Riedls Dax-Radar
Quelle: Marcel Stahn

Die Zinsangst verfliegt, die Konjunkturangst kommt

Weil die Aussicht auf eine lockere Geldpolitik bestehen bleibt, ist die jüngste Wirtschaftsabschwächung für die Aktienmärkte kein Nachteil. Zu weit dürfen die Geschäfte der Unternehmen jetzt allerdings nicht abkippen. 

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Die Sorge, die amerikanische Notenbank könnte eher als erwartet ihre expansive Geldpolitik beenden, erweist sich als unbegründet. Nach den jüngsten Verlautbarungen von Fed-Chef Jerome Powell dürfen Anleger mit einer Fortsetzung der Anleihekäufe rechnen. Die könnten eines Tages natürlich reduziert werden, doch dafür müsste sich vor allem der Arbeitsmarkt noch stärker entwickeln. Die Inflation ist zwar auf über fünf Prozent angestiegen. Doch gerade die absehbare Abschwächung der Wirtschaftsdynamik trägt in den Augen der Fed dazu bei, dass dies nur vorübergehend sein sollte. Von einer echten Zinserhöhung ist die US-Notenbank meilenweit entfernt – erst recht, da sich durch das Wiederaufflammen der Coronakrise die wirtschaftliche Unsicherheit wieder erhöht.

Was die Fed aktuell feststellt, deuten die Anleihemärkte schon seit einigen Monaten an. Noch mitten in der Phase hoher Inflationsangst sind die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen von 1,7 Prozent auf fast 1,1 Prozent gesunken. Danach folgte ein kurzer Anstieg auf 1,3 Prozent, seitdem driften sie wieder ab. Ein ähnliches Bild ergibt sich am europäischen Anleihemarkt. Die Renditen für die hier taktgebenden Bundesanleihen sind mit der gleichen Dynamik, mit der sie Anfang des Jahres von minus 0,5 auf minus 0,1 Prozent gestiegen sind, wieder fast auf minus 0,5 Prozent gesunken.

Beide Anleihemärkte, der amerikanische wie der europäische, geben ähnliche Signale: Die Dynamik der wirtschaftlichen Erholung dürfte sich abschwächen, der Inflationsdruck sollte nachlassen. Für die Aktienmärkte ist dieser Mix positiv: Durch die Abschwächung des Wachstums können Überhitzungserscheinungen abgekühlt werden. Zudem wird eine Verschärfung der Geldpolitik unwahrscheinlicher, in Amerika genauso wie in Europa.

In diesem Umfeld müssen sich Anleger wieder auf verhaltenere Prognosen einstellen. Bei den jüngsten Zahlen und Aussichten der weltweit führenden Unternehmen ist das deutlich zu spüren. Facebook verdoppelte den Gewinn im Frühjahresquartal, doch für die kommenden Monate kündigt das Unternehmen abgeschwächte Wachstumsraten an. Amazon rechnet nach hohen Umsätzen in der Coronakrise nun mit geringeren Aufschlägen. Apple wuchs zuletzt um 36 Prozent, vor allem dank des boomenden China-Geschäfts. Nicht zuletzt wegen Engpässen auf dem Halbleitermarkt dürfte sich dieses Wachstum aber nicht fortsetzen. Microsoft übertrifft im zweiten Quartal die Erwartungen bei Umsatz und Gewinn, wird dieses Tempo in den nächsten Quartalen aber kaum aufrechterhalten können.

Bei den Dax-Unternehmen zeigt die Geschäftsentwicklung eine ähnliche Grundtendenz mit unterschiedlicher Ausprägung. Volkswagen hat im ersten Halbjahr einen Rekordgewinn erzielt und dabei die Renditeziele übertroffen. Obwohl die Wolfsburger Engpässe bei Halbleitern registrieren, heben sie für das Gesamtjahr den Ausblick an. Angesichts der günstigen Bewertung der Aktie und der finanziell robusten Ausstattung sollte es für VW-Aktien kein Problem sein, die wichtige Untergrenze zwischen 190 und 200 Euro weiterhin zu verteidigen. Mittelfristig könnte ein Kursanstieg in den Bereich der bisherigen Rekordnotierungen um 250 Euro möglich sein.

Von der starken Autokonjunktur profitiert BASF. Im Chemiegeschäft können Mengen und Preise erhöht werden. Der Öl- und Gasableger Wintershall Dea schafft nach hohen Abschreibungen die Wende, wann ein Börsengang erfolgt, bleibt allerdings offen. Für die Aktie ist es wichtig, wie schon in den vergangenen Wochen mindestens das Kursniveau um 65 Euro zu halten. Ein Anstieg über die diesjährigen Topkurse um 73 Euro ergäbe ein langfristiges Kaufsignal.

HeidelbergCement profitiert vom weltweiten Bauboom, vor allem das Amerikageschäft ist vielversprechend. Die Konzentration auf lukrative Märkte kommt voran, dazu der Abbau des Schuldenbergs, unter dem die Heidelberger jahrelang gelitten haben. Für die mittelfristige Entwicklung der Aktie wäre es gut, wenn der Kurs nicht unter 70 Euro rutscht. Der große Aufwärtstrend, der mit der Coronaerholung eingesetzt hat, ist weiterhin intakt.

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Eine Enttäuschung sind die Zahlen des Dialysekonzerns FMC. Die Belastungen um erhöhte Sterblichkeit von Patienten in der Coronakrise sind stärker als erwartet; zudem dürfte sich das Problem auch im zweiten Halbjahr in einem höheren finanziellen Aufwand für Sicherheit niederschlagen. Muttergesellschaft Fresenius kommt zwar mit seinen Sparmaßnahmen voran, wird aber durch die FMC-Schwäche mit nach unten gezogen. FMC-Aktien könnten sich nach den aktuellen Turbulenzen wieder um 65 Euro stabilisieren, bei Fresenius sollte das Niveau um 43 Euro halten.

Ein Spezialfall bleibt Bayer. Ein Ende der Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat ist nicht in Sicht. Nun hat Bayer erneut 3,8 Milliarden Euro zurückgestellt, um für mögliche neue juristische Risiken gewappnet zu sein. Langfristig steckt die Aktie in einer Abwärtsbewegung, die nun schon ins siebte Jahr geht. Immerhin, dass der Kurs auf die jüngsten Rückstellungen nicht mehr mit Kursverlusten reagiert hat, ist ein Zeichen für eine mögliche Stabilisierung.

Eine Spezialsituation im Dax ist der Kampf um den Vermieterkonzern Deutsche Wohnen. Nachdem sich Konkurrent Vonovia 30 Prozent der Anteile gesichert hat, haben Wohnen-Aktien mit Notierungen um 52 Euro ein neues Hoch erreicht. Angesichts der Hartnäckigkeit, mit der Großaktionär Vonovia auf den kleineren Rivalen zugreift, ist ein Ende des Übernahmekampfes wenig wahrscheinlich. In der Regel ist ein solches Umfeld für den Kurs des anvisierten Unternehmens ein Treibsatz.

Fazit für die Börsen: Dem Dax gelang es, den Kursrückschlag vom 19. Juli binnen weniger Tage auszugleichen. Seitdem hat sich der Index oberhalb der wichtigen Zone um 15.450 Punkten stabilisiert. Dow Jones, S&P 500 und der Euro Stoxx notieren ebenfalls nahe oder am Hoch. Der Nasdaq-100-Index musste etwas größere Abschläge hinnehmen, hält aber seine mittelfristig positive Tendenz.

Die Entspannung auf der Zinsseite und die trotz abflauender Konjunkturdynamik nach oben zeigenden Gewinntrends der Unternehmen sollten die Aktienmärkte am Laufen halten. Bei 19 der 30 Dax-Aktien notieren die aktuellen Kurse oberhalb ihrer 200-Tage-Linie. Das ist eine positive Quote von 63 Prozent. Eine starke Hausse ist das nicht mehr, dennoch für eine Konsolidierungsphase, in der der Dax zwischen 14.800 und 15.800 Punkten steckt, keine schwache Grundverfassung. Ein baldiger Anstieg über 15.800 wäre für den Dax ein Befreiungsschlag. Unter 14.800 Punkte dagegen sollte der Index nicht rutschen. Ein solcher Schwächeanfall könnte dann sogar einen mehrmonatigen Kursrückgang zufolge haben.

Mehr zum Thema: Die US-Notenbank Fed hält die Zinsen unten und die Anleihekäufe oben – trotz hoher Inflationserwartungen. Die Realrenditen sind auf einem Rekordtief. Der Goldpreis hat daher Aufwärtspotenzial.

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