Das kommt meist von allein. Die intrinsische Motivation der Wissenschaftler, in die Top-Journals zu kommen, ist extrem hoch. Jeder will in der internationalen Wissenschaftscommunity sichtbar sein, und Veröffentlichungen in Top-Journals sind für Forscher in der BWL da die wichtigste Währung. Besondere Anreizsysteme bedarf es daher eher, um Forscher zu bewegen, mit der Praxis zusammenzuarbeiten. Der reine Wissenschaftler und Grundlagenforscher ist nicht immer begeistert, wenn er sich mit Praxisfragen beschäftigen muss.

In der Spitzenforschung kann sich niemand auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Wie lockt Ihre Fakultät hochkarätigen wissenschaftlichen Nachwuchs an?
Wir haben 2012 ein Tenure-Track-System nach angelsächsischem Vorbild installiert, das hervorragend funktioniert und der Schlüssel dafür ist, exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs anzulocken. Die bisherigen Erfahrungen lauten: 50 Prozent der Wissenschaftler bleiben, 50 Prozent gehen, und die meisten davon vorzeitig. Wir müssen selektieren, damit wir am Ende mit absoluten Top-Leuten arbeiten.

Wie funktioniert das System konkret?
Über sechs Jahre müssen sich die Professoren in Forschung und Lehre bewähren. Es gibt regelmäßige Evaluationen, und wir lassen alle Publikationen unserer Betriebswirte von externen Gutachtern bewerten. Unser Anspruch lautet: Unsere BWL-Professoren müssen in ihrem Forschungsgebiet national und international als Spitzenkraft wahrgenommen werden. In die Bewertung fließen auch Innovationen in der Lehre ein. Das hilft uns gerade sehr: Unsere Fakultät, die TUM School of Management, war von Corona nicht überrumpelt, weil wir schon vorher viele digitale Elemente integriert hatten.

Mehr zum Thema: Die Absolventen dieser Fachhochschulen haben bei Unternehmen die besten Chancen – das WirtschaftsWoche-Hochschulranking 2020.

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