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Die negativen Folgen der expansiven Notenbank-Politik werden für Anleger erst nach der Krise deutlich spürbar. Quelle: Getty Images

Notenbanken: Der ultimative Härtetest kommt erst noch

Notenbanken haben sich seit dem ehemaligen FED Präsidenten Alan Greenspan in jeder Krise neu und immer stärker als Retter der Finanzmärkte etabliert. Doch Handlungen haben Konsequenzen und der wirkliche Härtetest für Notenbanken wird erst kommen, wenn die ökonomische Krise überwunden ist.

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Die Notenbanken haben sich in den vergangenen Jahrzehnten, und ganz besonders auch in dieser Krise, immer stärker in Bereiche der Wirtschaft eingebracht, die ein Student der Wirtschaftswissenschaften zumindest bis Mitte der 90er-Jahre nicht vermutet hätte. Gleiches gilt für die Kapitalmarktteilnehmer. Allerdings nimmt man, vor allem an den Kapitalmärkten, Geschenke natürlich dankend an. Aber mir scheint sich die Stimmung an den Märkten nach dem All-In der Notenbanken in Folge der Lehman-Krise gewandelt zu haben, von einer Dankbarkeit für Hilfe in Krisensituationen hin zu einer problematischen Erwartungshaltung. Das ist im Zuge der Pandemie deutlich zu spüren. Diese Erwartungshaltung kommt aber nicht nur von Seiten der Kapitalmarktteilnehmer, sondern mittlerweile auch den Regierungen, zu denen die Notenbanken ihre Unabhängigkeit immer gerne betont haben.

In gewissem Sinne sitzen Notenbanken nun in einer selbst gebauten Falle. Wer laut die Mitverantwortung für eine stetige Konjunkturentwicklung reklamiert, mit der Notwendigkeit für positive Finanzkonditionen zu sorgen, ein weiteres Begründungsmantra für Interventionen kreiert, wer Regierungen vom Spardruck befreit, in dem er hunderte Milliarden US-Dollar oder Euro von Staatsanleihen kauft und damit die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung verschwimmen lässt, der muss sich nicht wundern, wenn Regierungen und Kapitalmarktteilnehmer auf diese Unterstützung dauerhaft nicht verzichten möchten. Und diese massiven Eingriffe können auch nicht einfach und schnell zurückgedreht werden, weil das im aktuellen Umfeld eine zentrale Basis für die wirtschaftliche Entwicklung und die Bewertungen an den Kapitalmärkten ist.

Getriebene Notenbanken

Damit sind die Notenbanken von einer Institution, die gegensteuert, zu Getriebenen der Märkte und auch der Regierungen geworden. Der Kapitalmarkt ist wortwörtlich der kapitalistische Platz schlechthin. Dass sich dieser nun im Wesentlichen auf die kontinuierliche Hilfe einer staatlichen, oder – im Falle der EZB – supranationalen Organisation stützt, zeigt auch, wie sehr sich die Eckpunkte unserer Marktwirtschaft verschoben haben.

Genauso wie die Tatsache, dass gerade die Institution, die früher Fiskaldisziplin anmahnte, zu einer Institution geworden ist, die verspricht, Fiskaldefizite günstig finanzierbar zu halten und der Exekutive Empfehlungen für weitergehende Verschuldung und damit Lastenverschiebung zwischen den Generationen gibt.

Und die Notenbanken sind noch weitergegangen: Wie an dieser Stelle schon hingewiesen, wird der Fokus nun auf die „durchschnittliche Inflationsrate“, explizit oder implizit, gelegt. Der Trend hin zum sogenannten „Average Inflation Targeting“ sagt ja nichts anderes, als dass, wenn in einer konjunkturellen Schwächephase die Inflation sehr niedrig war, in der folgenden Erholungsphase das Überschießen über die Zielwerte toleriert wird, zumindest temporär. Das kann der Markt doch nur als Hinweis auf das Risiko nehmen, dass die Notenbank „behind the curve“ sein wird und damit ein wesentliches Element der Inflationsbekämpfung, das sogenannte Verankern der Inflationserwartungen, gefährdet sein könnte, wenn die Wirtschaft gut läuft. Daneben braucht man sich auch nicht über „unintended consequences“ zu wundern, so zum Beispiel wenn hochrangige Politiker auf die Idee kommen, man könne ja den fiskalischen Spielraum der Staaten erhöhen, in dem die Notenbank einfach die bei ihr aufgesammelten Schuldpapiere streicht.

Diese Diskussion wuchert gerade in der Eurozone, und natürlich hat die EZB dies als vertragswidrig abgelehnt, aber wundert sie sich wirklich? Was unterscheidet in den Augen eines Politikers denn eine Notenbank, die eine Verschuldung nahe Nullzins durch Neukauf des Ersatzes auslaufender Anleihen kontinuierlich ohne Belastungen refinanziert, von einer Stilllegung? Im Wesentlichen nur, dass bei einem Schuldenverzicht keine künftige Notenbankführung den Kurs ändern könnte.

Damit kommen wir zu einer sich entwickelnden paradoxen Situation: Die Politik der Notenbanken ist so angelegt, dass sie sich weitgehend mit jeder neuen Krise verlängern lässt. Rückblickend hatten wir in der Vergangenheit alle vier bis acht Jahre sehr große Wirtschaftskrisen: 1990/91 kulminierte das US-Debakel der Savings&Loans-Banken mit dem Zusammenbruch der japanischen Häuser und Aktienmarkt-Bubble, 1997/1998 erschütterte die Asienkrise und die Folgen des LTCM-Desasters, 2001/2002 erlebte die Welt von den Zusammenbruch der Tech-Bubble, 2008/2009 die Lehman-Pleite und das Platzen der US Housing-Bubble, Europa legte dann noch seine Schuldenkrise mit dem „freiwilligen“ Schuldenverzicht der Gläubiger von Griechenland ein, und die Pandemie 2020 übertraf die davor gehenden Krisen nochmals im wirtschaftlichen Impakt, keinesfalls aber in der Dauer des Kapitalmarktimpakts.

Erholt sich die Wirtschaft, wird es für Anleger schwieriger

Hart auf hart kommt es aber für Notenbanken erst, wenn sich die Wirtschaft tatsächlich stark erholt, und das bisherige Mantra des immer erneuerten „Whatever it takes“ nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dann wird der Entwöhnungseffekt nicht nur für die Politik hart, sondern auch für die Kapitalmärkte. Und Inflation ist janusköpfig – so einfach, dass über eine Inflationierung die Staatsfinanzen sozusagen wieder in eine Balance gebracht werden, ist es nicht. Eine nachhaltig deutlich höhere Inflation impliziert irgendwann auch eine Verschärfung der Geldpolitik.

Was bedeutet das für den langfristig denkenden Kapitalanleger? Nun, er oder sie muss damit rechnen, dass gerade dann, wenn die Konjunktur sich tatsächlich dauerhaft belebt, die Herausforderungen größer werden, die Volatilität höher und die Möglichkeit, Portfolien mittels langlaufender Staatsanleihen abzusichern, geringer.

Denn im Zuge der Notenbankkäufe und der Nullzins-/Negativzinspolitik wird sich der Charakter von Staatsanleihen weiter ändern. Dass sie mitverantwortlich sein werden, dass die Erträge aus der Kapitalanlage langfristig geringer ausfallen, ist angesichts von Negativrenditen für zehnjährige Bundesanleihen keine Überraschung. Bei leicht steigenden Renditen wird sich dieser Effekt sogar weiter akzentuieren. Aber sollten die Notenbanken erfolgreich sein in ihrem Bestreben, höhere Inflation zu ermutigen, ist auch der Diversifikationseffekt bei Korrekturen riskanter Geldanlagen (Risky Assets) nicht mehr sicher, zudem auch ein schneller Anstieg der „Safe Haven Renditen“ bei Anleihen selbst eine Korrektur auslösen kann.

Das bedeutet, die Diversifikation von Portfolien muss stärker in Richtung Länder, Sektoren und alternative Assetklassen gehen. Wird die sichere Staatsanleihe unvorhersehbarer, sollte auch die Volatilität von Portfolien steigen. Für den Anleger besteht umso mehr die Notwendigkeit, sich deutlich zu machen, wie stark seine Fähigkeit ist, einen Sturm ohne Notverkäufe zu überstehen, und das Portfolio im Zweifel robuster auszurichten, auch wenn es einige Ertragspunkte kosten sollte.

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Die Notenbanken werden in so einer Phase nichts gewinnen können. Kann gut sein, dass, wenn die ökonomische Krise überwunden ist, die Schaffenskrise der Notenbanken erst beginnt und der ein oder andere sich an Goethes Zauberlehrling erinnern wird.

Mehr zum Thema: Der kürzlich verstorbene George P. Shultz, Ex-US-Finanzminister, warnte zuletzt vor dem steigenden Staatsdefizit, auch durch die Covid-19-Krise. Es drohten plötzliche hohe Inflation und Zinsen wie schon in den 1970ern.

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